Wichtige Medikamente unerschwinglich: Zynisches Gesundheitssystem
Die Arzneimittelforschung geht am Bedarf von Patienten vorbei. Die Pharmaindustrie setzt lieber auf Scheininnovationen.
BERLIN taz | „Ohne Aids würden wir überhaupt nicht über das Recht auf Gesundheit sprechen.“ In diesem Satz, mit dem der Heidelberger Professor für Public Health, Albrecht Jahn, einen kürzlich in Berlin gehaltenen Vortrag schloss, steckt der ganze Zynismus des herrschenden Weltgesundheitssystems.
Dass es eine globale, nicht nur die armen Länder beherrschende Krankheitsgeisel braucht, um erstmals über den Zugang zu unentbehrlichen Medikamenten für Patienten in Schwellen- und Entwicklungsländern zu verhandeln, ist ein Armutszeugnis für all jene Industrienationen, die Milliardensummen in die Arzneimittelforschung stecken.
Noch immer sterben fast 13 Millionen Menschen jährlich an Krankheiten, die eigentlich behandelbar wären wie Tuberkulose, Malaria, Aids und anderen armutsbedingten Krankheiten; ein Drittel aller Patienten kann nicht mit dringend notwendigen Medikamenten versorgt werden.
Dass einmal eine Aktivistin der Buko-Pharma-Kampagne, die seit mehr als 20 Jahren die Aktivitäten der deutschen Pharmaindustrie in der Dritten Welt kritisch beleuchtet, in seinen Reihen sitzen würde, hätte sich der Deutsche Ethikrat wahrscheinlich auch nicht vorstellen können.
Aber mit Christiane Fischer, seit 1998 Geschäftsführerin bei Buko Pharma in Bielefeld, gewinnt die Runde ein gleich dreifach ausgewiesenes Mitglied. Sie hat neben ihrer Ausbildung als Ärztin auch Theologie studiert und trifft im Ethikrat nun ausgerechnet wieder auf ihren ehemaligen Professor an der Universität Heidelberg, Bischof Wolfgang Huber.
„Mein Ziel war es immer, Medizin und Entwicklungspolitik miteinander in Einklang zu bringen“, erklärt sie den Beginn ihrer Aktivistinnen-Laufbahn. In der Evangelischen Studentengemeinde engagierte sie sich schon viel für Entwicklungspolitik, „das war das Schlüsselerlebnis für meinen späteren Werdegang“.
Für ihre Promotion forschte sie dann über die Effektivität von Dorfgesundheitsarbeiterinnen in Indien, selbstverständlich verbunden mit einem Aufenthalt dort. Seit 2001 ist sie im Bündnisrat des Aktionsbündnis gegen Aids, außerdem im Vorstand von Mezis, einer Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte. (UBA)
Doch statt die Anstrengungen der Industrie auf den tatsächlichen Bedarf der Weltbevölkerung zu fokussieren, konzentriert sich der Forscherehrgeiz auf Scheininnovationen für Zivilisationserkrankungen, für die ein lukrativer Markt besteht.
Lediglich 10 Prozent der Forschung befasst sich mit 90 Prozent der weltweiten Gesundheitsprobleme. Und lebensrettende Medikamente wie etwa gegen die Immunschwächekrankheit Aids stehen unter Patentschutz und sind für arme Länder unerschwinglich.
Nacheilender Gehorsam
Als 2009 der britische Pharmakonzern GlaxoSmithKline ankündigte, seine Aids-Medikamente zu maximal einem Viertel des Preises an Entwicklungsländer abzugeben und einen Patentpool für wenig erforschte, weil in der westlichen Welt nicht auftretende Krankheiten einzurichten, war das ein nicht ganz freiwilliges Zeichen des Einlenkens.
Vorangegangen waren gerichtliche Auseinandersetzungen über Zwangslizenzen für Aids-Medikamente in Indien und Brasilien. Weitsichtigere Konzerne sahen ihre Felle davonschwimmen und handelten in nacheilendem Gehorsam.
Doch nach wie vor ist das Patentrecht das größte Hindernis bei der Versorgung mit lebensrettenden Medikamenten in Entwicklungsländern. Grund genug, dass sich am Standort Deutschland mit seiner nicht unbeträchtlichen forschenden Pharmaindustrie auch der Deutsche Ethikrat öffentlich mit diesem Thema befasst.
Dabei sollte es weniger um die grundsätzliche Frage gehen, ob die Ziele der Marktwirtschaft und globale Gerechtigkeit überhaupt zu versöhnen seien, wie die Ethikratsvorsitzende Christiane Woopen einführend bemerkte, sondern um die politischen und rechtlichen Möglichkeiten, Forschungsinnovation zu garantieren und dennoch einen möglichst breiten Zugang zu diesen Produkten zu eröffnen.
Recht auf Gesundheit
Das Völkerrecht bezieht, wie der Jurist Holger Hestermeyer, vom Heidelberger „Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“, ausführte, eine ganz klare Position. In Artikel 12 Abs. 1 im Internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte erkennen die Vertragsstaaten das Recht eines jeden auf das für sie erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an.
Doch das die Harmonisierung des Welthandels betreffende Trips-Abkommen von 1995 beinhaltet auch Regeln über das geistige Eigentum, an die auch die Entwicklungsländer gebunden sind und durch die WTO-Vereinbarungen noch gestärkt wurden.
Ausnahmen gibt es allerdings im Rahmen von Zwangslizenzen, die innerhalb eines Territoriums gelten und gegen Gebühr an den Patentinhaber erteilt werden können. Brasilien etwa hat durch die Androhung einer Zwangslizenz auf ein Medikament innerhalb von sechs Jahren fast 340 Millionen Dollar gespart.
Die forschende pharmazeutische Industrie, auf dem Ethik-Forum durch Cornelius Erbe vertreten, argumentiert, dass Innovation patentrechtlich geschützt bleiben muss, weil sonst kein Unternehmen in die Erforschung neuer Medikamente investieren würde. Erbe bestritt allerdings auch, dass das aufgemachte Problem überhaupt dem Patentrecht geschuldet sei, weil die von der WHO genannten als lebenswichtig geltenden Arzneimittel fast durchweg patentfrei seien. Das gilt, wurde ihm entgegengehalten, allerdings nicht für Aids-Medikamente.
Zahlreiche Scheininnovationen
Fraglich ist darüber hinaus überhaupt der unmittelbare Zusammenhang von Forschungskosten und Preis, wie Albrecht Jahn zu bedenken gab. Denn die Mittel der Pharmaindustrie fließen weniger in den Forschungs- und Entwicklungsbereich als ins Marketing, nämlich zwischen 13 und 27 Prozent – von den ausgeschütteten Renditen einmal ganz abgesehen. Ein weiteres Problem sind die zahlreichen Scheininnovationen und ein unübersehbarer Patentdschungel, die die dringend notwendige Herstellung von preiswerten Generika blockieren.
Indien tritt inzwischen als wichtigster Generika-Hersteller auf. Im März diesen Jahres räumte das indische Patentamt dem Generikahersteller Natco Pharma die Befugnis ein, das Krebsmittel Nexavar des Bayer-Konzerns in Indien herzustellen und zu verkaufen. Indien versorgt Afrika auch mit billigen Aids-Medikamenten.
Ein Ausweg aus den Patentclinchs wäre also, die Forschungskosten vom Preis von Medikamenten zu entkoppeln oder aber Patentpools einzurichten, um einfachere Lizenzsysteme zu entwickeln. Product Development Partnerships (PDP) zwischen Industrienationen und den Entwicklungsländern, die ihre Forschung am Bedarf und nicht am Gewinn ausrichten, sind eine weitere Möglichkeit etwa bei der Erforschung lebensbedrohlicher Krankheiten. Rund 80 Millionen Euro stellt das Bundesforschungsministerium derzeit für PDPs bereit.
Pflicht der Staatengemeinschaft
Das Patentrecht, so die Professorin für Philosophie Corinna Mieth, von der Ruhr-Universität Bochum, könne jedenfalls keinen Ausschließlichkeitsschutz beanspruchen, solange es Alternativen gibt. Dann sei es auch die Pflicht der Staatengemeinschaft, politisch und rechtlich tätig zu werden, ohne die Industrie unzumutbar zu belasten.
Dieser konsensualistische Ansatz, der das Patentrecht nicht grundsätzlich infrage stellt, stößt dort an seine Grenzen, wo darüber entschieden wird, was erforscht wird.
Die Ethikrätin und Aktivistin Christiane Fischer verwies darauf, dass zwischen 1975 und 2006 unglaubliche 16.000 neue Substanzen patentiert wurden, bei den meisten handele es sich jedoch um Scheininnovationen. Nachdem sich die Schwellen- und Entwicklungsländer in den weltweiten Verhandlungen etwas Freiraum erstritten haben, setzen die Industriestaaten und insbesondere die EU nun auf bilaterale Verhandlungen.
Die sogenannten Trips-plus-Abkommen allerdings versuchen, die Patentansprüche der Unternehmen durchzusetzen – zum Schaden der Bevölkerung in den ärmeren Ländern.
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