piwik no script img

Kolumne die LiebeserklärungFilibuster

Niemand liebt den Langredner – schon gar nicht in Parlamenten. Falsch, es müsste mehr von ihnen geben.

Urdemokratisches Spektakel: Die Abgeordnete Wendy Davis filibustert im texanischen Oberhaus das Abtreibungsgesetz. Bild: dpa

D ie Ursache der Langeweile heißt § 35. Dort regelt die Geschäftsordnung des Bundestages, wie lange Abgeordnete reden dürfen. Das papierne Stück Bürokratie verhindert, dass es zu urdemokratischen Spektakeln kommt wie gerade im texanischen Oberhaus, wo die Abgeordnete Wendy Davis das geplante Abtreibungsgesetz filibusterte, das heißt elf Stunden lang dauerzerredete. Seitdem liebt – dank Twitter und Facebook – die halbe Welt die 50-Jährige.

Kann man jemanden für langes Reden lieben? Im Bundestag jedenfalls nicht. Dort dürfen Abgeordnete in der Regel nur 15 Minuten ans Mikro. Einem vom Volk mit Erststimme mandatierten MdB das Wort abzuschneiden, ist ein Unding – und ein Aufmerksamkeitsblockierer. Aber man stelle sich einen Filibuster im Bundestag vor. Die Zuschauerreihen wären voll, alle würden miterleben wollen, wie ein MdB so verrückt/eloquent/prinzipientreu sein kann, im Stile des römischen Senators Cato Gesetze zu verzögern.

Es gibt genug Momente in der deutschen Geschichte, denen ein Filibuster gutgetan hätte. Zur Wiedervereinigung etwa wurden waggonweise Gesetzesvorlagen in Volkskammer und Bundestag gekarrt. Die Volksvertreter schimpften – und nickten ab. Nein, verhindern können hätte damals kein Abgeordneter den Beschluss. Aber präzisieren und bewusst machen.

Bild: taz
Christian Füller

ist Autor der taz und betreut die Bildungs-Seite.

Niemand muss sich einbilden, ein Marathon redender Abgeordneter wolle immer das Beste. Dafür gibt es genug Gegenbeispiele. Aber für das 21. Jahrhundert ist der Filibuster wie geschaffen. Denn mit Wendy Davis hat die Welt sich in eine ihrer ältesten und langweiligsten Institutionen neu verliebt: das Parlament.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • M
    Max

    Auch ich habe undemokratisch gelesen. Aus gutem Grund. Ist es demokratisch, wenn eine Person verhindert, dass es zu einer demokratischen Abstimmung des Plenums kommt.

    Ich habe großen Respekt vor den Menschen die für ihre Überzeugungen stundenlang reden. Das ist gelebte Politikbegeisterung, von der sich einige MdBs, die sich so manche Sitzung sparen, etwas abschneiden können. Aber der Filibuster an sich hat nichts mit demokratischen Prinzipien zu tun.

  • C
    chch

    Ich hab mir das noch einmal durchgelesen, weil ich mir nicht sicher war, ob es sich hier um Satire handelt.

     

    Wenn der Autor tatsächlich der Meinung ist, dass es urdemokratisch sei, wenn ein einzelner die Mehrheitsmeinung des gewählten Parlaments umgeht, dann würde ich gerne mal wissen, wie er Diktatur definiert.

    Aber nein, ich glaube, ich will ich es doch nicht wissen.

     

    Zum Hinweis, dass dadurch Abstimmungen bewusster werden:

    Was wir brauchen, sind Politiker, die durch _Inhalte_ auf die Parlamentsarbeit aufmerksam machen. Inszenierungen haben wir schon genug. Und mit Verlaub: Nur jemand, der an der vollkommenen Politikverdrossenheit interessiert ist, kann sich noch mehr Inszenierungen wünschen.

  • D
    D.J.

    Unter Federführung der ehem. SPD-Justizministerin Däubler-Gmelin wurde vor einigen Jahren auch in D ein Vorstoß gemacht, Spätabtreibungen zu verhindern (außer bei Lebensgefahr). Das Recht auf Abtreibungen bis zur 12. Woche stand dabei (m.E. völlig zu Recht) nicht zur Debatte. Wieso es viele andere (nicht alle) eher Linke unproblematisch finden, dass Abtreibungen vor allem von Behinderten auch dann noch stattfinden können, wenn der Fötus schon lebensfähig wäre, gehört für mich zu den Mysterien ideologischen Denkens (in Indien und China übrigens gern: Spätabtreibungen, wenn es sich um ein Mädchen handelt).

  • P
    Peter

    "Das papierne Stück Bürokratie verhindert, dass es zu urdemokratischen Spektakeln kommt wie gerade im texanischen Oberhaus,..."

    Ups, da habe ich doch glatt zuerst "undemokratisch" gelesen, weil das tatsächlich die richtige Bezeichnung wäre.

    Ein einzelner Abgeordneter soll also durch stundenlanges Reden ein Gesetz verhindern können.

    Na, da möchte ich den Verfasser mal sehen, wie er reagieren würde, wenn ein von ihm befürwortetes Gesetz im Bundestag auf diese Weise zu Fall gebracht würde.