Studie über Pflanzenschutzmittel: Unkraut vergeht, der Mensch auch
Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt vor dem Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat: Laut einer Studie ist es „wahrscheinlich krebserzeugend“.
BERLIN taz | Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das weltweit am meisten genutzte Unkrautvernichtungsmittel, Glyphosat, als „wahrscheinlich krebserzeugend bei Menschen“ eingestuft. Das ist die zweithöchste der fünf WHO-Kategorien für Krebsrisiken von Wirkstoffen. Dabei hatten deutsche Behörden erst kürzlich bekräftigt, dass von dem Pestizid keine Gesundheitsgefahr ausgehe.
Die Internationale Agentur für Krebsforschung der WHO teilte nun aber in der Fachzeitschrift The Lancet mit, es gebe „begrenzte Nachweise an Menschen“ für das krebserzeugende Potenzial von Glyphosat. Drei Vergleichsstudien zwischen Personen mit und ohne Kontakt zu der Chemikalie in Kanada, Schweden und den USA hätten erhöhte Risiken für das Non-Hodgkin-Lymphom gezeigt, einer Gruppe von Krebserkrankungen.
Nicht nur als „begrenzt“, sondern sogar als „ausreichend“ schätzen die Experten die Belege dafür ein, dass die Chemikalie bei Mäusen und Ratten zu Tumoren führt. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hatte nach einer eigenen umfangreichen Auswertung von Studien zuletzt im Januar bestätigt, dass „keine Hinweise auf eine krebserzeugende“ Wirkung durch Glyphosat vorlägen. Bislang wurde erwartet, dass die EU die Zulassung für den Stoff in diesem Jahr verlängert – auch auf Grundlage des BfR-Berichts.
Umweltschützer hatten das Fazit des BfR von Anfang bezweifelt. Das Amt habe sich vor allem auf Studien gestützt, die von den Glyphosat-Herstellern in Auftrag gegeben worden seien, kritisiert etwa der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Es fehlten Untersuchungen, wie geringe, aber über einen langen Zeitraum aufgenommene Glyphosat-Dosen auf Menschen wirkten.
Sollte sich Glyphosat als krebserregend herausstellen, hätte das weitreichende Folgen. 92 der in Deutschland zugelassenen Pestizide enthalten den Wirkstoff – allen voran der Unkrautvernichter „RoundUp“ des US-Agrochemiekonzerns Monsanto. Die Substanz wird auch in privaten Gärten, öffentlichen Parkanlagen oder an Bahngleisen benutzt. Da Landwirte mit ihm auf dem Feld unerwünschte Pflanzen töten oder die Reifung von Getreide beschleunigen, werden geringe Mengen regelmäßig in Lebensmitteln gefunden. Besonders zugenommen hat der Glyphosat-Verbrauch weltweit, weil die meisten gentechnisch veränderten Pflanzen gegen den Stoff resistent sind.
Strengere Auflagen notwendig
Möglicherweise werden nun für alle diese Anwendungen wegen der WHO-Einstufung strengere Auflagen erlassen. Andreas Kortenkamp, Toxikologe an der Londoner Brunel University, sagte der Financial Times: „Die Behörden in der EU müssen nun prüfen, ob die aktuellen Maßnahmen reichen, um Verbraucher und Pestizidanwender vor Krebsrisiken zu schützen.“ Fraglich ist auch, ob die Zulassung von Glyphosat wie geplant verlängert werden kann.
Allerdings wies der europäische Zusammenschluss der Glyphosat-Hersteller die WHO-Einstufung zurück. Sie stehe im Widerspruch zu den Einschätzungen aller Zulassungsbehörden weltweit, erklärte die Glyphosate Task Force. Die WHO habe „lediglich eine Auswahl öffentlich zugänglicher Informationen“ geprüft. Die Ämter verfügten aber über mehr Untersuchungen. „Diese Studien liefern den eindeutigen Nachweis, dass Glyphosat kein genotoxisches oder karzinogenes Potenzial besitzt“, so die Chemieunternehmen.
Das BfR war am Wochenende nicht für eine Stellungnahme erreichbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen