Kolumne Luft und Liebe: Kommentarloses Kopulieren
Kalifornien hat ein neues Gesetz für einvernehmlichen Sex. Wie haben eigentlich die Leute Sex, die sich über „Yes means yes“ aufregen?
E igentlich ist es nicht so kompliziert. Es gibt ein Problem, und ein Staat versucht, eines der Dinge zu tun, die ein Staat tun kann, nämlich ein Gesetz zu erlassen. Der Staat ist Kalifornien, das Gesetz ist das „Yes means yes“-Gesetz und das Problem folgendes: An Unis und in Wohnheimen kommt es immer wieder zu Vergewaltigungen. Die US-Behörde für Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung schätzt, dass in den USA fast jede fünfte Studentin auf dem Campus Opfer sexueller Übergriffe wird.
Bisher war es so, dass die Täter sich oft damit herausreden konnten, das Opfer habe sich nicht gewehrt und sie hätten deswegen gedacht, alles sei okay. Das führte dazu, dass viele Täter nicht verurteilt wurden und sich die Opfer extrem verarscht fühlten, was immer noch euphemistisch ausgedrückt ist.
Jetzt gibt es ein Gesetz, das sagt: Nee, ist nicht okay. Wenn zwei Leute, die an einer staatlichen Hochschule in Kalifornien studieren, miteinander Sex haben wollen, müssen sie einander vorher zeigen, dass sie einverstanden sind. „Ja“ sagen oder nicken, zum Beispiel. Sie müssen das bei vollem Bewusstsein tun, also nicht schlafend, besoffen oder bekifft. Zusätzlich zum Gesetz soll es Aufklärungsmaßnahmen geben, mit denen unter anderem Erstsemester sensibilisiert werden.
Okay, Bühne frei für die Aufreger: Krass, rufen die Leute, wie soll das gehen? „Zum Date immer ein juristisch wasserdichtes Vertragswerk mitnehmen, das von beiden Teilnehmern vor dem Sex unterschrieben werden muss“, überlegt sich einer. „Muss das jetzt auch noch notariell beglaubigt werden?“, fragt ein anderer. „Am besten eine Beischlafanfrage über WhatsApp senden und Antwort abwarten.“ Ja, haha, ihr Scherzkekse. Ich habe eine Ahnung, dass ihr es entweder nicht gerafft habt oder komischen Sex habt.
Weil, sagt mal, wie macht ihr das denn sonst? Wenn ein „Ja“ vor dem Sex schon zu viel ist, heißt das, ihr seid vorm und beim Sex immer stumm? Macht das Spaß? Ist das so ein neues Ding: kommentarloses Kopulieren? Ohne Mimik und Gestik? Oder redet ihr über was anderes? Wetter, Job, Busfahrpläne?
Natürlich ist es nervig, für einvernehmlichen Sex ein Gesetz zu brauchen. Nein, es ist keine perfekte Lösung. Es gibt überhaupt wenige Gesetze auf der Welt, die perfekte Lösungen für irgendwas bieten. Wie toll wär eine Gesellschaft, die keine Gesetze bräuchte, und wie entspannt alles wär, wenn die Leute von alleine gute Menschen wären. Das wär cool. Nun ja.
Es wird im Zweifelsfall auch in Kalifornien immer noch schwierig sein, eine Vergewaltigung zu beweisen. Aber wenn es auch nur eine einzige Frau gibt, der durch dieses Gesetz eine Vergewaltigung erspart wird: dann ist es gut. Oder wenn es auch nur einen Fall gibt, in dem es zu einer Verurteilung des Täters kommt, der sonst freigekommen wäre: dann hat es geholfen.
Und wenn es dann vielleicht sogar irgendwann so ist, dass es auf der Welt insgesamt weniger Sex gibt, weil es in den Fällen nicht passiert, wo eine der beteiligten Personen nicht wollte: dann ist das für manche Leute ärgerlich, aber eine solche Welt wäre insgesamt eine bessere.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund