Gabriel contra Slomka im „heute-journal“: Paranoid, enttäuscht, hilflos
Inhaltlich gab das Wortgefecht zwischen SPD-Chef Gabriel und ZDF-Moderatorin Slomka wenig her. Psychologisch umso mehr.
Ali gegen Foreman war vorgestern, gestern war Marietta Slomka gegen Sigmar Gabriel. Im „heute journal“ ein hochinteressanter Clash über fünf Runden zum Thema „Abstimmung der SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag aus verfassungsrechtlichen und basisdemokratischen Blickwinkeln“.
Sicher lässt sich trefflich darüber streiten, ob es weniger Demokratie ist, wenn man zu einer wichtigen Entscheidung statt einem Hundertfünfzigstel des Wahlvolks gar niemanden abstimmen lässt, oder wenn man eben dieses Hundertfünfzigstel bevorzugt wie im alten Rom.
Noch schöner wäre es ja, wenn man nicht darüber streiten würde, was noch weniger Demokratie wäre, sondern was vielleicht mehr sein könnte, aber das ist zum Glück nur die persönliche Meinung eines weltfremden Schreiberzausels, der anstatt anzupacken nur die kurzen Interludien zwischen seinen Drogenräuschen mit naiven Forderungen zubrüllt.
Viel Gebrüll und wenig Inhalt letztlich auch im Interview. Daher erscheint es ergiebiger, die Dynamik, die Psychologie sowie den Wandel von Rolle und Status innerhalb des Gesprächs zu beobachten.
Unermüdliche Ballwand
Bei Marietta Slomka ist alles ganz einfach. Sie ist immer Frau Slomka, die eine Mischung aus Journalistin und Ballwand spielt. Kaum wechselt bei ihr Mimik und Intonation. Die in verschiedenen Winkeln aufprallenden Antworten, Ausflüchte und Gegenreden Gabriels werden von ihr mit den immergleichen Fragen retourniert. Sie wartet einfach, bis er erschöpft ist. Eine Ballwand wird niemals müde.
Aufschlussreicher ist Gabriel. Er versucht sich als Taschenspieler, Animateur, Oberlehrer, als Partner, der von innen heraus eine kriselnde Beziehung moderiert, als beleidigter Trainer eines Tabellenletzten. Das ist schön anzuschauen und wer sich schon einmal in einem Workshop an der Kunst des Improvisationstheaters versucht hat, weiß diese Leistung auch zu schätzen.
Das Böse als Kronzeuge
Der Taschenspieler lockt und wiegelt ab. „Sie haben nicht richtig zugehört“, lügt er schlau da, wo der Fernsehzuschauer nichts nachweisen kann. „Wieso sollte direkte Demokratie verboten sein?“, fragt er, es klingt wie „kann denn Liebe Sünde sein?“ und hat nichts miteinander zu tun, tut aber so. Auf dem Gipfel seiner Täuschungsmanöver führt er sogar das Böse selbst als Kronzeugen an: Der FDP-Vorsitzende Lindner habe gesagt, der Koalitionsvertrag sei ein sozialdemokratisches Programm. Doch der hätte das wahrscheinlich auch vom Hitler-Stalin-Pakt behauptet.
Nach dem umstrittenen „heute journal“-Interview mit SPD-Chef Gabriel hat sich CSU-Chef Horst Seehofer in einem Brief an ZDF-Intendant Thomas Bellut über den Sender beschwert. „Ich wehre mich gegen diese Qualität der Diskussion,“ sagte Seehofer am Freitag. Der CSU-Chef sitzt im Verwaltungsrat des Mainzer Senders. Seehofer sagte, die Art der Fragen von „heute journal“-Moderatorin Marietta Slomka sei typisch für das Öffentlich-Rechtliche. Gabriel sollte nach seiner Meinung wie ein Schulbub vorgeführt werden. Er könne nicht verstehen, wie Slomka die Verfassungsmäßigkeit des Mitgliederentscheids der SPD anzweifeln könne. Die CSU entscheide mit etwa hundert Vertretern über den Koalitionsvertrag, die CDU auf ihrem kleinen Parteitag vielleicht mit 400. „Wenn ein Mitgliederentscheid verfassungswidrig ist, dann sind es unsere Veranstaltungen gleich doppelt und dreifach.“ Er halte den Mitgliederentscheid der SPD für „total“ legitim.
Der Alleinunterhalter Gabriel wiederum frohlockt: „Das ist richtig gut, was wir machen.“ Die Stimmung ist fröhlich, die Mitglieder klatschen und sind gut gelaunt. Kamelausritte auf SPD-Parteitage, Tischtennis, Wasseraerobic im Pool, Abstimmung über den Koalitionsvertrag. Und das auch noch all inclusive. Die griesgrämige Backpackerin Slomka interessiert das nicht.
Deshalb sehen wir als nächstes Gabriel als Oberlehrer. Die kleine Marietta aus der ersten Bank will mit ihm diskutieren. Sie ist engagiert, aber dumm und schlecht vorbereitet. Außerdem ist ihr Vater bei der CDU. Da verliert selbst der geduldigste Studienrat irgendwann die Contenance: „Das ist völlig falsch, was Sie sagen. Seien Sie mir nicht böse, aber ich kann Ihre Argumente nicht wirklich ernstnehmen.“
Angie liebt Horsti
Seufzend nimmt Herr Gabriel noch einmal die Kreide und den Schwamm, wischt ein Herz weg, das von einem Pimmel durchbohrt wird und auf dem „Angie liebt Horsti“ steht („Und das soll Oberstufe sein?“, denkt er. „Und so was muss ich mit ‚Sie‘ anreden?“) und zeichnet ein Schaubild an die Tafel: „Verfassung – Willensbildung – Parteiengesetz – Abgeordnete – Freies Mandat …“ Zum hundertsten Mal, doch Marietta gibt nicht auf: „Ich dachte eigentlich, dass in Deutschland alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht …“ Dabei ist ihr das völlig egal. Das merkt er schon an ihrem schnippischen Tonfall. Sie will ihn nur provozieren.
„Tun Sie mir den Gefallen – lassen Sie uns den Quatsch beenden.“ Das klingt resigniert. Er ist noch in der alten Rolle und auch schon in der neuen: Seine Beziehung mit Marietta kriselt. Ein leises Bedauern beschleicht ihn: Früher war alles einfacher, da hat man Frauen wie diese entmündigt oder verbrannt.
Doch er ist kein Chauvi, beherrscht sich, ist eher einer dieser halbmodernen Männer mittleren Alters, die unbeholfen aber bemüht mit ihrem Weg in ein neues Rollenverständnis kämpfen. Ein CSU-Politiker hätte die keifende Alte ganz anders abgekanzelt. Unter der Gürtellinie.
Das beleidigte Toben
Gabriel aber gleicht aus, während Slomka bissig wird: „Sie sagen, es ist Quatsch. Das ist eine besondere Form der Argumentation.“ Oha. Er überhört auch das, erinnert leise, fast flehend an bessere Tage (im VW-Käfer nach Griechenland. Billiger Retsina. Das erste Kind. Beide bettelarm und noch im Studium …), appelliert an sie, würdevoll und vielleicht sogar als Freunde auseinanderzugehen: „Das hat doch keinen Sinn, wenn wir uns hier so behandeln.“
Leider geht die Partnerin nicht konstruktiv darauf ein: „Ich behandel Sie gar nicht schlecht, ich stell hier Fragen.“ Was er ihr angetan hat, werden wir wohl nie erfahren.
Die letzte Rolle, der letzte Trumpf, ein erbärmliches Rückzugsgefecht, er weiß es selber: „Es ist nicht zum ersten Mal, dass Sie in einem Interview mit Sozialdemokraten nichts anderes versuchen als uns das Wort im Mund herumzudrehen.“ Es ist klar, dass er recht hat und es ist klar, dass er damit nicht durchkommt. Es sieht nur aus wie das beleidigte Toben eines unterlegenen Fußballtrainers, paranoid, enttäuscht, hilflos: „Es ist immer dasselbe, dass die Schiedsrichter uns Aufsteiger/Ostvereine/Sozialdemokraten systematisch benachteiligen …“
Sigmar Gabriel muss auf die Tribüne. Sein Blick ist weinerlich. Wo ist all das Kämpferische hin? Schwacher Abgang.
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