Kolumne Luft und Liebe: So crazy wie goldene Leggins

Der Kampf um Worte ist wild und die Sehnsucht nach Einfachheit groß. Schon ein neues „x“ kann Menschen wahnsinnig machen.

Unter vielen anderen Möglichkeiten findet sich auch ein X. Bild: knallgrün / photocase.de

Wissenschaft ist eine verrückte Sache. Es gibt Menschen, die erforschen, wie Heringe mithilfe von Blasen aus ihrem Analtrakt kommunizieren, und solche, die ausrechnen, wie man verbrannte Pfannkuchen nach Größe sortieren kann. Tatsächlich dient nur das Allerwenigste von dem, was wir von unseren Steuern bezahlen, dazu, Krieg, Krebs und Rotweinflecken loszuwerden. Eine Erkenntnis, die man erst mal verkraften muss, je nachdem, wie komplex man so drauf ist.

Lann Hornscheidt lehrt Gender Studies und Sprachanalyse an der Humboldt-Uni. Sie will nicht, dass Menschen ständig in Frauen und Männer eingeteilt werden, und schlägt vor, ab und zu neue Sprachformen auszuprobieren, zum Beispiel die Endung „-x“. Neben „Professor“ und „Professorin“ gibt es dann das Wort „Professx“ (sprich: „Professix“), so nennt sich Hornscheidt auch selber. In ihren Seminaren lässt sie die Leute unter anderem Gedichte schreiben und mit Sprache rumprobieren.

Das ist ungefähr so crazy wie eine Designerin, die goldene Leggins entwirft: Niemand muss die tragen. Aber wer Bock hat, kann. Das schadet niemandem, aber es hilft denen, die sich in schwarzen Leggins nicht wohlfühlen.

Wer wissen will, wie sehr dieses „x“ Leute wahnsinnig macht, kann die Kommentare unter einem Facebook-Beitrag von Deutschlandradio Kultur lesen. Lann Hornscheidt hat dort ein Interview gegeben. (Wie auch schon zwei mal in der taz und bei Spiegel Online.)

Schon in den ersten 100 Kommentaren finden sich sämtliche Arten von Reaktionen, die man unter Beiträgen über Genderforschung eben so findet. Neben den üblichen Dialogen („Lächerlich!“ – „Nichts ist lächerlich.“ – „Doch. Das.“) kriegt man dabei Dinge mit, für die man den Leuten, die das geschrieben haben, gern bis auf weiteres den Grundschulabschluss aberkennen möchte.

Die Sehnsucht nach Einfachheit ist groß. Deswegen ist auch die Palette der Kritikpunkte nicht so unfassbar kompliziert. Die häufigsten Kritiken im Schnelldurchlauf (Reihenfolge egal): 1. Alles Quatsch. 2. Meine Steuern. 3. Alles persönliche Probleme. 4. Luxusprobleme. 5. Aber Biologie. 6. Aber Israel. 7. Problem P437 (Kitaplatzmangel/Müll im Ozean/…) geht davon nicht weg. 8. Also ich fühl mich ganz wohl mit meinen geilen Brüsten/als hotter Stecher. 9. Alles Ideologie. 10. Unsere arme Sprache.

Nein, vermutlich hilft die „x“-Endung nicht im Nahostkonflikt. Vielleicht löst sie überhaupt ganz wenig und wird schon bald durch irgendwas mit „y“ abgelöst. Menschen, die sich an Babyspinat-Mangold-Smoothies gewöhnen, werden sich mit der Zeit auch an neue Sprachformen gewöhnen. Menschen, die versuchen, einer Wissenschaftlerin zu erklären, was sie vor geschätzten 37 Jahren in der Schule gelernt haben, von jemandem, der 20 Jahre vorher Biologie auf Lehramt studiert hat: schwierig.

Und Menschen, die mit Problemen anderer Leute ignorant umgehen: noch schwieriger. Ihre Haltung lässt sich zusammenfassen in: „Haha, ihr Arschgeigen, warum habt ihr eigentlich Stress mit Zweigeschlechtlichkeit; uns geht es doch auch gut“, auch bekannt als: „Sollen sie doch Kuchen essen!“ Und das ist, wie wir heute wissen, nicht cool.

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Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff

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