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Kaum Cents auf dem Flohmarkt

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Die Eurokraten in Brüssel sind die Nomaden der Neuzeit. Vor dem Schlafengehen legen sie nicht nur Hemd und Schlips bereit, sondern auch SIM-Karte, Stadtplan und ein Portmonnee mit Landeswährung – je nachdem, an welchen Ort Europas der Flieger sie am kommenden Morgen bringen wird. Der Euro bedeutet für diese Spezies, dass ihr Leben einfacher geworden ist. Das dänische Präsidentschaftssemester bot viel Gelegenheit, sich das wieder bewusst zu machen.

Dänemark gehört bekanntlich nicht zur Währungsunion, deshalb treiben sich nach jeder Reise zu den Wikingern Münzen mit Loch im Geldbeutel herum. Die ungewohnte Währung hilft aber immerhin, die Preise in einem milderen Licht zu sehen. Wer möchte schon bei jedem Tuborg darüber nachdenken, dass er gerade den Gegenwert von fünf Euro die Kehle hinunterspült.

Von der Verkäuferseite aus betrachtet, bleibt eine Währungsreform nicht ohne Einfluss auf die Preisgestaltung. Belgische Flohmarkthändler haben bis heute kein Gefühl dafür entwickelt, wie viel zum Beispiel fünfzig Eurocents wert sind. In den ersten Monaten nach der Abschaffung des Belgischen Francs war das nicht weiter schlimm. Auf dem „Jeu de Balle“ in Brüssel, dem einzigen Flohmarkt Europas, der 365 Tage im Jahr geöffnet hat, kostete ein – leeres – Bierglas auch weiterhin fünf oder zehn Francs; bei jedem erfolgreichen Handel wurde der vereinbarte Preis per Taschenrechner in zehn oder zwanzig Eurocents umgerechnet.

Seit die Händler ihre Preise aber direkt in Euro festsetzen, gibt es unter fünfzig Cent nichts mehr – die komischen kleinen gelben Münzen nimmt kein Verkäufer für voll. Für die Belgier, die leidenschaftlich gern auf Flohmärkten stöbern, ist die Sammelleidenschaft seit der Währungsumstellung ein teures Hobby.

Nach der Beisetzung der ältesten Belgierin Mitte Dezember tauchten Trauerbildchen mit ihrem Konterfei zum Stückpreis von fünf Euro auf Flohmärkten auf. Trauerbildchensammler, von denen einige bis zu 40.000 Exemplare archiviert hatten, müssen sich wohl nach einem neuen Hobby umsehen. Euromünzen drängen sich da förmlich auf. Denn nirgendwo in der Währungszone findet sich ein so buntes Durcheinander unterschiedlicher Euros im Portmonnee wie in Brüssel – den Nomaden der Neuzeit sei’s gedankt.

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