Überwachung im Netz: Die Furcht vor Kontrollverlust

Kaum passiert etwas Negatives wie der „Prism“-Skandal in den USA, und schon wird das Internet an sich verunglimpft. Das ist ziemlich kurzsichtig.

Die Angst vor dem gläsernen Menschen. Bild: dpa

Jeder vierte Mensch in diesem Land geht davon aus, dass seine Daten beim Onlinebanking oder anderen virtuellen Bezahlvorgängen irgendwann mal ausspioniert werden. Steht in einer aktuellen Infratest-Umfrage. Noch keine belastbaren Zahlen gibt es indes zur Frage, wie viele Bürger längst davon ausgehen, dass ebendiese Daten bereits auf irgendeinem Server der National Security Agency liegen.

Weniger empirisch, dafür immerhin exemplarisch belegbar aber ist dies: Im Internet wie auch in der gedruckten Realität begegnen einem in diesen Tagen mannigfaltige Gebrauchsanweisungen für möglichst anonyme Exkursionen durch das Web, Anleitungen zur virtuellen Maskerade.

Denn wir fürchten uns: vor Datenkraken, vor Kontrollverlusten, vorm permanenten Körperscannen unseres virtuellen Ichs. Dagegen soll Netzwissen helfen. Das Wissen um eine App wie TextSecure beispielsweise, die immerhin zwischen Android-Smartphones einen komplex verschlüsselten Kurznachrichtenverkehr ermöglicht.

Das Wissen um das frei flottierende Tor-Netzwerk, ein Browser, der sich zufällig gegriffener Routeradressen bedient und seinen Nutzer eben noch in Oxford, dann schon wieder in Bad Oldesloe verortet. Kurz: In der virtuellen Welt gibt es wirkungsvolle Techniken der Camouflage. Und es mag gute Gründe geben, sich dieser zu bedienen.

Chancen, Risiken, Verheißungen, Verführungen

Aber es gibt genauso gute Gründe, sich etwas zu entspannen. Und das sogenannte Internet als das zu nehmen, was es ist: eine ganze Welt, nur eben eine virtuelle. Ein komplexes Netz aus Chancen, Risiken, aus Verheißungen und Verführungen. Eine Welt voller Freunde, Weggefährten, hilfsbereiter Menschen. Und voller Schnüffler, Spanner, Eckensteher.

Wie im realen Leben also. Falsch: Die Virtualität ist das reale Leben. Oder wie es Peter Glaser – Journalist, Blogger und absolut unverdächtig, Sympathien für Datensammler zu hegen – einmal gesagt hat: „Alle sollen doch gefälligst dankbar sein, dass es so viel Zeugs gibt.“

So viel Zeugs, nebenbei gemerkt, dass allein das Archivieren aller Datensätze, die die Bush-Administration in ihren acht Amtsjahren aus dem Netz gefischt hatte, etwa hundert Jahre dauern würde.

Wenn der eine dem anderen das Fahrrad klaut, ist daran nicht die ganze Welt schuld. Wenn aber der eine den anderen, bei einem Ebay-Deal übers Ohr haut, oder wenn ein soziales Netzwerk die offen ausgestellten Leidenschaften seiner Nutzer für personalisierte Werbeofferten nutzt – dann wird gerne die ganze digitale Welt in Sippenhaft genommen.

Wir sind im virtuellen Raum

Schon beklagt ein neuer Netzkonservatismus das Wesen des Virtuellen an sich. Wer sich in Gefahr begibt … Nur ist der virtuelle Raum weder eine Gefahr, noch kann man sich dorthin begeben. Wir sind längst mittendrin.

Als dieses Land noch geteilt war, hatte die National Security Agency in Westberlin rund 600 Spitzel, Spione und sonstige Zuarbeiter abgestellt. Auch heute ist davon auszugehen, dass die NSA über allzu viele Dinge Bescheid weiß, die nie in einem Mailpostfach lagen und nie via Glasfaserkabel übermittelt worden sind.

Datenkraken sind keine Erfindung des Internetzeitalters. Die Freiheit, als gesellschaftliches Ideal und als persönliches Lebensgefühl, ist es im Übrigen auch nicht. Und es wäre fatal, wenn uns ausgerechnet dieses in so vielen Momenten doch radikal libertinäre Netz nun an dieser Freiheit zweifeln ließe.

Vom Irrglauben, die Bespitzelung der eigenen Komfortzone aus netzbasiertem Konsum und netzbasierter Unterhaltungskultur mit der ganz reellen Angst jener zu verwechseln, die das Netz tatsächlich als Medium subversiver Praktiken und Vernetzungen nutzen und nutzen müssen, einmal ganz zu schweigen.

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