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Kolumne Das TuchWenn die Kameras aus sind

Kübra Gümüsay
Kolumne
von Kübra Gümüsay

Sind alle Deutschen krank? Warum kann man mit Dauergästen aus Talkshows nur nach der Sendung vernünftig reden?

D ie Debatten in deutschen Talkshows sind gut bezahlte Hahnenkämpfe. Das mag keine brisante Neuigkeit für Sie sein, vielleicht sollte sich das jeder gescheite Mensch auch denken können. Vor zwei Jahren, ich war noch jung, lernte ich das auf die ungemütliche Tour.

Es war eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, die mich zur Debatte einlud. Der Titel war schön knallig. Ein Prise Islam hier, eine Prise Ur-Deutsches da: „Kopftuch und Currywurst.“ Ein Titel wie aus der Bild. Eigentlich wäre das schon Grund genug gewesen, abzusagen.

Aber wie gesagt, ich war jung, ich hatte Hoffnung. Und die Gästeliste war okay. Nur ein Gast, ein geübter Talkshow-Gänger und Quoten-Muslim, versprach dicke Luft. Die meisten in meinem Freundeskreis rieten mir ab. Dann aber erzählte mir ein Freund, dass er den Mann kürzlich interviewt habe. Mit dem lasse sich diskutieren. Klingt gut, dachte ich. Herausforderung angenommen. Mein Plan: Mich mit dem Gast vorab treffen und kennenlernen. Denn wenn ihm wirklich etwas an dem Thema läge und sich wirklich mit ihm diskutieren ließe, dann würden wir die Sendung schon rocken – konstruktiv und inhaltsreich!

So weit, so naiv. Wir trafen uns also tatsächlich vor der Sendung und ich erlebte einen wunderbar angenehmen Gesprächspartner. Wir sprachen über die Probleme der muslimischen Community, diskutierten Lösungsansätze, kritisierten Islamophobie und Rassismus. Wir verstanden uns gut. Bis wir im Studio saßen. Die Kamera läuft.

Kübra Gümüsay

Kübra Gümüsay kolumniert seit 2010 für die taz. Sie schreibt unter anderem auch auf ihrem Blog //:ein fremdwörterbuch.

„Islamophobie klingt wie eine Krankheit“

Ich spreche Islamophobie an. Ach, das sei kein Thema, behauptet er wirsch. „Aber Sie hatten doch eben noch ganz anders geredet“, will ich überrascht sagen. Kann ich aber nicht, weil die Zuschauer in ihren Wohnzimmern unser Vorgespräch gar nicht mitbekommen haben. Also hole ich aus und erkläre, warum Islamophobie ein relevantes Thema ist. „Islamophobie klingt wie eine Krankheit“, entgegnet er dieses Mal. Verdutzt schaue ich ihn an. Dann fragt er: „Wollen Sie damit sagen, dass alle Deutschen krank sind?“

Ja, was soll man darauf nun antworten? Währenddessen grölt die Zuschauerreihe hinter mir. Der Moderator greift nicht ein. Immer dann, wenn ich zum Reden ansetze, pöbeln sie aus dem Hintergrund. Irgendwann drehe ich mich empört zum Publikum um. Im Fernsehen sieht und hört man später nichts davon.

Nach der Sendung spreche ich den Islamophobie-Krankheits-Vergleich an. Das sei doch polemisch und destruktiv. Wohin sollte der Kommentar denn führen, frage ich. „Ja“, sagt er und nickt. „War vielleicht ein Fehler.“ Na toll. Großartige Erklärung.

„Die Sendung war doch ganz okay“, sagen mir später Freunde. Und es sei ja normal, dass sich Menschen vor und hinter der Kamera anders verhielten. In Talkshows ginge es in erster Linie um Haltungen, nicht um die Personen an sich. Ich finde das verantwortungslos. Wie kann man bei sensiblen Themen bewusst polemisieren und willentlich Falsches sagen?

Vor ein paar Tagen kam Irshad Manji, eine kontrovers diskutierte „Reform-Muslimin“ nach Oxford, um über den Islam zu debattieren. Nach der Sendung erzählte ich ihr, warum ich vieles an ihrer Arbeit sehr gut und wichtig finde, anderes wiederum sehr schädlich. Sie nickte zustimmend und sagte: „Ja, einige Sachen könnten Fehler gewesen sein.“ Die Kameras waren dabei natürlich aus.

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Kübra Gümüsay
Jahrgang 1988. Autorin des Bestsellers "Sprache und Sein" (Hanser Berlin, 2020). Bis 2013 Kolumnistin der Taz. Schreibt über Sprache, Diskurskultur, Feminismus und Antirassismus.
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16 Kommentare

 / 
  • K
    Klartext
    Vor zwei Jahren, ich war noch jung …

     

    jaja, das kann so schnell gehen mit dem altern.

  • H
    Harald

    nun war ich doch neugierig geworden und hab' mal nachgeschaut, und - Surprise: Der "Quoten Muslim" ist niemand geringerer als

     

    Hamed Abdel-Samad

     

    Ohne jetzt Kübra zu nahe treten zu wollen, aber intellektuell betrachtet holt Hamed einmal tief Luft und hat sie quer vor der Nase sitzen.

     

    Um den von ihr gezogenen, phantasierten? Schluß glaubhaft zu machen, ist es natürlich absolut nicht förderlich, den Namen des reuigen Sünders zu nennen.

  • I
    Irene

    @Tommy:

    Ich wollte nicht rechthaberisch wirken, ich weiß nur nicht, ob ich den Namen hier reinschreiben darf.

  • T
    tommy

    @Irene

     

    "10 Sekunden googeln, dann haben Sie den Namen. "

     

    Das ist mir zu anstrengend. Leserfreundlicher Journalismus sollte auf kryptische Andeutungen verzichten.

  • DP
    Das Pöblikum

    05.03.2013 23:28 Uhr

    von Harald:

     

    "Erdogan nannte den Zionismus ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und verglich ihn mit dem Antisemitismus, Faschismus und Islamophobie." (OIC Forum Wien)

     

    Was für eine grandios dumme Aussage. Bei Adolfs hieß es "Judentum ist ein Verbrechen".

     

    Ach Ihr ollen Germanen ... immer müsst Ihr zwanghaft Eure Kollektivschuld an anderen abarbeiten und relativieren.

    Wo stand denn in Kübras Text was von Erdoğan, dass du ihn so PI-mäßig konstruiert zitierst?

    Ihr kleinen PI-Germanen merkt ja nicht mal mehr, dass man Euch sofort und mühelos an Eurem ewig durchgekäuten Vokabular erkennt ...

     

    Dein Gesülze hat rein gar nichts mit dem Text von Kübra zu tun, also husch-husch, zurück ins PI-Körbchen, bevor du dich erkältest!

  • H
    Harald

    "Erdogan nannte den Zionismus ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und verglich ihn mit dem Antisemitismus, Faschismus und Islamophobie." (OIC Forum Wien)

     

    Was für eine grandios dumme Aussage. Bei Adolfs hieß es "Judentum ist ein Verbrechen".

     

    Eine Phobie ist eine individuelle, unwillentliche, medizinisch-psychologisch beschreibbare Angst vor etwas. Welches entsetzliche Menschenbild muß jemand haben, dies solle ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein?

     

    Da scheint zumindest bei Kübra ein Lernprozeß einzusetzen, wenn sie erkennt, dies sei "polemisch und destruktiv," wenn o.a. Simpel mit diesem fehlgeleiteten Begriff operiert.

     

    Was Islamisten aufgrund fehlendem kulturellen und demokratischen Verständnisses nicht nachvollziehen können ist, daß es in Europa eine Tradition der politischen Kritik gibt. Wir Europäer wissen dabei aus leidvoller Erfahrung nur zu gut, welche Praxis im Umgang mit politischen Gegnern durch totalitäre Ideologien betrieben wurde:

     

    Im braunen und im roten Sozialismus war die Zwangspsychiatrisierung von Oppositionellen gang und gäbe.

     

    In D/EU formiert sich, unterhalb einer aberwitzigen Zensur, eine vielfältige Kritik an der totalitären islamischen Ideologie. Diese Kritik fußt auf den konkreten Alltagserfahrungen der Menschen in Europa und der Beobachtung z.B. der furchtbaren Entwicklung in der Türkei, wo massenhaft Journalisten im Gefängnis sitzen.

  • I
    Irene

    @tommy:

     

    "Wieso nennt Frau Gümüsay den von ihr kritisierten "Quoten-Muslim" nicht namentlich, damit Leser sich ein eigenes Bild machen können? Ich finde auch ganz allgemein, dass es in dieser Kolumne wirklich ein Problem mit vagen, zweideutigen Äußerungen gibt - und ich bekomme langsam den Eindruck, dass diese Zweideutigkeit auch beabsichtigt ist."

     

    10 Sekunden googeln, dann haben Sie den Namen.

  • I
    ion

    @ Norbert Schnitzler,

     

    "Warum hat ihr Gesprächspartner es ihr nicht erklärt, er hatte doch Recht? Warum gibt jemand, der Recht hat, nach und hält einen Fehler für möglich?"

     

    Wohlbemerkt: Eine vermeintliche(!) ‘Replik’, die Frau Gümüsay wiederholt und von differenten Menschen erhalten haben will; wenn ’s denn so gewesen wäre, stünde zu vermuten, dass seitens der ‘Zitierten’ einfach erkannt worden wäre, dass es nicht der Mühe wert u./o. ein verlorenes Unterfangen sei, näher auf Frau Gümüsays’ antizipierbar folgende Verlangen zur bedingungslosen Islamophilie "konstruktiv und inhaltsreich!", resp. kritisch eingehen zu wollen.

    Und im Sinne ihres durchwegs betriebenen D-Bashings war ja auch diesmal wieder etwas Generelles in Ihrer Islam-taz-Kolumne über D zu ‘lernen’: "Die Debatten in deutschen Talkshows sind gut bezahlte Hahnenkämpfe." Ergo folgt meinerseits die bitte nur noch rhetorisch zu verstehende Frage: Mag Frau Gümüsay das Geld oder Hahnenkämpfe, oder warum besucht(-e) sie derlei Veranstaltungen? Oder war sie : "Vor zwei Jahren, (....) noch" zu "jung" [sic!]? Und falls: ja: für was‽ Camera off, baby spot off!

     

    ♲ (04.03.2013 22:07), ....

  • T
    tommy

    Wieso nennt Frau Gümüsay den von ihr kritisierten "Quoten-Muslim" nicht namentlich, damit Leser sich ein eigenes Bild machen können? Ich finde auch ganz allgemein, dass es in dieser Kolumne wirklich ein Problem mit vagen, zweideutigen Äußerungen gibt - und ich bekomme langsam den Eindruck, dass diese Zweideutigkeit auch beabsichtigt ist.

  • DP
    Das Publikum

    Sie war jung und brauchte die Talkshow.

  • J
    JohnReed

    Die übliche Gümüsay-Taktik:

    Zunächst alles ganz soft und defensiv, in den letzten zwei Sätzen dann noch die fundamentalistische Signierung: Reform-Muslima in überheblichen Anführungszeichen, die "Schädlichkeit" derselben wird auch gleich diagnostiziert.

  • A
    anke

    @Norbert Schnitzler:

    Warum jemand, der Recht hat, manchmal (zum Schein) nachgibt? Ja, warum wohl? Weil er glaubt, er hätte wichtigeres zu tun, als mit Leuten zu diskutieren, von denen er glaubt, sie hätten nicht sein Niveau, könnten also weder gefährlich werden noch begreifen, was er begreifen konnte.

     

    Klar, die Furcht vor potentiellen Gewalttätern ist berechtigt. Sie kann aber trotzdem zur Phobie werden. Dann nämlich, wenn sie der konkreten Situation nicht mehr angemessen ist und das Leben des Betroffenen selbst oder das Leben seiner Angehörigen, Freunde oder abhängig Beschäftigten beeinträchtigt. Ist ja nicht so, dass noch nie ein Flugzeug abgestürzt wäre...

     

    Ich finde, wenn Frau Gümüsay das Gewaltpotential ihrer Religion nicht erkennt, weil sie bislang keinen Anlass für Brutalitäten gegeben und/oder ausschließlich in gemäßigten Kreisen verkehrt hat, darf sie schon mal überrascht sein, wenn Andere ihre Angst bekunden. Sukram, zum Beispiel, guckt offenbar keine Talkshows. Er denkt wohl, so lange er die Augen zu macht und die Finger in die Ohren steckt, gibt es keine Idioten. Bis sein Leben konkret beeinträchtigt wird von ihnen, stimmt das sogar. Für ihn scheint die fremde Angst bis auf Weiteres also genau so wenig normal zu sein wie die vor Plätzen, engen Räumen, Spinnen, Flugzeugen oder Enten. Oder die vor Verschwörungen, gel, Freund imhotep?

  • I
    Irene

    Ja“, sagt er und nickt. „War vielleicht ein Fehler.“

    Sie nickte zustimmend und sagte: „Ja, einige Sachen könnten Fehler gewesen sein.“

    Wenn die Kameras aus sind, "beichten" die Gesprächspartner also Kübra, dass sie Fehler gemacht haben, das kann ich - bei allem Respekt - nicht glauben.

  • S
    Sukram

    Fehler im Titel:

    "Sind alle Deutschen krank?"

     

    Hier sind ja wohl nur die Kartoffeln bzw. "Biodeutschen" - und davon auch nur die "Unerleuchteten"- gemeint.

     

    Der Föhrer der Türken würde das aber alles viel knackiger auf den Punkt bringen:

     

    "Islamophobie* ist ein Verbrechen an der Menschlichkeit".

     

    *© Ajatollah Khomeini

     

     

    Im Übrigen: Wer sich sowas in der Glotze anguckt, ist selbst schuld.

  • I
    imhotep

    Da wabert er wieder: Der Hauch von Verschwörung und Diskriminierung in Ihrer Kolumne. Wie definieren Sie eigentlich eine Quoten-Muslim? Und vor allem: Warum ist Irshad Manji in Ihren Augen eine Reform-Muslima in Anführungszeichen. Ich wäre sehr glücklich wenn Sie in Ihrer nächsten Kolummne ausführen könnten, was Sie denn an der Arbeit von Frau Manji so "schädlich" finden.

  • NS
    Norbert Schnitzler

    Frau Gümüsay wurde also in einer Talkshow mit dem Einwand „Islamophobie klingt wie eine Krankheit ... Wollen Sie damit sagen, dass alle Deutschen krank sind?“ überrascht. Das überrascht mich. Kennt sie nicht Agoraphobie (Angst vor Plätzen), Klaustrophobie (Angst vor engen Räumen), Arachnophobie (Angst vor Spinnen), Canophobie (Angst vor Hunden) oder Aviophobie (Flugangst). Ist das Wort "Islamophobie" nicht gerade deshalb erfunden worden, um Islamkritik als krankhaft abzutun und psychiatrisieren zu können? "Antiislamismus" analog zu "Antisemitismus" hätte dazu nicht gereicht.

     

    Was mich aber noch mehr überrascht, beschreibt sie so:

    "Nach der Sendung spreche ich den Islamophobie-Krankheits-Vergleich an. Das sei doch polemisch und destruktiv. Wohin sollte der Kommentar denn führen, frage ich. 'Ja', sagt er und nickt. 'War vielleicht ein Fehler.'"

    Warum hat ihr Gesprächspartner es ihr nicht erklärt, er hatte doch Recht? Warum gibt jemand, der Recht hat, nach und hält einen Fehler für möglich?

     

    Furcht vor AnhängerInnen eines höheren Wesens, die sich berechtigt fühlen, die Zahl der AnhängerInnen ihres höheren Wesens gewaltsam zu vergrößern und die derjenigen eines anderen gewaltsam zu verringern, ist berechtigt und keine Phobie.

     

    Im Übrigen ist schon bekannt, dass PolitikerInnen vor und nach Talkshows oft freundlicher miteinander umgehen als während, warum sollte es bei AnhängerInnen des Islam anders sein?