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Debatte Ukraine und EUMieses ökonomisches Dilemma

Von der küchenpsychologischen Behandlung der Krimkrise sollte man abrücken und zur Fehleranalyse übergehen. Besonders seitens der EU.

Die Annexion der Krim war nach allem, was sichtbar und plausibel ist, keine Spontanaktion – Lenin-Statue auf der Krim Bild: dpa

Auf vielen Berliner Podien zur Außenpolitik wiederholte sich in den letzten Monaten dasselbe Szenario. Irgendwann sprang ein älterer Herr auf und rief in den Saal: „Das Problem ist doch: Wir haben keine schlüssige Russlandstrategie!“ Meist wurde ihm – mal war es ein pensionierter Diplomat, mal ein emeritierter Professor – vom Podium aus zugestimmt: Jaja, das sei ja wahr, aber was solle man denn tun.

Wie sich inzwischen herausgestellt hat, war Russlands Präsident Wladimir Putin weniger faul. Die Annexion der Krim war nach allem, was sichtbar und plausibel ist, keine Spontanaktion, sondern gut vorbereitet. Umso interessanter ist, was Europa eigentlich unternommen hat, eine derartige Eskalation der Lage nach dem Sturz der Regierung in Kiew zu vermeiden. Diese Frage richtet sich auch an all diejenigen, die jetzt im Ton des „Immer schon gewusst“-Habens verkünden, es sei doch „klar gewesen“, dass Putin sich die Vorgänge in der Ukraine „nicht gefallen lassen konnte“.

Wenn der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) plötzlich erklärt, „wir werden unsere östlichen Nachbarn nicht in Entweder-oder-Entscheidungen drängen“, deutet er zumindest an, wo in der Vergangenheit der Fehler gesteckt haben könnte. Denn Entweder-oder war tatsächlich bislang das Motto der EU-Strategie gegenüber der Ukraine. In der EU wollte man die Ukraine zwar nicht haben, aber sie sollte mit ihren 46 Millionen Konsumenten an den europäischen Markt gebunden werden, bevor ein Russland-zentriertes Gegenmodell, die eurasische Zollunion, Form annehmen konnte.

In den vielen Jahren der Verhandlung über das EU-Assoziierungsabkommen hat sich Europa aber offensichtlich nie bemüßigt gesehen, einmal herauszuarbeiten, ob und inwiefern die Westanbindung der Ukraine mit besonderen Handelsbeziehungen zu Russland vereinbar wären.

Ein kleiner Überblick: EU-Kommission-Präsident Manuel Barroso erklärte im Februar 2013, es könne kein Sowohl-als-auch geben. Eine Freihandelszone mit der EU und eine Zollunion mit Russland, „das ist nicht möglich“. Exkommissionspräsident Romano Prodi sagte im Juni 2013 dagegen, dass jedenfalls ein bestimmter Status in der Zollunion kein Hindernis für die EU-Assoziierung sei. Elmar Brok, CDU-Außenpolitiker im Europäischen Parlament, sagte im Dezember 2013, Freihandel mit EU und Russland seien „rein technisch“ nicht vereinbar. Aber es gebe Möglichkeiten, die Handelsbeziehungen mit Russland nicht zu gefährden.

Alternativen: keine

Klarer wird’s nicht. Ein Ruf der Europäischen Grünen-Fraktion nach einem anständigen Gutachten zur Vereinbarkeit von Handelsbeziehungen der Ukraine nach West und Ost blieb zuletzt ohne Echo. Die Kommission machte es sich zu einfach. Die wirtschaftliche Anbindung der Ukraine an die EU ohne Beitrittsperspektive wurde immer mit einer politischen Orientierung in eins gesetzt. Alternativen: keine.

Viele Diskussionen seit Putins Griff nach der Krim werden nun von klassischer Küchenpsychologie beherrscht. Welche Kindheitserfahrungen ihn zu dem Antidemokraten gemacht haben, der er offensichtlich ist; welche Kindheitserfahrungen wiederum die Deutschen gemacht haben, dass sie Putins pseudoantifaschistischer Propaganda so bereitwillig aufsitzen konnten. Zur Abwechslung könnte man aber auch fragen, welche wirtschaftlichen Interessenskonflikte in der Ukraine ausgetragen werden. Es geht dabei schließlich längst nicht nur um durchzuleitendes Gas.

Aufschlussreich ist hier ein Gutachten der Friedrich-Ebert-Stiftung vom August 2011. Das wertet den damals fast fertig vorliegenden EU-Assoziierungsvertrag aus, der im November 2013 von Präsident Wiktor Janukowitsch im letzten Moment eben doch nicht unterzeichnet wurde. Die Autorin der Studie, Ina Kirsch van de Water, ist starke Befürworterin der Annäherung der Ukraine an die EU: Unterm Strich sei sie auch für die Ukraine sinnvoll. Umso schwerer aber wiegen ihre Ausführungen dazu, welche Nachteile das Abkommen für die Ukraine mit sich bringt.

Janukowitschs „Partei der Regionen“ bestehe „weitestgehend aus den Arbeitnehmern im produzierenden Gewerbe“. Diese seien zunächst am stärksten von den sozialen Einschnitten betroffen, die mit den EU-Reformvorgaben verbunden seien. Die EU empfehle unter anderem, 29 Kohlegruben bis 2016 zu schließen, es werde in der Folge zu „sozialen Verwerfungen“ kommen. Diese würden noch dadurch verschärft, dass – anders als für EU-Beitrittskandidaten – keine EU-Finanzhilfen zur Abfederung bereit stehen. Der als besonders leistungsfähig geltenden ukrainischen Landwirtschaft wiederum werde „nur in sehr beschränktem Umfang Zugang zum europäischen Binnenmarkt“ gewährt.

Die angebliche Arbeitsgruppe

Die Ereignisse der vergangenen Wochen – darunter EU-Hilfszusagen an die Ukraine über 11 Milliarden Euro –haben nun einige dieser Punkte relativiert. Der Interimspremier Arseni Jazenjuk hat bislang außerdem nur den politischen Abschnitt des Abkommens unterschrieben. Angeblich tagt irgendwo in Brüssel auch eine Arbeitsgruppe, die nun darüber nachdenkt, welche Handelsregeln vielleicht mit dem Russlandgeschäft der Ukraine vereinbar wären.

Viel wichtiger aber ist, dass nun sowohl die UkrainerInnen als auch gewissenhafte EU-EuropäerInnen noch einmal ernsthaft darüber nachdenken können, welcher Teil des Vertrags der Befreiung des Landes von Oligarchie und Korruption dienen könnte.

Putins Versprechungen dürften schon angesichts der Wirtschaftslage in Russland keine Griwna wert sein. Aber es sieht auch nicht danach aus, als wenn die Ukrainer schon ausreichend darüber gesprochen hätten, welches soziale Experiment denn die EU im Gespann mit der Oligarchen-Sippe um Janukowitsch mit ihnen vorhatte. Die EU ist nicht schuld, dass Putin das Völkerrecht gebrochen hat. Aber sie hat die Ukraine in ein mieses ökonomisches Dilemma manövriert. Die Ukrainer haben jetzt alles Recht der Welt, Forderungen an die EU zu stellen.

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14 Kommentare

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  • Sie ersetzen Küchenpsychologie durch geschichtslose Naivität, indem sie die geostrategische Ebene zwischen Russland und den USA vollständig ausblenden. Auch im ungleichen Machtkampf und der Paranoia dieser beiden wird Demokratie und das Selbstbestimmungsrecht der Völker nur je nach taktischem Vorteil zum Vorwand der eigenen Machstrategien genommen, auch deswegen verbietet sich eine Mikrobetrachtung eines Aspektes oder der reinen EU-Ukraine-Beziehung. Wenn Sie doch diesen Weg gehen, machen Sie sich zum unbewussten Handlanger der imperialen Interessen der USA, heucheln mit und messen mit zweierlei Maß: Wer in Kuba keine Sowjetraketen wollte, muss auch jetzt keine Nato-Raketen in der Ukraine wollen, sonst wird er zum Heuchler und zum Verächter berechtigter russischer Interessen und Gefühlslagen. Es ist Deutschland, welches vor ca.70 Jahren vor Moskau stand, es ist der Westen, der Gorbatschow keine Nato an den Westgrenzen Russlands zusicherte, es ist der Westen, welcher sich einen Dreck ums Völkerrecht im Irak, in Afghanistan, Im Kosovo etc. pp. scherte. Immerhin ist die Hälfte der Deutschen so klug (siehe ARD Politbarometer), sich eine Mittelstellung Deutschlands zwischen den USA und Russlands zu wünschen, ein Wunsch, der im Gegensatz zu naiven US-Gesinnungsideologie fast aller Kommentatoren in den sogenannten deutschen “Qualitätsmedien“ (leider auch in der taz !) steht. Nur damit es klar ist: Natürlich ist Putin kein Demokrat, aber das hat hier mal nichts mit dem aktuellen Thema zu tun und gilt ebenso für die Bush’s und Obamas dieser Welt, die nach eigenem Gusto morden.

  • Wieso misst der Westen mit zweierlei Maß? Ich erinnere nur einmal an den Kosovo und dessen Bombardierung? Waren die vom Völkerrecht gedeckt?

     

    Erst wurden die Demonstrationen seitens des Westens massive unterstützt, und die im Anschluss erfolgten Destabilisierung, für seine eigenen Ziele zu missbrauchen? Latein Amerika und viele andere war doch die Blaupause dafür?

     

    Ich möchte einmal sehen, wenn Proteste im Westen, seitens Russland finanziell unterstützt worden wären? Der Außenminister Russlands, zu den Protestlern gesprochen hätte?

     

    Nach wie vor, ist doch völlig unklar, mit wem eigentlich die EU in der Ukraine verhandelt bzw. Verträge abschließt, mit einer (noch) nicht gewählten Regierung?

     

    Es scheint offensichtlich der EU egal zu sein "mit wem sie ins Bett geht" Hauptsache Geschäft über alles, egal ob mit Oligarchen oder Nazis.

     

    Die EU sollte aber wissen: " Wer mit dem Teufel speisen will, braucht einen langen Löffel."

  • Wenn man das so liest, welche Folgen die EU-Mitgliedschaft oder nur eine Handelsbeziehung zur EU für ein Land haben kann, dann fragt man sich natürlich auch, warum wir das nur den Ukrainern ersparen sollen und nicht auch uns selbst!

  • Die dem Artikel inhärente antirussische Propaganda mal beiseite:

     

    "Aber es sieht auch nicht danach aus, als wenn die Ukrainer schon ausreichend darüber gesprochen hätten, welches soziale Experiment denn die EU im Gespann mit der Oligarchen-Sippe um Janukowitsch mit ihnen vorhatte."

     

    Im Ernst? Es sieht nicht danach aus, als hätten die Ukrainer schon ausreichend darüber gesprochen, welches soziale Experiment denn die EU im Gepsann mit IWF und der Oligarchen-Sippe um Poroschenko mit ihnen vorhaben. Der mit EU-Nachhilfe "demokratisch" an die Macht geputschte "Yats" Jazenjuk sorgt allerdings gerade dafür, dass ihnen dazu auch keine Gelegenheit bleibt.

     

    Was will Frau Winkelmann? Ein bisschen an den neoliberalen Umbauplänen herummäkeln, deren Realisation sie vorbehaltlos unterstützt?

     

    Es wurde schon oft genug gesagt - und hat sich auch nicht geändert. Um Russland kommt man nicht herum, will man eine Lösung des Ukraineproblems. Gerade der von "Yats" bereits unterschrieben Teil der Vereinbarung mit der EU ist da wenig hilfreich, da er zu viel Gewicht auf die "sicherheitspolitische" Einbindung der Ukraine legt.

     

    Es sollte klar sein, dass eine Integration der Ukraine in die NATO für Russland eine rote Linie ist. Es wird auch nicht ohne eine politische und wirtschaftliche Autonomie des Süd-Ostens gehen. Schon allein, weil der Süd-Osten nach der Sezession der Krim allein schon vom Stimmenverhältnis vom Westen der Ukraine majorisiert würde.

     

    Eine föderale, neutrale Ukraine. Alles andere sind feuchte Träume, die nur eine weitere Spaltung der Ukraine nach sich ziehen und das internationale Klima weiter verschärfen.

  • hallo Frau Winkelmann,

     

    wie können Sie "Putin´s Griff nach der Krim" hier diskutieren ohne auch nur ein einziges mal die Nato zu erwähnen???

    Ganz schön hinterhältig von Putin, wenn er seine Schwarzmeerflotte nicht freiwillig übergeben will.

     

    Ich empfehle Ihnen hier einen sehr aufschlußreichen Film von Peter Scholl-Latour aus dem Jahr 2006, der die Ereignisse in 2014 vorwegnimmt:

    https://www.youtube.com/watch?v=2DstVufWpRg

    • @schreiberling:

      Danke für diesen Link! Sehr lehrreich... Man kann- im Lichte dieser Reportage Peter Scholl-Latours von 2006 - evtl. sagen dass Herr Putin in Bezug auf die Krim so agieren musste um die `Einkreisung´ Russlands durch westlich und EU gesteuerte `Bananenstaaten´(mir fällt leider kein anständiger Begriff dafür ein.. tschuldigung! ) gen West zu blockieren...

  • "Die EU ist nicht schuld, dass Putin das Völkerrecht gebrochen hat. "

    Was ist das für'n blödsinniger Satz ?!

    Und dann : " Aber(!?) sie hat die Ukraine in ein mieses ökonomisches Dilemma manövriert."

    Jooouh . Und das hat wohl Putin die linke Eingebung ins böse Hirn gebracht : "Dafür schnappe ich mir jetzt die Krim !" , oder wie ? ( Neee , liebe Frau Winkelmann , der Putin sah wohl eher die Nato in seinem Hirn spuken , nicht die zahlungsunfähige EU .)

    Daraus folgt in Winkelmann'scher Logik weiter : "Die Ukrainer haben jetzt alles Recht der Welt, Forderungen an die EU zu stellen."

    Jaa freut euch , liebe Ukrainer*Innen ! Ihr habt jetzt viele Wünsche frei bei der EU ! Wie da sind : Hilfe bei der Abwicklung der vorgestrigen Industrie-Unternehmen , Reduzierung des öffentlichen Dienstes um ein Drittel etc...

  • Bis auf den drittletzten Satz, alles wohlbegründet. Und die EU ist nicht schuld an der Krimübernahme? Ausgangspunkt war die Unterzeichnung eines Vertrages (Steinmeier, Fabius und Sikorski) und der gleichzeitige Bruch desselben und die Errichtung einer Junta, die seitdem Regierung genannt wird. Sind da keine Mitschuldigen? Sie haben der Ukraine einen Bärendienst erwiesen. Es war nämlich die Rechtfertigung für Putin, die leidige Krimfrage zu lösen. In seinem Sinn.

    • @Bernd Lind:

      Schuld allein hat der, der Diebesgut "darbietet", nicht der Dieb ! - Ihre Logik.

      Putin rechtfertigte die Annexion vor sich selbst und den Russen, viele andere sahen das nicht so.

  • Putins Versprechungen dürften schon a"ngesichts der Wirtschaftslage in Russland keine Griwna wert sein."

    Joouh ! Ganz im Unterschied zur glänzenden Wirtschaftslage der EU . Was Russland an Passiva (von lat. pati = leiden) für die Ukraine im Repertoire hat , zeigte es ja schon mit der Erhöhung bzw. Anpassung des Gaspreises .

    Was die Hilfszusagen (in lächerlicher Größenordnung ) von IWF und EU angeht - ...erinnern wir uns doch noch mal daran , was nach der Übernahme der neuen deutschen Bundesländer in die Bundesrepublik (und EU) aus der früheren DDR-Wirtschaft wurde und wieviel "Hilfszahlungen" allein in den ersten zehn Jahren in diese Länder geflossen sind . Stichwort "Blühende Landschaften" .

    Sagen wir es doch drastisch : Genau so wenig wie die kapitalistisch moribunde EU ihren Südländern (und Frankreich ...) "aus der Scheiße" verhelfen kann , wird sie für die Ukraine nicht mal so viel tun können wie für Griechenland .

  • "Aber sie hat die Ukraine in ein mieses ökonomisches Dilemma manövriert."

     

    Länder sind bei der Entscheidung, mit wem diese paktieren, nicht mehr selbst verantwortlich. Da kann man den Janukowitsch auch wieder rehabilitieren.

    Die EU hat viel Mist gemacht, doch ukrain. Regierungen als Opfer darzustellen, um "Reparationen" zu rechtfertigen, trägt nicht zur Souveränität dieses Landes bei.

  • Super, für solch unaufgeregte aber gehaltvolle Artikel zahle ich gerne!

  • Dazu kommt auch noch, dass die Industriebetriebe im Osten des Landes sehr energieineffizient arbeiten und deshalb auf Preisabschläge bei den Gaslieferungen aus Russland angewiesen sind, die in Zukunft aber wegfallen werden. Das erhöht die Gefahr, dass Ostukrainer nicht nur zu den politischen, sondern auch wirtschaftlichen Verlierern dieser Neuorientierung werden, was die Spannungen im Land noch mehr verschärfen dürfte. Und ob die EU-Bürger bereit sind, den Wegfall der bisherigen russischen Subventionen auszugleichen, ist auch zweifelhaft.

  • Danke für diesen Text.