Kommentar Neues Kopftuchurteil: Pegida wird jubeln
Das Verfassungsgericht erteilt der Ungleichbehandlung der Religionen in der Schule eine Absage. Endlich. Aber es hat Türen für einen Kulturkampf geöffnet.
D as Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil endlich einen unhaltbaren Zustand beendet – und zugleich einen neuen erzeugt. Lehrerinnen dürfen laut dem Urteil in der Schule so lange ein Kopftuch tragen, wie der Schulfrieden nicht konkret gestört wird.
Damit bekommen die Bundesländer, die vorher mit eiernden Formulierungen versuchten, Kopftücher aus der Schule zu verbannen, christliche Bekundungen aber zu erlauben, erstmal gründlich Bescheid gesagt. Ausnahmen für Kreuze und Nonnentrachten darf es nämlich nicht geben, meint das Gericht. Wenn diese den Schulfrieden stören, müssen sie auch verschwinden.
Das Verfassungsgericht erteilt der Ungleichbehandlung der Religionen in der Schule also eine Absage. Endlich. Aber es hat damit auch die Schultüren für einen Kulturkampf geöffnet. Denn nun können alle, die es wollen, den Schulfrieden stören, indem sie Lehrerinnen anfeinden, wie diese ein Kopftuch tragen. Die paradoxe Wirkung: Nach rassistischen Angriffen auf eine Kopftuch-Lehrerin muss diese als Konsequenz ihr Kopftuch ablegen. Pegida wird jubeln.
Den Bedürfnissen einer multireligiösen Gesellschaft wird das Urteil nicht gerecht. Eine solche würde wohl eher dafür werben, dass religiöse Kleidungsstücke auch in Bildungsinstitutionen getragen werden dürfen – und die Kinder sich damit auseinandersetzen können. Schließlich unterrichten bis heute auch Nonnen im Habit an staatlichen Schulen, ohne dass der Schulfrieden bisher in Gefahr geriet. Eltern, die damit gar nicht leben konnten, schickten ihre Kinder schlicht auf eine andere Schule.
Und das Argument, dass das islamische Frauenbild mit Kopftuch der Gleichberechtigung im Grundgesetz widerspricht? Das könnte in einzelnen Auslegungen so sein, aber nicht in allen. Es gibt auch feministische Musliminnen mit Kopftuch, die die volle Gleichberechtigung der Frau befürworten und auch leben. Übrigens hat eine Befragung unter Lehramtsstudentinnen mit Kopftuch genau diese Haltung zutage gefördert. Und: In der katholischen Kirche herrscht ein weitreichendes Berufsverbot für Frauen, das wohl auch kaum mit dem Grundgesetz im Einklang steht.
Besser als dieses Urteil wäre eines gewesen, das Lehrerinnen keine Bekleidungsvorschriften macht. Und sie vor allem nicht den lokalen Islamfeinden ausliefert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern