Grüner über EU-Kommissionspräsidenten: „Sollen die Briten eben austreten“
Daniel Cohn-Bendit legt dem britischen Premier David Cameron nahe, endlich ein Referendum über den EU-Austritt abzuhalten.
taz: Herr Cohn-Bendit: Warum sollte Juncker EU-Kommissionspräsident werden?
Daniel Cohn-Bendit: Das haben im Endeffekt die Wählerinnen und Wähler so entschieden. Vor der Wahl wurde ein politisches Versprechen abgegeben. Alle europäischen Parteien haben Spitzenkandidaten aufgestellt. Und alle konservativen Parteichefs haben sich hinter Juncker gestellt. Die Konservativen stellen jetzt die stärkste Fraktion. Damit hat Juncker ein Mandat für den Sitz des Präsidenten. Daher ist es absolut notwendig für die Weiterentwicklung der europäischen Demokratie, dass Jucker jetzt zum Kommissionspräsidenten gewählt wird.
Jetzt ist Merkel ja eingeknickt und hat Juncker nominiert, obwohl sie das gar nicht wollte.
Was heißt hier eingeknickt? Frau Merkel muss endlich mal zu dem stehen, was sie entscheidet. Sie war ursprünglich gegen einen Spitzenkandidaten, hat sich dann aber gebeugt und einen nominiert. Damit hat sie dem demokratischen Prozess zugestimmt. Und jetzt kann sie nicht hingehen und sagen „April, April, das war ein Witz, ein Scherz, ich mache das jetzt wieder ganz anders.“
Aber sie muss doch auch Rücksicht nehmen auf den Widerstand im Europäischen Rat. Sie muss ja noch ein paar Jahre mit den Regierungschefs auskommen, auch mit Cameron.
Ja, was heißt, sie muss. Demokratie ist manchmal auch eine Mehrheitsentscheidung. Diese ständige Erpressung aus Großbritannien darf nicht so weitergehen. Es kann doch nicht sein, dass immer Cameron entscheidet, wie schon bei der Verabschiedung des Haushalts. Cameron nimmt überhaupt keine Rücksicht. Das heißt im Endeffekt, eine Minderheit setzt sich gegen eine Mehrheit durch.
Gut, nehmen wir an, Juncker wird Kommissionspräsident.
Wenn sich das Europäische Parlament in dieser Frage jetzt nicht durchsetzt, dann können die 751 Abgeordneten die nächsten fünf Jahre in Urlaub gehen. Es ist eine zentrale Entscheidung für die europäische Demokratie, dass nicht mehr die 28 Regierungschefs allein bestimmen und sich durchsetzen.
69, saß von 1994 bis 2014 für die Grünen im EU-Parlament.
Das heißt aber doch auch, dass alles beim alten bleibt, die alten Gesichter, die alte Politik.
Jetzt hören Sie doch mal auf. Das ist doch Firlefanz. Darf die taz auch mal logisch sein? Das ist doch wie bei der Bundestagswahl. Man kann doch nicht danach einfach einen anderen Kandidaten aus dem Hut ziehen, der dann Kanzler wird. Da verliert man ja jede Glaubwürdigkeit. Da nehmen einen die Leute doch gar nicht mehr ernst.
Aber ich hätte gerne eine Wahl gehabt.
Herr taz-Redakteur, Sie haben keine Wahl. Ich hätte mir auch andere Kandidaten gewünscht. Nur gibt es die noch nicht. Ich bin nach längerer Überlegung zu dem Schluss gekommen, dass der Kommissionspräsident in einer Direktwahl bestimmt werden sollte. Jeder Wähler sollte dann bei der Europawahl zwei Stimmen haben, einen für die Parteien und einen für den Kommissionspräsidenten.
Warum sind einige Konservativer gegen Juncker?
Egal, ob Schulz oder Juncker: Die Briten waren immer gegen einen Kommissionspräsidenten, der sich für mehr Föderalismus in Europa ausgesprochen hat. Deshalb sind sie gegen Juncker. Ich möchte zu England folgendes sagen: Wenn Cameron eine Volksabstimmung machen will, dann soll er endlich eine machen. Just do it! Dann gehen sie eben aus der EU raus. Und die Schotten machen dann auch noch einen Volksentscheid.
Ist das denn sinnvoll, dass England aus der EU austritt?
C’est la vie! Es müssen bestimmte Prozesse zu Ende gebracht werden. Daran gibt es nichts zu deuteln. Ich kann Ihnen sagen, wie Europa in zehn Jahren aussehen wird. Es gibt dann ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Es gibt ein Euro-Europa. Und es gibt Staaten mit privilegierter Partnerschaft. Dazu gehören dann Großbritannien, die Türkei und auch die Ukraine, wenn sie sich demokratisiert und stabilisiert.
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