piwik no script img

Parlamentswahl in PolenWas steht in den Wahlprogrammen?

Laut Umfragen lag die rechtskonservative PiS vor der polnischen Parlamentswahl klar vorn. Ein Überlick über die Parteien und ihre Programme.

In Polen wird gewählt Foto: ap

In Polen hat die Parlamentswahl begonnen. Mehr als 30 Millionen Wähler können über die Verteilung der 460 Abgeordnetenmandate im polnischen Abgeordnetenhaus, dem Sejm, sowie über die 100 Sitze im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, entscheiden. Erste Prognosen werden nach Schließung der Wahllokale um 21 Uhr erwartet.

Die rechtskonservative Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) lag zuvor in Umfragen deutlich vorn. Demnach kommt die Regierungspartei auf 42 bis 48 Prozent. Fraglich ist, ob sie unter Regierungschef Mateusz Morawiecki die absolute Mehrheit erlangen kann.

Die Opposition dürfte insgesamt auf eine ähnliche Stimmenanzahl wie die Regierungspartei kommen, ist aber zerstritten. Das liberalkonservative Bündnis Bürgerkoalition (KO), das aus der früheren Regierungspartei Bürgerplattform (PO) hervorgegangen ist, liegt laut Hochrechnungen bei 26 bis 29 Prozent. Auch das Linksbündnis SLD und die Polnische Koalition der Bauernpartei PSL werden voraussichtlich die 5-Prozent-Hürde überspringen und in den Sejm einziehen.

Was steht im Programm der einzelnen Parteien?

PiS (Recht und Gerechtigkeit)

Die nationalpopulistische Regierungspartei PiS nimmt auf ihren Wahllisten auch Kandidaten der Parteien „Solidarisches Polen“ und „Verständigung“ mit. Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczyński startet nicht in der Kandidaten-Rolle eines künftigen Premiers, was sich aber nach den Wahlen ändern könnte. Denn Kaczyński kündigte bereits an, nach der kommenden Amtszeit von 2019 bis 2023 in Rente gehen zu wollen.

Sozialpolitik

- Stufenweise Erhöhung des Mindesteinkommens auf 4.000 Złoty (etwa 960 Euro) bis 2023

- Fortsetzung des Kindergeldprogramms 500plus für jedes Kind (etwa 120 Euro monatlich unabhängig vom Einkommen)

- 13. Rente ab sofort jährlich, 2020 sogar eine 14. Rente

- Wegfall der Einkommensteuer für junge Arbeitnehmer bis 26 Jahre (unabhängig vom Einkommen)

- Ausbau des Wohnungsbau-Programms „Wohnungplus“

Gesundheitspolitik

- Steigerung der Gesundheitsausgaben auf bis zu 160 Milliarden Złoty (etwa 39 Milliarden Euro) bis 2023

- Bau des modernsten Krebszentrums in Europa für 1 Milliarde Złoty (etwa 860 Millionen Euro)

- Einrichtung eines Fonds zur Krankenhaus-Modernisierung

Verkehrspolitik

- Wiedereröffnung stillgelegter Regional-Eisenbahnstrecken

- 100 Umgehungsstraßen, um Stadtzentren zu entlasten

Bildungspolitik

- Anhebung des Lehrergehalts um 6 Prozent im Jahr 2020

- Einführung des Schulfachs „Patriotismus und Staatsbürgerkunde“

Justiz

- Fortsetzung des Reformprogramms (ohne Einzelheiten)

Umbau der Staatsstrukturen

- Stärkung der Regierung (Zentralisierung der Macht) gegenüber der regionalen und lokalen Selbstverwaltung

KO (Staatsbürger-Koalition)

Die KO besteht aus der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO), der neoliberalen „Moderne“ (N) und den linksliberalen Grünen. Während die PO wie die N vier Jahre Oppositionszeit hinter sich haben, werden die Grünen in dieser Koalition zum ersten Mal überhaupt ins polnische Parlament einziehen. Małgorzata Kidawa-Błońska, eine für ihre ausgleichende Art bekannte PO-Politikerin, startet als Premierminister-Kandidatin.

Sozialpolitik

- Beibehaltung des von der PiS eingeführten Kindergelds 500plus sowie auch der 13. Rente

- Beibehaltung des von der PiS eingeführten Renteneintrittsalters von 65 Jahren für Männer und 60 Jahren für Frauen

- Zuzahlung von bis zu 600 Złoty (etwa 145 Euro) für Geringverdiener bis 4.500 Złoty (etwa 1.080 Euro)

- Absenkung des Krankenkassen- und Rentenbeitrags für Klein- und Kleinst-Unternehmer

- Befreiung junger Unternehmensgründer vom Krankenkassen- und Rentenbeitrag

- Gehalt schon in der Ausbildungszeit und Stipendien für berufliche Fortbildungskurse

Gesundheitspolitik

- Wartezeit auf einen Termin bei einem Spezialisten: maximal 21 Tage

- Einführung des Arzt-Assistenten als neuen Beruf und Schaffung eines entsprechenden Studiengangs

- Anhebung des Gehalts für Ärzte und medizinisches Personal

- Die medizinische Behandlung in Polen soll das höchtsmögliche Niveau in der EU haben

Bildungspolitik

- Anhebung des Lehrergehalts

- Für Kinder: Schule ohne Ranzen

- Für Studenten: drei Tage Theorie, zwei Tage Praxis an allen Hochschulen

Umbau der Staatsstrukturen

- Wiederherstellung der Demokratie in Polen

- Wiederherstellung der Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts, des Landesgerichtsrats sowie des gesamten Gerichtswesens

SLD (Bündnis der demokratischen Linken)

Die SLD nimmt auf ihren Wahllisten auch Kandidaten der Parteien „Frühling“ (Wiosna) und „Gemeinsam“ (Razem) mit. Bei den letzten Wahlen schaffte es keine einzige linke Partei in den Sejm. Während die postkommunistische und heute sozialdemokratische SLD auf eine lange parlamentarische Erfahrung zurückschauen kann, sind sowohl Wiosna als auch Razem Politik-Neulinge. Umfragen zufolge können sie mit bis zu 15 Prozent der Stimmen rechnen. Damit wären sie die dritte Kraft im Sejm.

Sozialpolitik

- Garantierte Grundrente für alle

- Soziales Wohnungsbauprogramm auf der Basis von Ratenzahlungen

Gesundheitspolitik

- Wartezeit auf einen Termin bei einem Spezialisten: maximal 30 Tage

- Anstellung von zusätzlich 50.000 Ärzten innerhalb der nächsten sechs Jahre

- Zuzahlung für Medikamente auf Rezept: höchstens 5 Złoty (1,20 Euro)

Bildungspolitik

- Neues Schulpflichtfach „Sexualkunde“

- Ausstattung aller Schulen mit guten Computern und Internetzugang

- Mehr Geld für die Ausbildung von Lehrern und deren Besoldung

Weltlicher Staat

- Liquidierung des staatlichen Kirchenfonds

- Religionsunterricht nicht mehr an staatlichen Schulen

- Fiskalische Kassen verpflichtend auch für Priester, Besteuerung des Realeinkommens von Priestern

- Gleichstellung von Mann-Frau-Ehen mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften

Umweltpolitik

- Ausstieg aus der Kohle

Umbau der Staatsstrukturen

- Wiederherstellung der lokalen und regionalen Selbstverwaltung

KP (Polnische Koalition)

Die Polnische Koalition hat sich speziell zu den Wahlen 2019 gegründet und besteht aus der konservativen Bauernpartei PSL, der rechtsanarchistischen Kukiz'15-Partei sowie einigen bisher außerparlamentarischen Gruppierungen. Bis vor kurzem standen PSL und Kukiz'15 noch auf Kriegsfuß miteinander, doch die PSL musste im Mai 2019, als sie bei den Europa-Wahlen in einer Koalition mit der PO und der SLD startete, eine herbe Schlappe bei ihren Stammwählern einstecken. Kukiz'15 soll nun die rechten Wähler zurückholen. Dennoch wollen Umfragen zufolge gerade mal 5 bis 6 Prozent der Wähler für die KP stimmen. Sie könnte also auch an der 5-Prozent-Hürde scheitern.

Sozialpolitik

- Beibehaltung des von der PiS eingeführten Kindergeldes 500plus und dessen Ausdehnung auf studierende Kinder bis zum 26. Lebensjahr

- 1.000 Złoty (etwa 240 Euro) monatliche Unterstützung für behinderte Kinder und 500 Złoty (etwa 120 Euro) für behinderte Erwachsene

- Befreiung der Rente von der Einkommenssteuer

Gesundheitspolitik

- Erhöhung der Gesundheitsausgaben auf 6,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (von bisher 4,9 Prozent)

- Kostenlose Arzneien für Kinder

- Kostenlose Zahnbehandlung für Kinder

- Besseres Essen in Krankenhäusern

Bildungspolitik

- Tablets statt schwerer Schulbücher für die Kinder

- Warmes Schulessen für alle Kinder

- Englisch ab der ersten Grundschulklasse

- Erhöhung des Lehrergehalts

Steuerpolitik

- Keine Umsatzsteuer auf „gesunde polnische Lebensmittel“

Umbau der Staatsstrukturen

- Direktwahl des Ombudsmanns und des Generalstaatsanwaltes

- Obligatorische und bindende Referenden zu den wichtigsten Fragen

- Parlamentswahlen auch im Internet

Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit

In der „Konföderation Freiheit und Unabhängigkeit“ haben sich mehrere antieuropäische, nationalistische und rechtsradikale Parteien zusammengeschlossen, darunter die Partei „Korwin“, die auf den Namen des einstigen Parteichefs Janusz Korwin-Mikke zurückgeht, sowie die Nationale Bewegung mit ihrem Chef Robert Winnicki. Insbesondere Polens Erstwähler stimmen gern für rechtsradikale Parteien, die sie als Protestparteien gegen den Mainstream wahrnehmen.

Bei den Parlamentswahlen 2015 kamen viele der nationalistischen Politiker über die Wahlliste von Kukiz'15 ins polnische Parlament. Da der Ex-Rocksänger Pawel Kukiz in diesem Jahr aber eine Koalition mit der Bauernpartei PSL eingegangen ist, mussten sich die Nationalisten in einer eigenen Partei – der Konföderation – zusammenschließen. Den meisten Umfragen zufolge haben sie keine Chance, ins polnische Parlament einzuziehen, doch es gibt auch Ausreißer: Sollten mehr Erstwähler als erwartet ihre Stimme abgeben, könnte die Konföderation auf 5 bis 7 Prozent der Stimmen bekommen und dann tatsächlich die Rolle eines Züngleins an der Waage wahrnehmen. Denn dann käme sie als Koalitionspartner der bislang allein regierenden PiS in Frage.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Brot und Spiele dürfte erfolgreich sein. PiS spielt genau die Tasten die sie spielen muss damit gerade demokratieunerfahrene (und vlt auch weniger gebildete einfache Leute, wie sie Sozialismus und Kommunismus massenhaft auf dem Land haben entstehen lassen) über den Rest hinwegsehen. Funktioniert nicht nur in Polen so, auch viele Teile des nahen Ostens werden so bespielt bevors zu demokratisch wird. Und große Länder wie Indien machen einen solchen Wandel wie Polen gerade durch.

  • Die autoritär tendierenden Rechtspopulisten stehen vor der interessanten Entscheidung: Befürworten sie national-soziale Politik (wie in Polen und Frankreich) oder marktradikale Politik (wie in den USA, GB).

    Wie lässt sich die AfD hier einordnen? Weidel und Meuthen sicher marktradikal, Götz Kubitschek (Antaios, IfS) wohl eher national-sozial. Höcke? Gauland?

    Wie steht eigentlich die AfD zur PiS - und wie die PiS zur AfD? Ich vermute mal, dass sie sich gegenseitig widerwärtig finden. Aus ganz banal nationalistischen Gründen. Geschichtsbedingt, sozusagen. Aber auch, weil die AfD Putin toll findet - was die PiS sicher ihr nicht verzeihen kann.

    • @Leo Brux:

      Hilft nix, sie wollen trotzdem als erstes mal gemeinsam zB mit dem RN die EU kaputt hauen. Danach erinnert man sich, und kann dann noch immer Krieg gegeneinander führen. Es gibt Leute denen ein friedliches Miteinander zu stressig ist. Wie früher die Autonomen. Habe ich auch nie verstanden so wenig wie ich dass heute alles verstehen in Sinne von gutheißen kann.