Philosoph über Festessen und Tierrechte: „Fleisch ist keine alltägliche Nahrung“
Massentierhaltung ist Tierquälerei, aber die wenigen Veganer ändern kaum etwas daran. Konrad Ott empfiehlt Koalitionen aus Tierrechtlern und -schützern.
taz: Herr Ott, warum dürfen Menschen Tiere essen – zum Beispiel als Weihnachtsbraten?
Konrad Ott: Die meisten Nutztiere können als Augenblicksgeschöpfe gelten, denen man nicht viel nimmt, wenn man sie nach einem guten Leben rasch und schmerzlos tötet und durch andere Tiere der gleichen Art ersetzt. Von Menschen unterscheiden sie sich hinsichtlich Eigenschaften wie Selbstbewusstsein und Reflexivität. Tiere sind empfindende Wesen, aber keine geistig-diskursiven Wesen. Deshalb setze ich Menschen und Tiere nicht einfach moralisch gleich. Genau dies tun Tierrechtler.
Was meinen Sie damit, dass man einem Tier nicht viel nehme, wenn man es tötet?
Tiere sind durch Artgenossen ersetzbar. Ersetzbarkeit halten wir beim Menschen nicht für zulässig, weil jeder Mensch eine eigene Person mit einer unwiederholbaren Individualität ist. Da die meisten Tiere Augenblicksgeschöpfe ohne ausgeprägte Individualität sind, gilt für sie kein striktes Tötungsverbot.
Warum wehren sich Tiere trotzdem gegen ihre Tötung?
Tun sie das? Schafe beispielsweise wehren sich interessanterweise kaum. Ich habe mal an einer indischen Opferzeremonie teilgenommen. Es war alles voll Blut, und die Schafe blieben völlig ruhig und knabberten an ihrem Kräutlein.
Schweine widersetzen sich aber schon, oder?
Ja, Schweine geraten in Panik und könnten Todesangst empfinden. Dies sollte bei Schlachtungen unbedingt vermieden werden.
Manche Tierrechtler argumentieren, Schweine seien intelligenter als ein durchschnittliches 3-jähriges Kind. Darf man solche Tiere wirklich töten?
57, ist Professor für Philosophie und Ethik der Umwelt an der Universität Kiel. 2013/2014 leitete er ein Forschungsprojekt über den Beitrag eines bewussteren Fleischkonsums zu mehr Naturschutz, Klimaschutz und Gesundheit.
Menschen haben viel mehr Potenziale als Tiere. Ein Säugling entwickelt sich zu einer Individualität und einer Persönlichkeit, wozu ein Schwein nicht in der Lage ist. Es mag Tierarten geben, die uns in puncto Kommunikation und Intelligenz so nahekommen, dass wir ihren Exemplaren einen Personenstatus zuerkennen sollten. Ich würde auch ein Tötungsverbot für diese Tiere verteidigen. Dies sind insbesondere Schimpansen, Gorillas und andere Menschenaffen sowie Meeressäuger wie Wale und Delfine. Auch Elefanten und Raubkatzen kommen in Betracht. Die Tierethik sollte Art für Art betrachten.
Sind solche Grenzziehungen nicht willkürlich?
Die absolute Gleichbehandlung aller Tiere ohne Ansehen der Artzugehörigkeit – vom Schimpansen bis zur Maus – ist kontraintuitiv. Das heißt: Sie widerspricht sehr stark unserer Alltagsmoral und auch unserem biologischen Wissen. Dadurch haben wir ein Recht, gewisse Festlegungen und Unterscheidungen zu treffen. Wir treffen ja auch andere Festlegungen, zum Beispiel, dass man ohne Erlaubnis der Eltern mit 18 heiraten darf, und nicht schon mit 14 und nicht erst mit 28. Solche Festlegungen sind für das praktisch-moralische Leben unvermeidlich. Sie müssen nur sachgerecht sein.
Früher war auch die Sklaverei moralisch weitgehend akzeptiert. Das hat sich halt geändert.
Es gibt Praktiken, die muss man verbieten, und Praktiken, die man graduell so verbessern kann, dass sie moralisch akzeptabel werden. Sklaverei lässt sich nicht graduell reformieren; die Nutztierhaltung vielleicht doch.
Müssten wir für ein absolutes Verbot, Tiere zu nutzen, auch in anderen Weltregionen kämpfen?
Wenn Tiere Rechte haben, dann haben sie sie immer und überall. Dann müssen sie auch die Mongolen, die Massai und die anderen nomadischen Tierhaltervölker beachten. Oder wir sagen: Das ist eine Moral nur für westlich urbanisierte Lebenswelten.
Diese Völker könnten ohne Tierhaltung nicht überleben – anders als wir in den Industrieländern.
Man könnte auch sagen: Die Massai werden zwangsweise zu Ackerbauern umgeschult, da ihre Lebensform unmoralisch ist. Das wäre extrem paternalistisch. Die Inuit und Sami müssten wir dann mit Gemüsekonserven ernähren. Aber das sind nicht so viele Menschen, und das würden wir auch noch hinkriegen. Sie dürften nur kein Robben- und Rentierfleisch mehr essen. Tierrechtler können auch die Jagd nicht billigen.
Welche Konsequenzen hätte ein Tierhaltungsverbot für die Tiere?
Das Problem bei den Tierrechtlern ist, dass sie sich zwar für die Rechte der Tiere einsetzen. Aber die Umsetzung ihrer Forderungen würde darauf hinauslaufen, dass es sehr viel weniger Schweine und Rinder gäbe. Wäre dies im Sinne dieser Tiere? Dagegen sorgen die gemäßigten Tierschützer, die das Leben der Nutztiere deutlich verbessern möchten, letztlich dafür, dass viele Tiere existieren, um deren gutes Leben sich die Tierhalter kümmern müssen.
Wie müssen Tiere gehalten werden, wenn wir sie essen wollen?
Den Nutztieren sind wir ein hohes Maß an Tierwohl, also ein tier- und artgerechtes Leben schuldig. Wir müssen ihnen die sogenannten 5 Freiheiten gewähren. Erstens: Freiheit von Hunger und Durst. Zweitens: Kontakt mit Artgenossen. Drittens: Müssen sie den Tieren viel Bewegungsfreiheit geben. Deshalb sollten Nutztiere mehr in der Landschaft und nicht nur in Ställen gehalten werden. Viertens: Sind Menschen für tierische Gesundheit verantwortlich. Und fünftens: Sollte ein Tier die Erfahrung der Fortpflanzung machen können.
Erfüllt die Tierhaltung bei uns diese Bedingungen?
Vor allem Bewegungsfreiheit – noch dazu in einem halbwegs artgemäßen Umfeld – wird in der industriellen Tierhaltung kaum gewährt. Die industrielle Tierhaltung muss tiefgreifend reformiert werden. In ihrer jetzigen Form ist sie weder nachhaltig noch tiergerecht.
Wo gibt es so eine akzeptable Tierhaltung?
Manche Bauern halten ihre Kühe ganzjährig auf der Weide. Es wäre auch für den Naturschutz besser, wenn wir extensive Weidewirtschaft auf Flächen machen würden, die für Ackerbau nicht besonders gut geeignet sind. Ich wünsche mir viel mehr Tiere in der Landschaft: Rinder, Schafe, Ziegen. Warum nicht wieder Waldweide mit Schweinen und Selbstversorgung mit Kleinvieh? Bio ist ein guter Ansatz, doch auch da gibt es teilweise Verbesserungsbedarf.
Aber selbst artgerecht gehaltene Tiere werden am Ende getötet. Wie muss das geschehen, damit es moralisch vertretbar ist?
Die Tötung muss extrem schnell und schmerzlos erfolgen, am besten so, dass das Tier davon praktisch nichts mitbekommt. Und es darf nicht zu Todesangst kommen, anders als bei langen qualvollen Transporten zum Schlachthof. Wenn ein Rind dagegen von der Weide weggeschossen wird, kriegt es von seinem Tod praktisch nichts mit. Man könnte auch mit Betäubungen arbeiten.
Im Schlachthof werden Rindern meist mit einem Bolzenschussgerät Teile des Gehirns zertrümmert, um sie zu betäuben. Wie beurteilen Sie das?
Wenn das in Fließbandarbeit gemacht werden muss, kommt es wahrscheinlich in vielen Fällen dazu, dass die Tiere nicht sofort betäubt sind und dass sie von den weiteren Schritten etwas mitbekommen. Das ist sehr grausam. Fließbandtötung sollte unzulässig sein.
Kann man für Massenverzehr überhaupt genug Fleisch unter akzeptablen Bedingungen produzieren?
Wohl kaum. Wir essen durchschnittlich viel zu viel Fleisch. Das Töten eines Tieres ist kein Akt, den man auf die leichte Schulter nehmen oder verniedlichen darf. Fleisch ist daher eine besondere und außergewöhnliche, keine alltägliche Form der Nahrung. Man sollte nur anständig erzeugtes Fleisch konsumieren; und dies eher selten.
Im Moment essen Männer in Deutschland im Schnitt rund 1.100 Gramm Fleisch pro Woche. Müssen die Zahlen drastisch sinken?
Ich wäre in einem ersten Schritt schon zufrieden, wenn man die Ziele der Deutschen Gesellschaft für Ernährung erreichen würde – also um die Hälfte weniger essen als derzeit. Es wäre auch schon viel gewonnen, wenn die Männer in Deutschland nur so viel verzehrten wie die Frauen, die ungefähr nur die Hälfte zu sich nehmen. Von einigen kulturellen Praktiken sollte man Abstand gewinnen: Wenn im Sommer tagtäglich billiges Schweinefleisch auf die Grills geschmissen wird, sollte man sich davon schon aus gesundheitlichen Gründen verabschieden.
Tragen Veganer wirklich dazu bei, dass weniger Tiere leiden?
Der Veganer und die Veganerin setzen ein Zeichen. Sie handeln nach ihren moralischen, häufig tierrechtlichen Prinzipien. Dies ist ehrenwert auch dann, wenn man diese Prinzipien nicht teilt, also Tieren kein Lebensrecht zuerkennt. Aber da diese Prinzipien nicht gesellschaftsweit verbindlich sind, ändert sich durch individuelles Verhalten nichts Grundlegendes an dem, was in Schlachthöfen und in den Ställen passiert. Zielführender ist es, gemeinsam mit Tierhaltern an runden Tischen Verbesserungen auszuhandeln, wie dies in einigen Bundesländern geschieht.
Was empfehlen Sie Tierrechtlern?
Tierrechtler und gemäßigte Tierschützer sollten auf kurze und mittlere Sicht eine starke Koalition bilden. Nur in den ganz langfristigen Zielen unterscheiden sie sich. Aber die nächsten 20, 30 Jahre plädiere ich dafür: Lasst uns mal die rein tierethischen Differenzen ein Stück weit zurückstellen und kräftige Koalitionen schmieden, um dann für die gezähmten Tiere politisch wirklich etwas herausholen zu können. Ein allererster Schritt wäre die Einführung des vollen Mehrwertsteuersatzes auf alle Fleischprodukte.
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