Syrer in Deutschland: Bitte verlassen Sie dieses Land
Ahmad Khaled kam aus Syrien nach Berlin, weil er seinen schwerkranken Kindern helfen wollte. Nun soll er nach Italien abgeschoben werden.
BERLIN taz | Der Aufenthaltsraum hat seine beste Zeit schon hinter sich, die pastellgelbe Farbe löst sich an einigen Stellen von den Wänden. Ahmad Khaled betritt das kleine, stickige Zimmer des Flüchtlingsheims in Berlin-Köpenick. Die Sozialarbeiterin öffnet das Fenster. Nur die Rufe der spielenden Kinder von draußen geben dem Ganzen eine freundliche Note.
„Ich mache mir große Sorgen um meine Frau und meine vier Kinder“, sagt Ahmad Khaled auf Arabisch, nachdem er Platz genommen hat. Ein Bewohner des Heims übersetzt. Khaled blickt nachdenklich auf seine Hände. Er sieht nicht aus, als wäre er erst 43 Jahre alt. „Ich kann unmöglich nach Italien zurück“, sagt er.
Ursprünglich kommt Khaled aus Syrien, lebte nahe der Hauptstadt Damaskus. Vor etwa einem Jahr musste er aus seiner Heimat fliehen. „Sie wollten mich umbringen“, sagt er und verzieht dabei keine Miene. Sein Gesicht wirkt beinahe emotionslos, nur in seinen Augen kann man die Unruhe erkennen. „Meine Kinder sind noch in Syrien. Ich musste erst einen Ort finden, an dem sie medizinische Versorgung bekommen können.“
Er erklärt, dass seine 14-jährige Tochter unter einer traumabedingten halbseitigen Gesichtslähmung leidet und sein 9-jähriger Sohn eine Lungenkrankheit hat und deswegen monatlich ins Krankenhaus muss. Außerdem habe der Junge Ausschlag am ganzen Körper, wahrscheinlich eine Mangelerscheinung. Ahmad Khaled ist ebenfalls krank, die Ärzte haben eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert.
Keine Hilfe in Italien
Schon letzten Sommer hat der Vater Asyl in Deutschland beantragt. Nun soll er nach Italien abgeschoben werden, weil bei der Durchreise seine Fingerabdrücke genommen wurden. Khaled will in Deutschland bleiben. „Ich habe das Lager in Italien gesehen. Da müssen zwanzig Menschen in einem Container leben. Zu essen haben wir auch nichts bekommen. Wenn ich zurückmuss, springe ich aus dem Fenster.“ Er sagt es so, als wäre das der einzig logische Schritt.
Muriel Trummer von der Schweizer Flüchtlingshilfe hat einen Bericht über die Bedingungen für Flüchtlinge in Italien verfasst und kennt die Lage. „Sobald die Flüchtlinge anerkannt sind, werden sie sich selbst überlassen. Die meisten werden obdachlos, leben in Slums oder in besetzten Häusern“, erklärt sie.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Ahmad Khaled als Syrer in Italien Flüchtlingsstatus erlangen wird, aber seine Kinder könnte er nur in die Obdachlosigkeit holen. „Es gibt kein Sozialhilfesystem in Italien. Die Flüchtlinge sind den Italienern gleichgestellt und bekommen keine zusätzliche Hilfe“, sagt Trummer.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sieht keinen Grund, die Abschiebungen nach Italien zu stoppen. Auf Anfrage der taz heißt es, dass generell und „unabhängig vom Herkunftsland Überstellungen nach Italien vorgenommen werden, da keine systematischen Mängel bestehen. Diese Einschätzung wird von verschiedenen Oberverwaltungsgerichten und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geteilt.“ Auf den Einzelfall will man aus Datenschutzgründen nicht näher eingehen.
Zwischen den Fronten
Sayyidah Zaynab, der Ort, in dem Khaled lebte, wurde schon im Sommer 2012 von der syrischen Armee eingekesselt. Viele seiner Nachbarn und Freunde habe er durch andauernde Raketenangriffe, Heckenschützen und Messerattacken verloren.
Er selbst sei dabei zwischen die Fronten geraten. Weil er Zugang zu einer Trinkwasseraufbereitungsanlage in einer Fabrik hatte und damit das ganze Dorf versorgte. Eines Tages habe die syrische Armee die Fabrik gestürmt und ihn mit einem Gewehr bedroht. „Ein Offizier warf mir vor, ich würde mit dem Wasser Regimegegner unterstützen“, sagt er. Khaled konnte entkommen, aber seine Helfer wurden verhaftet.
Einige Wochen später wurde das Haus seiner Eltern von einer Rakete getroffen. Dort angekommen stieß Khaled auf Plünderer. „Ich sagte ihnen, dass sie unser Land zerstören. Dann sagten sie, ich würde das Regime unterstützen, und schossen mehrmals auf mich, trafen aber nur mein Auto“, erinnert er sich. An diesem Punkt habe er sich dazu entschlossen, die Reise nach Europa anzutreten, um seine Familie in Sicherheit zu bringen.
Auf der Flucht
Am 20. Mai 2013 fuhr er mit dem Auto in den Libanon, flog dann in die Türkei und nahm dort ein Boot über Griechenland nach Italien. Dort lief er der Polizei in die Arme. Sie brachten ihn und drei Syrer, die mit ihm reisten, in ein Flüchtlingslager und verlangten Fingerabdrücke. „Die Polizisten haben uns versprochen, dass es dabei nicht um einen Asylantrag geht und dass wir danach gehen könnten“, erzählt Khaled.
Wer sich weigerte, seine Fingerabdrücke nehmen zu lassen, sei geschlagen worden. Khaled gab ihnen, was sie wollten – und durfte gehen. In Mailand sei ihm dann das Geld ausgegangen, weshalb ihn sein Bruder, der seit 25 Jahren in Dänemark lebt, mit dem Auto abholte.
Als sie in Stuttgart ankamen, wurden sie von der Polizei aufgehalten. Khaled sagt, dass die deutsche Polizei von seinen Fingerabdrücken in Italien gewusst habe, ihm aber aufgrund der Lage in Italien die Wahl gelassen hätte, weiterzuziehen oder einen Asylantrag zu stellen. Ahmad Khaled wollte bleiben. Im Juli 2013, nach zwei Monaten Flucht, stellte er einen Asylantrag und wurde in das Berliner Flüchtlingsheim gebracht. Sein Bruder habe aus Stuttgart eine Strafe über 8.000 Euro wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise bekommen.
Nach der Anhörung beim Bundesamt im Oktober 2013 habe er fest mit einem positiven Bescheid gerechnet. „Die drei Syrer, mit denen ich in Italien festgehalten wurde, durften ja auch in Deutschland bleiben – trotz der Fingerabdrücke“, erzählt Khaled. Doch im Februar 2014 kommt der Abschiebebescheid. Wegen der Abdrücke, die in der Eurodac-Datenbank gespeichert sind, soll Khaled zurück nach Italien. Mithilfe dieser EU-weiten Plattform können die Mitgliedstaaten die Zuständigkeit in einem Asylverfahren bestimmen oder untereinander klären.
Albträume vom Krieg
Ahmad Khaled klagte vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen den Abschiebebescheid, aber die Klage wird abgelehnt. In der Begründung heißt es, dass Italien für Flüchtlinge zumutbar sei. Dabei könnte ihn schon die Reise das Leben kosten. Neben der posttraumatischen Belastungsstörung diagnostizierten die Ärzte auch depressive Episoden und Bluthochdruck. „Mit möglichen schweren gesundheitlichen Folgeschäden, wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, wäre für den Fall einer Abschiebung zu rechnen“, steht in seinem Attest.
Außerdem habe Khaled Schlafstörungen und Albträume. „Flashbacks“ nennen das die Ärzte. Khaled sagt, er erlebt den Krieg wieder und wieder. „Er wird noch wahnsinnig“, erklärt der Übersetzer und macht mit dem Zeigefinger eine kreisende Bewegung an der Schläfe.
Im Attest steht auch, dass er latent suizidgefährdet sei. Nur seine in Berlin lebende Schwester gebe ihm gerade den notwendigen Halt. Dass er eine Schwester in Deutschland und einen Bruder in Dänemark hat, bei dem auch seine Eltern leben, wird bei der Entscheidung über die Abschiebung nicht berücksichtigt. Denn nach Definition in der Dublin-III-Verordnung gelten für Erwachsene nur Ehegatten und Kinder als Familienangehörige.
Letzte Woche wurde Khaled von der Ausländerbehörde aufgefordert, das Land zu verlassen. Seine Sozialarbeiterin bemüht sich nun um Kirchenasyl. Damit wäre sein Aufenthalt nicht gesichert, aber zumindest würde es ihm mehr Zeit verschaffen.
Mit seiner Frau und den Kindern in Syrien steht Ahmad Khaled in Kontakt. „Wir telefonieren, sooft es geht“, erzählt er. Bereits seit einem Jahr ist er von ihnen getrennt. „Das macht mir sehr zu schaffen“, sagt er, und das Lachen der spielenden Kinder, das durch das offene Fenster dringt, wirkt einen Moment lang unangebracht.
Update (11. Juni 2014): Herr Khaleds Sozialarbeiterin teilt mit, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Selbsteintrittsrecht ausgeübt hat – also freiwillig erklärt hat, dass das Asylverfahren von Herrn Khaled in Deutschland durchgeführt werden soll.
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