Stratege über Piraten-Wahlkampf: „Wie eingeschlafene Füße“
Trotz der Geheimdienstskandale ist es weiter still um die Piraten. Sie gehen ihre Bundestagskampagne zu brav an, sagt der Unternehmensphilosoph Dominic Veken.
taz: Die halbe Welt ist wegen der jüngsten Geheimdienstskandale in Aufregung – eigentlich eine Steilvorlage für die Piraten. Kann die gerade vorgestellte Kampagne sie aus dem Umfragetief holen?
Dominic Veken: Nein, das sehe ich nicht. Es stimmt zwar: Für die Piraten könnte es gar keine bessere Wahlkampfzeit geben. Es gibt gerade so viel, wogegen die Partei aufbegehren und mobilisieren kann. Aber die Anmutung ihrer Kampagne stimmt einfach nicht.
Gefallen Ihnen denn nicht die orange-blauen Wahlplakate mit Slogans wie „Stell Dir vor, Du wirst gefragt“ oder „Piraten kann ich nachvollziehen“?
Das ist doch wie eingeschlafene Füße. Ich halte diese Wahlkampagne für kontraproduktiv, ihr fehlt komplett die Kraft der Polarisierung. Früher wurden die Piraten gewählt, weil sie als echte Alternative galten, als subversive Kraft. So lieb, nett und freundlich, wie sie sich jetzt präsentieren, sind sie eine Partei wie jede andere geworden, nicht mehr subversiv, sondern angepasst. Damit geht der Grund verloren, warum man Piraten gewählt hat.
Woran machen Sie das fest?
Zentral ist für mich der geistige Kern einer Wahlkampagne. Früher haben die Piraten mit „Klarmachen zum Ändern“ geworben – das war humoristisch-aggressiv und ein Versprechen, den Laden der etablierten Politik aufzumischen. Heute steht als Kernsatz unter den Plakaten „Piraten wählen“. Das ist komplett austauschbar.
ist selbständiger Unternehmensphilosoph. 2009 war er als Chefstratege der Hamburger Agentur Kolle Rebbe für den CDU-Bundestagswahlkampf verantwortlich.
Aber wenn sich die Piraten nach fast zwei Jahren in mehreren Landesparlamenten immer noch so laienhaft und ungehobelt präsentieren würden wie anfangs, würde ihnen das vermutlich auch vorgeworfen…
Es ist das Lebenselixier der Piraten, dass sich Leute über sie aufregen und ihnen Dinge vorwerfen. Das bringt sie erst in die Presse, dann wird über sie diskutiert. Bei jedem ihrer Plakate müssten mindestens 40 Prozent der Wähler sagen: Das geht ja gar nicht! Erst dann würde überhaupt eine Aufmerksamkeit entstehen. Ein bisschen Skandal muss schon sein, sonst ist die Partei irrelevant.
Die SPD zieht mit 23 Millionen Euro in den Wahlkampf, die Piraten können nach eigenen Angaben 400.000 Euro ausgeben. Hat die Partei mit diesem Budget überhaupt eine Chance?
Ja, aber nur wenn sie sich klar als Gegenbewegung positioniert. Die Piraten müssen aufbegehren und eine Art Aufbruchstimmung schaffen. Sie müssen spielerisch und ironisch agieren. Genau das darf ja eine Partei wie die CDU gar nicht, weil es den Gegner mobilisieren und die eigenen Wähler verschrecken würde. Die Piraten dagegen könnten Vollgas geben.
Die Piraten sollten im Wahlkampf so provozieren, dass wir Journalisten für sie die Werbung übernehmen?
Genau. Die Piraten müssen ja sowieso nur sechs bis acht Prozent der Wähler ansprechen. Das heißt: Selbst wenn 80 Prozent empört sind, dürfte es am Ende von Vorteil sein.
Die Piraten loben ihre Kampagne als „hausgemacht“. Sie haben keine Werbeagentur gebucht, sondern basisdemokratisch über die Slogans abgestimmt. Ist das nicht richtig bei einer Partei, die viel Wert auf Mitbestimmung durch die Basis legt?
Eine provozierende Wahlkampfstrategie kann man nicht basisdemokratisch entwickeln. Die Regel heißt hier: Gremium ist nicht premium. Je mehr Leute mitreden, desto weichergespült wird das Ganze, desto mehr Ecken und Kanten fallen weg. Wenn alle mitreden, bleibt das übrig, worauf sich alle einigen können. Dann fehlt die Kraft der Polarisierung – so wie bei dieser Piratenkampagne.
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