Coronavirus und Rassismus: „Nehmen Sie es nicht persönlich“

Rassismus gehört bei Menschen mit asiatischen Wurzeln zum Alltag dazu. Seit dem Ausbruch des Coronavirus ist es besonders schlimm. Drei Protokolle.

Mann mit Mundschutz und Rollkoffer

Alltagsrassismus tritt seit dem Ausbruch des Virus offen zutage Foto: Michael Probst/ap

In der Arztpraxis

Letzte Woche hatte ich einen Termin bei meiner Gynäkologin, jährliches Check-up. Nichts Spezielles, ich bin gesund und fühle mich gut. Vor meinem Termin versuchte die Praxis dreimal, mich zu erreichen, allerdings auf dem Handy meines Mannes. Als ich bei der Praxis ankam und an der Glastür klingelte, war die Sprechstundenhilfe noch im Gespräch mit einer anderen Patientin. Sie suchte den Blickkontakt durch die Scheibe und signalisierte mir, kurz zu warten. Die Tür öffnete sie nicht.

Nach ein paar Minuten kam dann die Ärztin zur Tür und sagte: „Nehmen Sie es bitte nicht persönlich, aber wir haben entschieden, dass wir wegen des Coronavirus momentan keine chinesischen Patientinnen behandeln.“

Ich sagte, dass ich die Vorsicht verstehen könne. Doch als ich erklären wollte, dass ich in letzter Zeit nicht in China war und auch keinerlei Symptome hatte, fiel sie mir ins Wort: „Wir müssen unsere Patientinnen beschützen, manche von ihnen sind ja auch schwanger.“

Es hieß, ich könne später wiederkommen, wenn sich die Aufregung gelegt hat. In dem Moment habe ich nur gesagt: „Ich verstehe.“

Dann bin ich gegangen. Ich dachte, vielleicht sollte ich auch bei meinem Zahnarzt nachfragen, ob sie dort ebenfalls keine chinesischen Pa­tien­ten aufnehmen. Aber dort konnte ich ganz normal einen Termin machen. Plötzlich bekam ich ein komisches Gefühl – ich war nicht wütend, sondern traurig. Vielleicht nur ein Missverständnis, weil mein Deutsch nur auf Level B1 ist?

Aber mein Mann hat noch einmal in der Praxis angerufen, und es hieß, dass ich eine telefonische Beratung machen könne. Ich habe langsam realisiert, dass die Gynäkologin einen Fehler gemacht hat. Dass ihr Verhalten womöglich sogar gesetzwidrig war.

Meine Freunde sagten alle: Das ist rassistisch. Manche von ihnen schämen sich im Moment sogar dafür, dass sie Chinesen sind – weil das Virus in China ausgebrochen ist, obwohl sie doch selbst gar keinen Kontakt dazu hatten.

Ja, Rassismus passiert jeden Tag, es ist sehr schwer, das Denken der Menschen zu ändern. Egal, welchen Pass wir haben, wir können unser Gesicht nicht ändern, für die Weißen werden wir immer wie Chinesen aussehen. Aber das ist in dieser Sache nicht mein Punkt.

Die Ärztin hat einen Eid abgelegt, sie ist verpflichtet, alle Patienten gleich zu behandeln. Sie sollte über das Coronavirus informieren, sie sollte wissen, was und wer gefährlich ist und was nicht. Einen qualifizierte Abfrage an der Tür sollte möglich sein. Das ist ihr Job.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Ich habe Glück, dass ich nicht krank oder schwanger bin. Es geht mir nicht darum, die Ärztin fertig zu machen. Aber dieses Verhalten ist nicht nur unfair und verletzend, sondern gefährlich. Wenn alle Mediziner sich so verhielten, dann würde diese Ausgrenzung die Gesundheit vieler Menschen aufs Spiel setzen. Es geht hier nicht nur um mich, mich macht so ein Erlebnis sogar stärker. Aber die Ärztin hat generalisiert, als sie sagte: „Wir behandeln keine chinesischen Patientinnen.“ Das ist einfach falsch. Ich werde mich juristisch wehren, wir haben die Praxis bei der Ärztekammer gemeldet.

Ich wünsche mir, dass alle Asiaten während dieser Krise mit Respekt und sachlichem Verstand behandelt werden. Wir wollen alle gesund bleiben.

Sammi Yang, 35, arbeitet als Tanzlehrerin und Make-up Artist. Sie ist in China geboren und mit 17 Jahren zum Studium nach Singapur gezogen. Vor fünf Jahren kam sie nach Deutschland, erst nach Braunschweig, dann nach Berlin.

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Auf der Bank

Meine Mutter ist in Japan geboren und aufgewachsen. Vor 35 Jahren ist sie der Liebe wegen nach Deutschland, Schleswig-Holstein, gekommen. Heute ist sie 61 Jahre alt, Hausfrau und Sekretärin.

Meine Mutter trägt normalerweise Scheuklappen in Bezug auf Rassismus und findet selbst dann noch Ausreden für Leute, wenn sie „Japsin“ genannt wird. Wir beide sprechen nicht wirklich über Rassismus, weil ich mich ihrer Meinung nach zu schnell aufrege und sie meiner Meinung nach rassistischen Menschen zu viel verzeiht.

Als sie vor ein paar Jahren meine deutsche Oma pflegte, stellte diese ihr eine Vollmacht für ihr Konto aus, um Besorgungen für sie machen zu können. Auf der Bank wurde meiner Mutter der Zugriff auf das Konto trotz Vollmacht verwehrt: Niemand dort wollte glauben, dass eine ältere deutsche Frau mit deutschem Namen meiner Mutter, einer Ausländerin, eine Vollmacht ausgestellt hatte.

Ihr wurde allein aufgrund ihres Aussehens und Sprachakzentes eine Erschleichung der Vollmacht unterstellt. Erst als zufällig ein Mitarbeiter dazukam, der meine Mutter persönlich kennt und ihre Seriosität bestätigen konnte, wurde die Vollmacht akzeptiert.

Ich war damals unendlich wütend und wollte mich am liebsten an Filialleitung und Öffentlichkeit wenden. Aber meine Mutter winkte nur ab: Sie könne den Umgang der Bank mit ihr gut verstehen, ich solle mich bitte nicht so anstellen, die Angestellten hätten es doch nur gut gemeint. Diese selbstverständliche Akzeptanz von Rassismus frustriert mich sehr. Ich glaube, dass meine Mutter so sehr daran gewöhnt ist, dass dieser Umgang ihr gar nicht mehr als rassistisch auffällt. Er ist normal für sie geworden.

Am Montag schrieb mir meine Mutter völlig aus dem Nichts, dass sie gerade vom Einkaufen komme. Noch nie zuvor hätte sie sich so unwohl gefühlt: Alle Leute hätten sie angestarrt und Abstand gehalten. Sie zog direkt die Verbindung zum Coronavirus. Ich war schockiert: Wenn meine Mutter mir von allein so eine Nachricht schreibt, dann will ich mir kaum ausmalen, wie die Situation tatsächlich gewesen ist.

Hana Wagner* (Name geändert), 26, studiert Lehramt in Hamburg.

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An der Universität

Offenen Rassismus habe ich in Deutschland eigentlich noch nie erlebt. Berlin ist sehr multikulturell. Ich habe das Gefühl, normalerweise wird dich hier niemand verurteilen. Aber manchmal werde ich in der Bahn angestarrt, weil mein Gesicht anders aussieht. Besonders von kleinen Kindern, das ist mir schon etwas unangenehm. Aber ich würde es eher Stereotypisierung und Vorurteil nennen. Das kenne ich auf jeden Fall.

Zum Beispiel hatte ich mal einen Kommilitonen, der immer mit mir über Jackie Chan reden wollte. Ich habe gesagt, dass ich gar keine Ahnung von Jackie Chan habe, aber er meinte, ich müsste das ja wohl wissen. Oder diese Vorstellung, dass alle Asiaten gut in Mathe sind: Ja, vielleicht sind wir ein bisschen besser, weil wir mehr lernen. Aber wir sind doch nicht mit dieser Fähigkeit geboren. So eine Aussage ist unfair – als ob wir uns dafür nicht anstrengen müssten.

Ich denke, das Problem ist vor allem, dass viele Leute kaum etwas über China wissen. Das liegt auch an der Berichterstattung. Man sieht hier immer Bilder von großen Infrastrukturprojekten oder liest Kritik an der chinesischen Regierung, aber man lernt kaum etwas über chinesische Popkultur. Auch China ist nicht so gut im Storytelling – man tut sich doch keinen Gefallen damit, immer nur das tolle Wirtschaftswachstum zu vermarkten. Die Menschen hier würden durch eine breitere Berichterstattung lernen, dass wir Chinesen gar nicht so anders sind.

Im Kampf gegen das Coronavirus müssten wir jetzt eigentlich alle zusammenstehen. Das Virus ist doch der eigentliche Feind hier. Ich habe jeden Tag Kontakt zu meiner Familie in Shanghai. Ich bin nicht völlig besorgt, aber das Leben dort ist jetzt schon eingeschränkt.

Mein Vater arbeitet bei einer Firma, die Smartphones und Computerteile vertreibt – da macht sich die Ausnahmesituation jetzt sehr stark bemerkbar. Er fährt noch jeden Tag zur Arbeit, aber ganz genau weiß ich nicht, was dort gerade passiert. Das macht mir große Sorgen. Aber ich denke mir auch, gerade können wir hier nicht viel daran ändern.

Ronnie Wu, 22, studiert Verkehrswissenschaften an der TU Berlin. Er ist seit 2016 in Deutschland, seine Familie lebt in Shanghai.

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