Osnabrück buddelt einen Fluss aus: Weg vom Beton, hin zum Beton

Um autofreundlich zu sein, hat Osnabrück in den 60ern die Hase einbetoniert, die mitten durch die Stadt fließt. Schritt für Schritt wird der Fluss nun wieder zugänglich gemacht

Unter dem Asphalt liegt der Strand, also zumindest der Fluss: Die Hase wurde 1967 zubetoniert. Foto: Simone Schnase

OSNABRÜCK taz | Schön ist es hier, auf diesem Steg am Hasewehr, drei Gehminuten entfernt vom Hauptbahnhof. Die Füße baumeln im Wasser, eine Entenfamilie lässt sich vorbeitreiben, eine junge Frau sitzt im Schatten unterm Baum und liest ein Buch. Nach einer Fahrt mit kaputter Klimaanlage im hoffnungslos überfüllten IC kehrt langsam wieder innerer Frieden ein. Es ist schon beruhigend, so ein plätscherndes Flüsschen. Eine simple Erkenntnis – für die Osnabrück freilich Jahrzehnte benötigt hat.

Hätten Stadtmarketing-Experten Sinn für knackige Slogans, wäre Osnabrück bekannt als „Die Stadt mit dem einbetonierten Fluss“. Die 165.000-Einwohner-Stadt hätte dann vielleicht einen etwas interessanteren Ruf als den des netten, aber mittelmäßigen Oberzentrums für das dünn besiedelte Land drumherum. Stadtmarketing-Experten haben aber keinen Sinn für knackige Slogans. Und so wird Osnabrück seit Menschengedenken wahlweise als „Friedensstadt“ – wegen des Westfälischen Friedens, der hier 1648 geschlossen wurde – oder als „Hasestadt“ vermarktet.

Und erntete vor allem für Letzteres stets Hohn und Spott. Das Gelächter ist in den letzten Jahren immer leiser geworden. Denn Stück für Stück taucht sie wieder auf, die vielgerühmte, aber scheinbar nicht vorhandene Hase. Denn die war weitestgehend unsichtbar – auch, wenn sie in Wahrheit nur zum Teil unter Beton begraben war.

Für jene, die irritiert sind: Die Hase ist ein Fluss. Und der fließt in recht unspektakulärer Größe mitten durch Osnabrück. Erst stadtauswärts in Richtung Westen wird die Hase so breit und tief, dass man mit dem Kanu nicht ständig Gefahr läuft, im Schlamm oder zwischen Steinen steckenzubleiben. Trotzdem: Durch Osnabrück fließt ein Fluss. Und das ist ja eigentlich immer schön, so ein bisschen Wasser mitten in der Stadt.

„Der Hase unterm Pflaster“

Das fanden die Osnabrücker Stadtplaner freilich nicht, als sie 1967 die Hase zubetonierten. Die Stadt sollte nicht schön werden, sondern autofreundlich – was sie bis heute größtenteils geblieben ist, zum Leidwesen der wachsenden Radfahrerschar. Also mussten Zufahrten und vor allem Parkplätze her. Einzig der Name der hinter dem Neumarkt entstandenen „Brücke“, die als solche nie zu erkennen war, zeugte jahrzehntelang vom Verlauf des Flusses: „Öwer de Hase.“ Menschen von Auswärts fragten sich irritiert, was das soll mit dem Hasen unterm Parkplatz-Pflaster.

Dabei entstand schon in den fünfziger Jahren die Idee für einen „Haseuferweg“, der das 17 Kilometer lange Flussstück durch die Stadt komplett zu Fuß oder per Rad passierbar machen sollte. Aber immer wieder kam etwas dazwischen: Die Industrialisierung im Hafen und im Stadtteil Fledder, die Ausweitung der Bahnanlagen oder eben Parkplatzprobleme in der „autogerechten“ Innenstadt. Erst vor 15 Jahren wurde langsam mit der Würdigung des Flusses begonnen – und wenigstens ein Teil der Betondecke über der Hase abgetragen.

Zum Vorschein kam ein Stückchen Fluss, das mit seinem gepflasterten Bett erbärmlich anmutete. Aber: Passanten, die die Baustelle auf dem Weg in die Fußgängerzone passierten, begannen leise zu ahnen, dass das Gewässer auf der anderen Seite der „Brücke“ gar kein Teich mit Abwasserkanal, sondern der Abschnitt eines Flusses sein könnte.

Und aus dem kanalisierten Elend hat Osnabrück das Beste gemacht: Bepflanzungen und Kiesaufschüttungen sorgen für unterschiedliche Strömungsverhältnisse und eine deutliche ökologische und optische Verbesserung der schäbigen Beton-Hase.Trotzdem: Nur ausgemachte Lokalpatrioten zeigten Fremden mit Stolz dieses kleine Stückchen Wasser.

Der sichtbare Rest der Hase war innerstädtisch nur an winzigen Teilstücken zugänglich. Vom Herrenteichswall etwa floss in Richtung Hauptbahnhof schon immer ein Stück Hase. Das aber konnte lediglich sehen, wer seinen Kopf aus dem Klofenster des „Café Trümper“ am Neumarkt steckte. An dessen Stelle steht jetzt das architektonisch erstaunlich gelungene „Hasehaus“, über dessen Namen tatsächlich niemand Häme ausschüttet:

Endlich mal was Schönes

Denn es beherbergt zur Hase-Seite Gastronomien mit zwei riesigen Außenterrassen, auf denen es sich exakt so am Flüsschen sitzen lässt, wie man sich das vorstellt – mit Blick aufs Wasser, das hier kein Betonbett hat, und auf den wohl spektakulärsten Abschnitt des Haseuferwegs: Teils über Land, meist jedoch auf Stelzen führt eine geschwungene, 475 Meter lange und 2,50 breite Stegkonstruktion, entworfen von den Hannoveraner Landschaftsarchitekten Irene Lohaus und Peter Carl. Komplett autofrei, mitten in der Autostadt Osnabrück, ist hier ein ruhiger, stressfreier Flussweg geschaffen worden.

Selbst die stets zum Motzen neigenden Osnabrücker – „was das alles wieder gekostet hat!“ – müssen zugeben: Diese Strecke vermittelt Bahnreisenden, die zu Fuß in die Innenstadt wollen, zum ersten Mal seit den sechziger Jahren nicht den Eindruck, in einer Stadt gelandet zu sein, aus der man sofort wieder weg möchte.

Der Startpunkt der Tour befindet sich an der Beton-Hase. Von dort geht es über die Stegkonstruktion zum Bahnhof, hinterm Bahnhof weiter in den Hasepark und dann – immer am Flüsschen entlang – weiter durch die Stadtteile Schinkel und Fledder bis nach Lüstringen. Dass dort jeweils die Hase überhaupt existiert, wussten selbst viele Eingeborene nicht.

Kein Wunder, denn liebreizend ist diese Gegend nicht gerade: Die Hase fließt hier über das ehemalige Gelände der Klöckner-Stahlwerke, wo sich des Nachts der Straßenstrich befindet, durchs Gewerbemischgebiet, am Güterbahnhof entlang und unter den Gleisen mit endlosen Autotransporten hindurch. Und gewerbemischgebietig sieht auch der Uferweg aus, der in seiner Schlichtheit fast schon westfälisch anmutet und aus aufgeschüttetem Kies oder aus Abschnitten reinsten Betons besteht.

Mal schützen Baken, mal ein lackiertes Geländer, mal eines aus rohem Eisen, das aussieht wie aus dem Nachlass eines alten Altmetallhändlers, an besonders kurvigen Stellen Radler vorm Fall in den Fluss. Der Weg ist stellenweise so eng, dass Fußgänger sich an die Absperrungen pressen müssen, wenn ein Trupp Radfahrer naht und Radfahrer tun gut daran, vor nicht einsehbaren Kurven zu klingeln.

Am kuriosesten mutet der Abschnitt unter der achtgleisigen Bahnstrecke Osnabrück-Löhne an: Wie eine Bobbahn sieht das erst vor drei Monaten fertiggestellte, gut 150 Meter lange Beton-Bauwerk aus, das parallel zum Flußbett verläuft; hier fährt man tatsächlich mitten durch die Hase – und zieht dabei instinktiv den Kopf ein, weil die Bahnbrücke so tief hängt. Bei Hochwasser ist der Weg hier allerdings zu Ende. Und im Winter ist er vielleicht tatsächlich als Bobbahn zu gebrauchen.

Jetzt aber, mitten im Sommer, kann man genau hier, dank in den Fluss hineingebauter Beton-Stufen, wunderbar eine Pause einlegen, ganz prima auch mit den Füßen im Wasser. Eine Entenfamilie lässt sich vorbeitreiben, ein paar Stichlinge beschnuppern ihre Füße. Oben gibt’s Güterzüge zu sehen und unten Radfahrer, Radfahrer und Radfahrer. Während in der Innenstadt in diesem Moment ein weiterer Teil der Hase vom Beton befreit wird, gibt es in Osnabrück-Fledder keinen schöneren Platz als dieses Stück betonierter Hase. Ein Kreis schließt sich.

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