: „Krasse“ Stimmung lässt die Beine zittern
Fußballfans bejubeln in der ausverkauften Arena AufSchalke die nachweihnachtliche Biathlon-Show
GELSENKIRCHEN taz ■ Rudi Assauer kam am Samstag nicht zum Abschuss. Ursprünglich hatte der Wintersportneuling bei der „Biathlon World Team Challenge“ in Gelsenkirchen im Prominenten-Wettkampf Loipe und Schießstand unsicher machen wollen. Die Tribüne hinter den elektronischen Zielscheiben war vorsichtshalber komplett gesperrt worden. Wegen einer fiebrigen Erkältung konnte der Schalke-Manager jedoch schließlich nicht starten. Im Hauptrennen siegten bei Regenwetter die Deutschen Martina Glagow und Michael Greis vor dem lange führenden russischen Duo Achatowa/Majgurow. Nach gut 40 Minuten und 12 Kilometern durch schmutzigen Schnee ließ sich das bayerische Läuferpaar von 35.180 Fans in der ausverkauften Arena AufSchalke feiern.
„Mir ist die Luft weggeblieben, so krass war die Stimmung“, freute sich Martina Glagow nach dem Einladungsrennen. Die Zuneigung der ungewohnten Zuschauermassen tröstete die Sieger der Showveranstaltung darüber hinweg, dass es für den Erfolg keine Weltcup-Punkte gab. Das zuletzt leidgeprüfte Schalker Publikum bejubelte den deutschen Heimsieg an „einem Tag, so wunderschön wie heute“. Zuvor hatten die Fans jeden deutschen Treffer mit einem lauten „Roar“ bedacht und die Aufholjagd herbeigesungen. Glagows Staffel-Partner Michael Greis war fast eingeschüchtert von der Kulisse: „Beim Schießen haben mir die Beine gezittert.“ Die Helden aus der zweiten Reihe waren als Nachrücker für die Stars Uschi Disl und Sven Fischer ins Feld gerückt. Überraschend setzte sich das Ersatzpaar gegen die Wilhelms und Björndalens durch, kassierte 10.000 Euro Gage sowie einen Kleinwagen.
Athleten und Fans kam die nachweihnachtliche Waffenschau gerade recht. Der Schalke-Anhang konnte den Frust über eine enttäuschende erste Saisonhälfte herausschreien. Die weltbesten Biathleten ließen sich das „gute Training für die nächsten Weltcuprennen“, so der siebtplazierte Olympiasieger Ole Einar Björndalen aus Norwegen, gut bezahlen. Keine Seite nahm Anstoß an der sportlichen Wertlosigkeit des Ereignisses. Dass das Mixed-Rennen auf Geheiß des live übertragenden Fernsehsenders um zwei Runden verkürzt wurde, ging zwischen Jagertee und „Hände zum Himmel“-Gejohle unter. Auch die Anspruchslosigkeit des matschigen Kunstschnee-Rundkurses über das Schalker Vereinsgelände tat der Schnee-Party keinen Abbruch.
Für den Traditionsverein aus Gelsenkirchen sind Show-Veranstaltungen wie der Biathlon-Wettkampf gleichwohl kein Spaß, sondern ernster Broterwerb. 15 Monate nach Eröffnung der vereinseigenen Arena AufSchalke ist der Klub auf fußballferne „Events“ angewiesen. Rund 190 Millionen Euro haben sich die ehemals armen Leute von Schalke den Neubau kosten lassen. Damit die Arena nicht zum Millionengrab für die Königsblauen wird, muss das Hallenstadion nicht nur Stamm-, sondern auch Laufkundschaft anlocken. Nach dem Ausscheiden der S04-Profis im Uefa-Cup und DFB-Pokal braucht der Verein Untermieter nötiger denn je. Egal ob Biathleten, Rockstars oder die Footballer von Rhein Fire, die ab 2003 ihre Heimspiele auf Schalke austragen werden – in der Arena sind sie alle willkommene, weil lukrative Gäste.
Schalkes Präsident Gerd Rehberg war deshalb entgegen seinem Naturell hellauf begeistert von dem Wintersport-Gastspiel. „Wir würden dieses Rennen nächstes Jahr gerne wieder ausrichten“, bot Rehberg bei der anschließenden Pressekonferenz an. Der seit 1993 in Ruhpolding ausgetragene Wettbewerb könne doch fortan ganz ins Ruhrgebiet wechseln, so der Klubboss. Herbert Fritzenwenger, früherer Weltklasse-Biathlet und Mitorganisator des Privatrennens, reagierte sichtlich überrascht auf die Offerte des Fußballklubs. „Wir werden mit Schalke sprechen“, antwortete der Bayer diplomatisch. Rehberg aber war nicht mehr zu stoppen. „Ein Weltcup-Rennen auf Schalke wäre das Sahnehäubchen.“ Werden Rehbergs Träume wahr, stehen die Knappen kurz vor einer Doppelmitgliedschaft beim DFB und dem Deutschen Skiverband.
Rudi Assauer blieb an diesem Abend auch ein letzter Auftritt verwehrt. Trotz Grippe war der Schalke-Manager fest entschlossen, die Ehrung des deutschen Siegerduos höchstpersönlich vorzunehmen. „Das habe ich ihm aber verboten“, sagte Rennorganisator Herbert Fritzenwenger. Der malade Macher hätte im schlimmsten Fall die abgekämpften Athleten mit seinem Handschlag infizieren können, begründete Fritzenwenger die Maßnahme. Verdreckter Kunstschnee, lärmende Fußballfans, aufdringliche Funktionäre – die Biathleten werden den Ausflug nach Gelsenkirchen so schnell nicht vergessen. MARTIN TEIGELER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen