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Grüner über EU-Kommissionspräsidenten„Sollen die Briten eben austreten“

Daniel Cohn-Bendit legt dem britischen Premier David Cameron nahe, endlich ein Referendum über den EU-Austritt abzuhalten.

„Es müssen bestimmte Prozesse zu Ende gebracht werden“: EU-Parlament in Brüssel Bild: dpa
Interview von Georg Baltissen

taz: Herr Cohn-Bendit: Warum sollte Juncker EU-Kommissionspräsident werden?

Daniel Cohn-Bendit: Das haben im Endeffekt die Wählerinnen und Wähler so entschieden. Vor der Wahl wurde ein politisches Versprechen abgegeben. Alle europäischen Parteien haben Spitzenkandidaten aufgestellt. Und alle konservativen Parteichefs haben sich hinter Juncker gestellt. Die Konservativen stellen jetzt die stärkste Fraktion. Damit hat Juncker ein Mandat für den Sitz des Präsidenten. Daher ist es absolut notwendig für die Weiterentwicklung der europäischen Demokratie, dass Jucker jetzt zum Kommissionspräsidenten gewählt wird.

Jetzt ist Merkel ja eingeknickt und hat Juncker nominiert, obwohl sie das gar nicht wollte.

Was heißt hier eingeknickt? Frau Merkel muss endlich mal zu dem stehen, was sie entscheidet. Sie war ursprünglich gegen einen Spitzenkandidaten, hat sich dann aber gebeugt und einen nominiert. Damit hat sie dem demokratischen Prozess zugestimmt. Und jetzt kann sie nicht hingehen und sagen „April, April, das war ein Witz, ein Scherz, ich mache das jetzt wieder ganz anders.“

Aber sie muss doch auch Rücksicht nehmen auf den Widerstand im Europäischen Rat. Sie muss ja noch ein paar Jahre mit den Regierungschefs auskommen, auch mit Cameron.

Ja, was heißt, sie muss. Demokratie ist manchmal auch eine Mehrheitsentscheidung. Diese ständige Erpressung aus Großbritannien darf nicht so weitergehen. Es kann doch nicht sein, dass immer Cameron entscheidet, wie schon bei der Verabschiedung des Haushalts. Cameron nimmt überhaupt keine Rücksicht. Das heißt im Endeffekt, eine Minderheit setzt sich gegen eine Mehrheit durch.

Gut, nehmen wir an, Juncker wird Kommissionspräsident.

Wenn sich das Europäische Parlament in dieser Frage jetzt nicht durchsetzt, dann können die 751 Abgeordneten die nächsten fünf Jahre in Urlaub gehen. Es ist eine zentrale Entscheidung für die europäische Demokratie, dass nicht mehr die 28 Regierungschefs allein bestimmen und sich durchsetzen.

Bild: reuters
Im Interview: Daniel Cohn-Bendit

69, saß von 1994 bis 2014 für die Grünen im EU-Parlament.

Das heißt aber doch auch, dass alles beim alten bleibt, die alten Gesichter, die alte Politik.

Jetzt hören Sie doch mal auf. Das ist doch Firlefanz. Darf die taz auch mal logisch sein? Das ist doch wie bei der Bundestagswahl. Man kann doch nicht danach einfach einen anderen Kandidaten aus dem Hut ziehen, der dann Kanzler wird. Da verliert man ja jede Glaubwürdigkeit. Da nehmen einen die Leute doch gar nicht mehr ernst.

Aber ich hätte gerne eine Wahl gehabt.

Herr taz-Redakteur, Sie haben keine Wahl. Ich hätte mir auch andere Kandidaten gewünscht. Nur gibt es die noch nicht. Ich bin nach längerer Überlegung zu dem Schluss gekommen, dass der Kommissionspräsident in einer Direktwahl bestimmt werden sollte. Jeder Wähler sollte dann bei der Europawahl zwei Stimmen haben, einen für die Parteien und einen für den Kommissionspräsidenten.

Warum sind einige Konservativer gegen Juncker?

Egal, ob Schulz oder Juncker: Die Briten waren immer gegen einen Kommissionspräsidenten, der sich für mehr Föderalismus in Europa ausgesprochen hat. Deshalb sind sie gegen Juncker. Ich möchte zu England folgendes sagen: Wenn Cameron eine Volksabstimmung machen will, dann soll er endlich eine machen. Just do it! Dann gehen sie eben aus der EU raus. Und die Schotten machen dann auch noch einen Volksentscheid.

Ist das denn sinnvoll, dass England aus der EU austritt?

C’est la vie! Es müssen bestimmte Prozesse zu Ende gebracht werden. Daran gibt es nichts zu deuteln. Ich kann Ihnen sagen, wie Europa in zehn Jahren aussehen wird. Es gibt dann ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Es gibt ein Euro-Europa. Und es gibt Staaten mit privilegierter Partnerschaft. Dazu gehören dann Großbritannien, die Türkei und auch die Ukraine, wenn sie sich demokratisiert und stabilisiert.

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8 Kommentare

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  • Ich habe in den 1990er Jahren vier Jahre lang in Großbritannien gelebt und gearbeitet und mir fällt es nachwievor schwer zu verstehen warum viele der Briten so euroskeptisch sind. Andererseits; wenn es im Vereinigten Königreich eine Mehrheit gibt die nicht will dass Großbritannien zur EU gehört, dann müssen wir diese Entscheidung respektieren und akzeptieren.

  • Wenn ich mir die vielen Extrawürste klarmache, die die Briten bisher ausgehandelt haben, dann kann ich Herrn Cohn-Bendit nur beipflichten.

  • "Das heißt aber doch auch, dass alles beim alten bleibt, die alten Gesichter, die alte Politik." -

    "Jetzt hören Sie doch mal auf. Das ist doch Firlefanz. Darf die taz auch mal logisch sein?"

     

    Wieso Firlefanz? Und was soll die Rede von Logik hier? Wo die TAZ recht hat, da hat sie recht. Alles bleibt wie gehabt: "alte Gesichter, alte Politik."

     

    Ansonsten schließe ich mich AGE KRÜGER voll an:

     

    Es ist schon eine seltsame Denke dieses ehemaligen Linkspopulisten (heute nur noch "Populist") wenn er glaubt, wir würden nur deshalb wählen, weil uns das Zahnpastalächeln eines Kandidaten besser gefällt als das andere.

    • @Hunter:

      Auch wenn Juncker bekannt ist, ein altes Gesicht ist er nicht. Nur mit ihm wird/kann sich etwas ändern. Die EU wird abgelehnt, weil die Einstimmigkeit zu einer steten Selbstblockade geführt hat. Vor Jahren war es Polen, als sich alle einig waren. Das Veto sollte nicht nur die konkrete Entscheidung treffen, sondern der Gemeinschaft schaden. Mit Juncker könnte der Lissabon-Vertrag mit Leben gefüllt werden, mit seiner Nominierung könnte das Mehrheitsprinzip zum ersten mal praktiziert werden. Als Bürger habe ich ausschließlich Einfluss auf die Zusammensetzung des EU-Parlamentes. Damit steht es mir näher als der Rat, in dem ich mich für Merkel fremdschämen muss. Vieles hat sich in Deutschland erst zum Guten gewendet, als es ein Urteil der Europäischen Gerichtshofes dazu gab. Je mehr Macht der Rat an welche EU-Institution auch immer verliert, desto besser.

  • Es ist eine Unverschämtheit von Cohn-Bendit, dass er meine Wählerstimme nur so interpretiert, als würde es mich interessieren, welcher Suppenkaspar da der Oberverwaltungsbürokrat wird.

    Ich habe diesmal (noch) gewählt. Und zwar, weil ich eine politische Stellungnahme mit meiner Stimme abgeben wollte, was ich von der EU halte.

    Für Cohn-Bendit sind Wähler nur dafür da, irgendwelche Bonzen in irgendwelche Gremien zu wählen. Das ist so eine Form der Wählerverachtung, die es einem schwer macht, noch mal zu einer Wahl zu gehen.

    Gut, dass es Herrn Sonneborn gibt.

  • Bis vor zwei, drei Jahren dachte ich, diese EU sei noch reformierbar. Hin zu sozialen und ökologischen Mindeststandards. Das war ein Irrtum.

    Trotz Krise gibt es weder eine europäische Ratingagentur noch scharfe Transaktionssteuern und schon gar keinen regulierten Kapitalverkehr. Ganz zu schweigen

    von einem neuen Marshallplan oder (grünen) New Deal. Der Finanzplatz London diktiert die Politik der EU.

     

    Das EU-Parlament hat praktisch keine Entscheidungsgewalt für die wichtigsten Belange. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht ja die 5-Prozent-Hürde bei dieser EU-Wahl aufgehoben. 57% der Wahlberechtigten in der EU interessiert dieses Parlament nicht. Da ist nicht nur Trägheit im Spiel, sondern auch Verachtung. Und ein Viertel derer, die dennoch wählen gingen, haben EU-Gegner gewählt.

     

    Die EU-Spitze hat die Resignation vor allem unter den Jüngeren geschürt und die Rechten stark gemacht. Und das wird auch die nächsten 5 Jahre so sein.

    Allerdings wird das Stimmenpotential der alten Volksparteien in Europa (so wie zB Union und SPD in D) in den nächsten 5-7 Jahren radikal schrumpfen. Aus rein biologischen Gründen.

     

    Von den über 70-jährigen haben in D 32 Prozent die SPD und 48 Prozent Union gewählt. Diese Gruppe geht extrem fleissig zur Wahl. Sie macht mehr als die Hälfte der Altpartei-Stammwähler aus. Ohne sie würde die Union heute unter 30 und die SPD unter 20 Prozent landen. Im Rest Europas läuft es ähnlich.

     

    Und die Revolution? Die findet nur dann statt, wenn die noch Wohlhabenderen und Abgesicherten Verluste fürchten müssen. Falls es zu einem erneuten Finanzcrash, zu Versogringsnepässen und/oder einem grösseren Krieg in Europa kommt. Diese Revolution würde aber nach rechts ausschlagen.

    Ich muss nicht behalten, manchmal will ich es auch nicht.

     

    Und Cohn-Bendit?

    Mit dieser Chuzpe wurden Vollversammlungen Ende 60er Anfang 70er majorisiert. Damit wird jede Form der Basisdemokratie totgeritten.

  • "Wenn sich das Europäische Parlament in dieser Frage jetzt nicht durchsetzt, dann können die 751 Abgeordneten die nächsten fünf Jahre in Urlaub gehen."

     

    Die typisch deutsche Haltung:

     

    "Die, die wir gewählt haben, halten sich nicht an ihre Wahlversprechen. *seufz* Na dann müssen wir das eben eine ganze Legislatur ertragen; und dann wird ja wieder gewählt."

     

    Bis dahin gab's dann ne Menge Gedächstnisschwund und kurz vor der Wahl noch etwas Zuckerbrot nach den zu schluckenden Kröten, und dann werden dieselben wiedergewählt.

    "*heul* Man kann doch sonst niemanden wählen! *angsthab* Es gibt doch keine Alternative!"

    - "WAS?! Schon wieder Kröten schlucken?! *jammer* - "...na dann... aber bei der nächsten Wahl!...*runterwürg*"

     

    Gut das da andere europäische Völker nicht so obrigkeitshörig dem Führ.. - pardon - der Führung folgen, sondern von demokratischen Mitteln Gebrauch machen, und eine Regierung auch während ihrer Amtszeit auf einen anderen Kurs zu drücken.

     

    In anderen Staaten hätte das, was sich die CDU-Regierungen immer wieder leisten, längst zu ner Revolution geführt.

    Aber in Deutschland wird nicht mal mehr demosntriert - so sehr haben die Deutsche schon resigniert und sich an den Geschmack von Kröten gewöhnt.

    • D
      D.J.
      @Schwarznasenschaf:

      Zu Ihrem letzten Absatz:

      Wahrlich kein Naturgesetz, aber in letzter Zeit eine bedauerliche Entwicklung, wie mir scheint - je linker, umso größer die Ignoranz der Realitäten. Ansonsten hätten Sie zumindest im Rande mitbekommen, wie viele in dieses (zum Teil) CDU-regierte Elendsland einwandern und hier meines Wissens keineswegs vorhaben, Revolution zu machen.