Obdachlosen-Auslese nach Aschenputtel-Prinzip in Kiel: Obdachlosenhilfe nur für echte Kieler
Bei der Planung von Hilfsmaßnahmen für Obdachlose will das Kieler Sozialdezernat Nicht-Kielern den Zugang zu städtischen Unterstützungsmaßnahmen verweigern.
Ist das der Fall, so sieht das Papier umfangreiche Maßnahmen der „Hilfeplanung“, „Beratung“ und „Unterstützung“ vor. Kommt die betreffende Person jedoch nicht aus Kiel, sind in dem Papier nur zwei akute Hilfsmaßnahmen aufgeführt: Eine kostenlose „Fahrkarte“ an den Heimatort oder die „Unterbringung in Schlichtwohnraum“ – für eine Nacht. Damit, so steht es in dem Arbeitspapier, ist das „Ende“ jeglicher Hilfe erreicht.
Jo Tein, vom Kieler Straßenmagazin Hempels findet diese Pläne „skandalös und gefährlich“. Mit der wohnortabhängigen Unterscheidung in Obdachlose erster und zweiter Klasse, würden „populistische Stimmungen bedient“. Dahinter stehe „die These, dass wir für soziale Randgruppen zu viel tun“ und die Tendenz „des Abschottens und des Einigelns“. Tein: „Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben, sind in Not und brauchen Hilfe, um ihre Lebenssituation zu verändern – und zwar egal, ob sie zuletzt in Kiel oder woanders gewohnt haben.“
Für den Kieler Sozialdezernenten Gerwin Stöcken (SPD) ist solche Kritik an dem Entwurf „etwas maßlos und überzogen“. Es gehe vor allem darum, die Wohnungslosen dahingehend zu beraten, „dass es Sinn ergeben kann, die persönlichen Probleme, die zur Obdachlosigkeit geführt haben, dort zu lösen, wo sie entstanden sind“.
Rund 600 Obdachlose leben laut Stöcken in Kiel, 28 Prozent von ihnen seien nach Verlust ihrer Wohnung zugereist. Rund 70 Plätze in den Obdachloseneinrichtungen plus 200 Notunterkünfte reichten da nicht aus.„Durch rund 5.000 Zuzüge allein im vergangenen Jahr ist der Kieler Wohnungsmarkt derzeit sehr angespannt“, verrät Stöcken. Da hätten Obdachlose kaum eine Chance, vernünftigen Wohnraum zu finden.
Stöcken weiß, dass die grundgesetzlich garantierte Freizügigkeit es verbietet, Obdachlose zum Verlassen der Stadt zu zwingen. Deshalb stecke in dem Entwurf, der in den kommenden Wochen mit den Sozialverbänden und Trägern der Obdachlosenhilfe diskutiert werden soll, auch „kein Vertreibungsansatz“ und schon gar keine „innerdeutsche Abschiebung“ von wohnungslosen Menschen.
Auch einen Obdachlosen-Tourismus nach Kiel kann Stöcken nicht feststellen, wenn er auch glaubt, „dass einige wohnungslos gewordene Menschen aus dem Umland nach Kiel kommen, weil hier das Hilfesystem besser und differenzierter ist“.Doch gerade das, so zeigt das unter Stöckens Regie entstandene Arbeitspapier ganz deutlich, soll zugereisten Obdachlosen in Zukunft verschlossen bleiben.
Jo Tein, Stadtmagazin „Hempels“
„Städte haben grundsätzlich eine besondere Anziehungskraft, auch für Wohnungslose“, entgegnet Jo Tein. Der Hempels-Vorstand findet es allerdings „völlig legitim, an einem anderen Ort neu zu beginnen, wenn man in Schwierigkeiten geraten ist oder mit der Vergangenheit abschließen will“.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe hält die Kieler Pläne sogar für „komplett rechtswidrig“. Ihr Geschäftsführer Thomas Specht nennt sie „ein Modell der Hilfeverweigerung“: Es gebe „keine andere Kommune in Deutschland, die auf ähnlich dreiste Art und Weise gegen Obdachlose vorgehen will.“
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