piwik no script img

Hassfigur der Dessauer Behörden"Große charakterliche Mängel"

Mouctar Bah hatte den Tod von Oury Jalloh bekannt gemacht. Seither wird er von den Dessauer Behörden schikaniert.

DESSAU taz Wenn sich heute Mittag ein paar hundert Menschen am Dessauer Bahnhof versammeln werden, um an den vor drei Jahren in Polizeigewahrsam verbrannten Asylbewerber Oury Jalloh zu erinnern, ist dies nicht zuletzt Mouctar Bahs Verdienst. Der Guineer, ein ehemaliger Kühlhausarbeiter mit abgebrochenem Wirtschaftsstudium und Freund des Verstorbenen, trug erheblich dazu bei, dass der Fall öffentlich bekannt wurde. Er bewirkte die zweite Obduktion von Jallohs Leiche und sorgte dafür, dass dessen in Sierra Leone lebende Eltern als Nebenkläger zugelassen wurden. Der Tod von Jalloh machte ihn zum Aktivisten. Dadurch aber wurde er - diese Vermutung legen die Fakten nahe - zu einer Hassfigur der Dessauer Behörden.

Im Jahr 2003 hatte Bah in einer Seitenstraße der Dessauer Innenstadt einen Telefonladen eröffnet. Weil es bis dahin keinen Ort in der Stadt gab, an dem sich Afrikaner richtig willkommen fühlen konnten, wurde sein kleines Geschäft, in dem er auch Palmöl, Jamswurzeln und afrikanisches Shampoo verkaufte, bald zu einem Anziehungspunkt für Menschen, die wegen ihrer Hautfarbe die Treffpunkte der Deutschen lieber meiden. Das gefiel nicht jedem. Einige Nachbarn verfassten eine Eingabe an das Ordnungsamt. Von "Zusammenrottungen von Schwarzafrikanern" war darin die Rede, von Drogenhandel, der "vorprogrammiert" sei, von "unerträglichem Lärm und Gestank" und "Einschüchterung" der Bürger.

Beim Ordnungsamt fanden diese Ausführungen ein offenes Ohr. Ende 2005 - inzwischen war Bah durch die Medien zu einer gewissen Bekanntheit gelangt - entzog ihm die Behörde die Gewerbelizenz. Die Begründung: "Teile der Kundschaft nutzen das Café als Treff- und Aufenthaltsort, um von dort aus im Stadtpark dem Drogenhandel nachzugehen." Dass einige seiner Kunden tatsächlich Drogen verkauft haben, bestreitet Bah nicht. Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg bestätigte ihm, dass er über mehrere Monate hinweg "bei der zuständigen Ordnungsbehörde Bemühungen um ein Einschreiten gegen den Drogenverkauf angestellt" habe. Doch als entlastend wollte das Gericht diesen Umstand nicht sehen und bestätigte in letzter Instanz den auf ein Jahr befristeten Entzug der Lizenz.

Danach übernahm ein Deutscher den Laden; Bah arbeitete als Angestellter weiter. Im Februar 2007 beantragte er die Wiedererteilung seiner Gewerbelizenz. Im Oktober kam der Ablehnungsbescheid. Das Ordnungsamt entblödete sich nicht, in der Begründung aus der "Eingabe" der Nachbarn zu zitieren.

Und das war noch nicht alles. Bah sei wegen "behördlicher Auffälligkeit" nicht dazu geeignet, ein Gewerbe zu betreiben. "Ein Verhalten, das wiederholt polizeiliche Ermittlungen notwendig macht, lässt unabhängig vom Ergebnis der Ermittlungen auf große charakterliche Mängel Ihrer Person und offensichtlich fehlende Akzeptanz der Normen und der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland schließen."

Welche "Auffälligkeiten" gemeint waren? Zum Beispiel zwei Anzeigen wegen Körperverletzung. Bah schildert die Vorfälle so: "Als ich vor meinem Laden sauber gemacht habe, stand mein Nachbar plötzlich hinter mit und hat gesagt: 'Hier stinkts nach Negerpisse.' Als ich mich umdrehte, habe ich erst einen Faustschlag ins Gesicht und dann in den Magen bekommen." Er habe den Angreifer weggeschubst und sich eine Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung eingehandelt. Doch ein Richter glaubte seiner Version und sprach ihn frei. Der Nachbar sann auf Rache, kam ein weiteres Mal in Bahs Geschäft und schlug erneut auf ihn ein. Diesmal wehrte sich Bah, der Nachbar musste im Krankenhaus behandeln werden. Dieses Verfahren läuft noch. Eine drittes Verfahren wurde eingestellt; bei der vierten Anzeige schließlich ging es um einen Polizisten, der sich bei der Eröffnung des Prozesses wegen Jallohs Tod von Bah "beleidigt" gefühlt hatte.

Eine Initiative schrieb einen langen Brief an die Dessauer Behörden. Bah habe ein tadelloses polizeiliches Führungszeugnis, die Handelskammer und das Finanzamt hätten keine Einwände und einen Beweis dafür, dass in Bahs Laden mit Drogen gehandelt wurde, habe es nie gegeben. Das Amt blieb stur. In seiner letzten Korrespondenz teilte es Bah mit: "Die von Ihnen beantragte Gewerbeausübung muss Ihnen zum Schutz der Allgemeinheit versagt bleiben." Weil Bah der einzige Angestellte in dem kleinen Geschäft war, habe er faktisch weiterhin Leitungsfunktionen übernommen und damit gegen den Lizenzentzug verstoßen.

Im Oktober hat Bah Widerspruch dagegen eingelegt. Dem deutschen Geschäftsinhaber wurde das Ganze zu heikel. Er gab den Laden zum 31. Dezember auf. Bah hat sich arbeitslos gemeldet. Zu Neujahr hat eine deutsch-afrikanische Initiative den Laden vorläufig übernommen. Bah ist nun bei ihr eingestellt, sein Gehalt wird mit dem Arbeitslosengeld verrechnet. Ob dies von den Behörden geduldet wird, ist offen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!