Kolumne Knapp überm Boulevard: Linke gegen Linke

Rechte greifen die Idee gesellschaftlicher Liberalität an. Auch manche Linke tun das – jene, für die echtes Linkssein Umverteilung bedeutet.

Ein Feigenblatt bedeckt einen nackten Hintern

Ist gesellschaftliche Liberalisierung ein Feigenblatt des neoliberalen Kapitalismus? Foto: imago/Scherf

Welchen politischen Stellenwert hat eigentlich gesellschaftliche Liberalität – Feminismus, Antirassismus, LGBTI-Rechte, das gesamte Paket? Wo ist das auf der politischen Skala einzuordnen? Eindeutig ist nur, dass diese Zuordnung nicht eindeutig ist. Es handelt sich vielmehr um ein äußerst ambivalentes Phänomen.

Von rechts erfährt solche gesellschaftliche Offenheit heftige Angriffe, die sie als weltfremd, sprich linke Hegemonie denunzieren. Hier wird dies also der Linken zugeschrieben. (Wir lassen einmal beiseite, dass Weltfremdheit und Hegemonie sich irgendwie widersprechen.) Von linker Seite sehen sich aber die unterschiedlichen Phänomene, die wir unter gesellschaftlicher Liberalisierung zusammenfassen, auch massiven Angriffen ausgesetzt.

Da werden sie als „Feigenblatt“ des neoliberalen Kapitalismus bezeichnet, hinter dem die wahren Ausbeutungsverhältnisse nur umso ungenierter betrieben werden. Als „Herrschaftsideologie einer globalisierten Klasse“. Als Klassenkampf der „neuen Mittelschichten“ gegen „die da unten“. Die Liste ließe sich fortsetzen. Klar ist, dass diese Kritik auch die Antriebs­energie jener ist, die nun #aufstehen wollen.

„Echtes“ Linkssein hieße dann ökonomische Umverteilung – nicht gesellschaftliche Antidiskriminierung. Hieße das im Umkehrschluss: links bedeutet nicht tolerant, rassistisch, antisemitisch, frauenfeindlich, homophob? Nicht internationalistisch, sondern protektionistisch? Oder noch komplexer: Was ist links: #metoo als Aufbegehren der unterdrückten, sexuell diskriminierten Frauen – oder Ablehnung von #metoo als Elitenphänomen? Als Inszenierung von Upper-Class-Frauen, die um Aufmerksamkeit ringen?

Arbeiterklasse oder Rechte für Miranten und LGBTI?

Es sind schon Freundschaften an dieser Frage zerbrochen. Steht die Linke für die Arbeiterklasse – oder für Rechte von Migranten und LGBTI? Alte oder neue Linke? Proletarische oder Kulturlinke? Klassenkampf oder Identitätspolitik? Ist das tatsächlich noch oder wieder ein brauchbarer Gegensatz?

Treffen da nicht zwei Exzesse aufeinander? Der Exzess der Hypersensibilisierung, in den die gesellschaftliche Liberalisierung zu kippen droht – mit all jenen weidlich ausgeschlachteten Phänomenen der Campuskultur und ihren Mimosenblüten, die sich von Befreiungs- in neue Ordnungsphänomene verkehren.

Und der Exzess einer puristischen Reökonomisierung der Linken – eine Reduktion, wo es Jahrzehnte gebraucht hat, sich von dieser zu befreien. Und die zudem übersieht, dass sie auf Prämissen aufbaut, die heute nicht mehr unschuldig zu haben sind. Etwa dichte Grenzen. Oder ein einheitlicher Nationalstaat.

Wer sind die Linken – wenn nun das proletarische Milieu nach rechts tendiert?

Und wer sind die Träger des Linksseins, wer sind die Linken – wenn nun das proletarische Milieu nach rechts tendiert? Dann wäre die alte, die Klassenkampf-Linke heute rechts. Was die Rechten ja auch für sich reklamieren, wenn sie sich, wie etwa die FPÖ, als neue Partei der Arbeiterschaft deklarieren – nicht ganz zu Unrecht, weil sie dort tatsächlich einen Teil ihrer Anhängerschaft rekrutieren. Und ganz zu Unrecht, weil sie diese nicht als „Arbeiter“, sondern als „Nationale“ adressiert und formiert.

Ist Linkssein heute noch möglich?

Wer aber sind dann die neuen Linken – die Parteigänger der gesellschaftlichen Liberalisierung? Das sind die „neuen Mittelschichten“ – jene, die zwar nicht notwendigerweise ökonomisch, aber kulturell die Eliten der Modernisierung bilden. Wir haben also die paradoxe Situation, dass neues Linkssein heute ein Elitenphänomen ist.

Wurden also die Ausgebeuteten ihres Linksseins enteignet? Und wenn nun Linkssein oder linke Gesellschaftspolitik von einer neuen Mittelschicht getragen wird – wäre dann nicht gerade Linkssein die Gegenposition zum authentischen Sprecher – also der Einheit von Identität und Inhalt (sodass etwa nur Frauen über Frauenthemen oder Migranten über migrantische Belange authentisch sprechen können)? Dann wären es aber gerade Linke, die diesem neuen linken Dogma widersprechen würden.

Kurzum – ist Linkssein heute noch möglich oder ist es zu einer unmöglichen, zu einer aporetischen Position geworden?

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