Niederdeutsch im Kommen: „Mein“ und „dein“ auf Platt

In Ostfriesland arbeiten eine Reihe von Initiativen und Verbänden daran, Plattdeutsch wieder stärker im Alltag zu verankern – mit erstaunlichem Erfolg.

So fängt es an: Plattdeutsch-Unterricht für Erwachsene. Foto: Ingo Wagner/dpa

OLDENBURG taz | Irgendwann hat Helmut Schoon aufgehört zu sprechen. Genauer: Er hat kein Hochdeutsch mehr gesprochen. „Dat is nich mien Tal“ – „Das ist nicht meine Sprache“, pflegte er zu sagen und „kaulte“ – redete – fortan nur noch auf Platt. „Das ist gelebte Identität“, sagt der Emder Car-Heinz Dirks, Dichter, Pädagoge und Mitherausgeber der „weltbesten und einzigen Zeitschrift ausschließlich op Plat – Diesel„ (Diestel). „Alle jeweiligen Amtssprachen waren Herrschaftssprachen diverser Okkupanten“, sagt Dirks, der nebenbei auch Hochdeutsch und Niederländisch spricht. „Dat Platt is ons. Über die niederländische Grenze hinweg sprechen wir Friesen zwar unterschiedliche Sprachvarianten, aber wir verstehen uns alle op Plat.“

Friesisch fast ausgestorben

Das verbindende Alt-Friesische war bis zum 15. Jahrhundert ausgestorben. Nur in einer kleinen ehemals Sumpf umgebenen Enklave im Saterland hat es überlebt. Etwa 2.000 Menschen sprechen es noch. Der US-Wissenschaftler Marron C. Ford hielt das Saterfriesische mit einem eigenen Wörterbuch fest und rettete es so. Wenn der zwei Meter lange Afroamerikaner mit den „Ureinwohnern“ auf Friesisch kault, dann leuchten deren Augen – trotz aller Verblüffung.

Ab den 1970er-Jahren galt Platt als blöde. „Uns hat man in der Schule verboten, Platt zu sprechen. Obwohl der Lehrer oft weder gut Hochdeutsch noch gut Platt sprechen konnte“, erinnert sich Henken Weers aus dem Rheiderland. Aber: „Vandag prot wi al Plat“ – „Heute sprechen wir alle Platt“, sagt der Kanalarbeiter in städtischen Diensten. Wie alle Kommunen hat auch Weers’ Arbeitgeber einen Plattdeutschbeauftragten, der im Amt dafür sorgt, dass mit Kunden auch Platt gesprochen wird.

„1999 wurden viele Regional- und Minderheitensprachen durch die UN-Charta geschützt“, sagt Jörg Peters, Inhaber des Lehrstuhls für Niederdeutsch an der Uni Oldenburg. „Das hat einen Schub gegeben. Jetzt waren die Regierungen verpflichtet, diese Sprachen zu fördern.“

Laut einer Untersuchung in der Berufsschule waren vor der Ausbildung 18 von 20 Lehrlingen im Emder VW-Werk des Platt nicht mächtig. Nach zwei Jahren sprachen 18 die Sprache perfekt. „Ohne Platt bist du an der Werkbank nix“, kommentiert ein ehemaliger Lehrling trocken.

In Aurich bedient ein Schlachter aus Kasachstan seine Kunden op Platt. In einer Bäckerei auf einer ostfriesischen Insel bietet ein ehemaliger afrikanischer Flüchtling seine Brötchen auf Platt an. „Platt gehört zum Charakter, zur Kultur und zur Identität der Menschen an der Küste. Es bietet Zugereisten und Migranten auch eine Möglichkeit zur Integration, sagt Jörg Peters von der Uni Oldenburg. Zurzeit werden die ersten Flüchtlinge aus Syrien in Grundschulen aufgenommen, die auch plattdeutschen Unterricht anbieten.

Ziel: Zweisprachigkeit

„Platt wird nie mehr einzige Hauptsprache. Darauf arbeiten wir auch gar hin“, sagt Ilse Gerdes vom Plattdüütskbüro der Ostfriesischen Landschaft in Aurich. „Wir wollen kompetente Zweisprachigkeit“, fügt ihre Kollegin Anita Willers hinzu. „Die Menschen sollen wissen, was sie auf Hochdeutsch sagen und es auch auf Platt ausdrücken können.“ Seit 1992 entwickelt das Plattdüütskbüro Programme zur Förderung des Platt.

In vielen Kindergärten sprechen die ErzieherInnen ausschließlich Platt. In einigen Grundschulen werden außer Rechnen alle Unterrichtsfächer in bevorzugten Klassen auf Platt gelehrt. „Die Ergebnisse sind eindeutig. Die op Platt lernenden Kinder sind meist gut in allen Fächern und lernen Sprachen leichter als andere“, wissen Gerdes und Willers. Leider fehlen gerade in der Grundschule passende Lehrbücher und Materialien. Für weiterführende Schulen gibt es die zwar, aber es werden nur freiwillige Plattkurse angeboten. „Wir brauchen Geld für Unterrichtsmaterialien und mehr Systematik in den höheren Schulen“, sagen die Frauen vom Plattdüütskbüro.

„Wenn in den Familien nicht mehr durchgängig Platt gesprochen wird, können wir die Sprache über die Bildungsschiene retten“, ergänzt Martin Feldkamp, Vörsitter des Vereins Oostfreeske Taal. Die über 1000 Mitglieder des Vereins verpflichten sich, Platt im Alltag zu fördern. „Eine einheitliche Verschriftlichung ist wichtig zur Rettung des Platt“, meint Feldkamp. Seit einiger Zeit hat das Plattdüütskbüro ein Plattwörterbuch online gestellt. „Wir sind stolz auf täglich bis zu 400 Nutzer. 600.000 Klicks stehen zu Buche“, sagt Elke Brüggemann, die die Website betreut.

Wirtschaft zieht nach

Zurzeit erlebt das Platt einen regelrechten Boom: Der NDR sendet regelmäßig op Platt. Ina Müller, Annie Heger und Gruppen wie Laway oder Godewind haben das Platt „hochkulturfähig“ gemacht. Die regionale Wirtschaft zieht nach: Ein Supermarkt in Großefehn hat als Marketinggag alle Texte im Laden auf Platt übersetzen lassen. Der Stock, der auf dem Förderband an der Kasse die Waren verschiedener Kunden trennt, hochdeutsch „Warentrennungsscheider“, heißt hier Miendintje – das Kleine zwischen meinem und deinem.

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