: Grüße zur Jahreszeit
Weihnachtsmänner in Shanghai, Tannenbäume in Athen, neoafrikanisches Kwanza in den USA. Feste globalisieren sich, zumal im politisch korrekten Amerika: Saison statt Weihnacht ist hier die Devise
von SABINE BERKING
In den Einkaufszentren Shanghais erklangen dieses Jahr Weihnachtslieder, europäische und asiatische Weihnachtsmänner lächelten potenzielle Kunden von Werbeplakaten an. Weihnachten hat im kommunistischen Reich der Mitte mit seiner buddhistischen Vergangenheit jenseits der kleinen christlichen Minderheit zwar kaum eine Tradition, doch wenn es einen Grund zum Kaufen und Verschenken gibt, sind besonders junge, konsumorientierte Chinesen gern dabei.
Der Eintritt in die westliche Industriewelt, die globale Öffnung, ist auch mit einem Wandel von Bräuchen und Festen verbunden. Feste sind ein Export-Import-Business der besonderen Art, sie ändern sich mit dem gesellschaftlichen Wandel. So ist zum Beispiel für die orthodoxen Christen Griechenlands Ostern der höchste kirchliche Feiertag, und Weihnachten wurde ursprünglich nur als ein Fest in einer Kette von Höhepunkten um die Jahreswende begangen. Weihnachtsbäume kannte man im Land der Zypressen und Olivenhaine nicht, nur die Kinder bekamen am Tag des Heiligen Vassilis, dem 1. Januar, Geschenke. Heute wird vor allem in den Großstädten schon am 24. Dezember gefeiert, mit Geschenken und wunderschönen Plastiktannenbäumen.
In Russland haben pikanterweise die Kommunisten Väterchen Frost in die Robe des Heiligen Nikolaus gesteckt und populär gemacht und kurzerhand das Weihnachtsfest mit dem Jahresende zusammengelegt. Fortan wünschte man sich nur noch ein gutes neues Jahr. Im alten Russland wurde Weihnachten nach dem gregorianischen Kalender am 6. Januar begangen. Die Geschenke für die Kinder brachte die Babuschka, ein altes Weib, das sich der Legende nach geweigert hatte, mit den weisen Männern aus dem Morgenland zur Christuskrippe zu gehen, es dann bereute und schuldbeladen mit einem Sack voller Geschenke loszog. Das Jesuskind hat sie nie gefunden, dafür aber viele brave Kinder. Heute entdecken die Russen ihre alten Bräuche neu – ohne die neu-alten über Bord zu werfen.
Chanukka, das jüdische Lichterfest am Jahresende, ist im jüdischen Jahr kein großes Ereignis, da es nicht auf Gottes Wort, sondern auf Historie zurückgeht, auf den Sieg der Makkabäer über die Griechen 165 n. Chr. Allein die Konkurrenz mit den christlichen Weihnachten machte besonders unter assimilierten Juden aus Chanukka ein dem christlichen Weihnachten vergleichbares Konsumspektakel.
Das Jahresendfest der Afroamerikaner, Kwanza (was auf Kiswahili Erntefrucht bedeutet) ist gar eine ganz neue Erfindung des schwarzen Bürgerrechtlers Maulana Karenga aus dem Jahr 1966 – eine Synthese aus afrikanischen Traditionen, in die sich Thanksgiving-, Weihnachts- und Chanukkabräuche mischen. Kwanza soll der Stärkung der afroamerikanischen Gemeinschaft dienen und über konfessionelle Grenzen hinweg die Idee der afrikanischen Herkunft betonen. Millionen feiern es mittlerweile vom 26. Dezember bis zum 1. Januar. Die amerikanische Geschenkindustrie nahm es bereitwillig in ihr Repertoire auf.
In bekennenden multikulturellen Gesellschaften wie den USA oder Kanada ist die Vielfalt der Feste am größten. Weihnachtsaufführungen in amerikanischen Schulen beinhalten heute neben einem Krippenspiel immer auch Lieder und Gedichte zu Channuka, Kwanza oder Diwali, dem indischen Lichterfest, je nach ethnischer Zusammensetzung der Kinder. Lehrer sind gehalten, sich im Internet Material zu den Festen und didaktische Hinweise zu ihrer Behandlung im Unterricht zu besorgen. Neue Migranten – Eltern wie Schulkinder – werden gern gebeten, etwas über die Traditionen in ihrer Heimat zu erzählen.
Oberflächliche politische Korrektheit meinen Kritiker, eine exzellente Möglichkeit zum interkulturellen Austausch sagen Befürworter. Denn traditionell ist es ja schon lange so, dass neue Einwanderer mit ihren Festen und Speisen bei den Alteingesessenen um Sympathie für ihre Kultur werben.
Die totale Assimilation gilt in den USA inzwischen eher als Zeichen von Kulturbanausentum. Einwanderer der ersten Generation mühen sich redlich, die Muttersprache bei ihren Kindern zu erhalten, in Kombination mit dem Erhalt von Bräuchen und Traditionen der Herkunftskultur scheint das einfacher. Andere entdecken ihre Wurzeln neu, und meist sind diese multipler Art. Das Internet wurde dabei zur interkulturellen Suchmaschine. Auch die stetig steigende Zahl von Mischehen, trägt zur fröhlichen Inflation der Feste bei. Und damit man bei den transkulturellen Grüßen keine peinlichen Fehler macht, gibt es den wunderbaren Jahresendgruß „Season’s Greetings“.
In den Metropolen ist es heute ein Leichtes, zu jedem Fest die passenden Speisen und Dekorationen aufzutreiben, nicht nur in den ethnischen Wohngegenden, sondern in jedem Supermarkt. Man soll die Feste eben feiern, wie sie fallen, je mehr, desto besser. Die Hybridisierung kultureller Bräuche ist vielleicht – neben der Vermischung der Kochkünste – die angenehmste Seite der Globalisierung. Der Kommerz wurde dabei zur treibenden Kraft: die Geschenke- und Lebensmittelindustrie, das Gastgewerbe und natürlich der Tourismus. Zur Sommersonnenwende nach Schweden, zum St. Patrick’s Day in die irische Kneipe.
Und bei uns: Da geht, wen wundert’s, die Inflation der Feste nur langsam voran. Starr werden in „deutschen“ Kindergärten und Schulen „deutsche“ Weihnachten und Ostern gefeiert, auch wenn die Kinder mehrheitlich weder aus deutschen noch aus christlichen Familien stammen. Und Karten zu Chanukka, Ramadan und anderen nichtdeutschen und nichtchristlichen Festen wird man hierzulande – auch in Großstädten – meist vergeblich suchen.
Doch es gibt Hoffnung: Halloween war vor wenigen Jahren allenfalls ein Marketinggag irischer Pubs. Inzwischen ziehen am letzten Oktobertag immer mehr Kinder im Grusellook durch Deutschlands Straßen und erbetteln Süßigkeiten. Vielleicht unterstützen die Ausländerbeauftragten auch mal einen Jungunternehmer, der Grußkarten zu allen Festen druckt: Merry Christmas, Happy Chanukka, Allah Akba Ramadan, Lovely Kwanza, Peaceful Solstice, Cheerful Gitavahd-Rashti … – eben jahresendzeitliche Grüße!
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