piwik no script img

Gesine Schwan über die Große Koalition„Merkels Glanz ist verblasst“

Die Sozialdemokraten sollten in der Großen Koalition eigenständiger werden, sagt Gesine Schwan. Vor allem müssten sie das Finanzministerium übernehmen.

Gesine Schwan findet, Merkel habe mal geglänzt Foto: imago/photothek
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Frau Schwan, niemand aus der SPD-Spitze ist gegen die Regierungsbeteiligung – aber fast die Hälfte des Parteitags. Ist da etwas falsch gelaufen?

Gesine Schwan: Nein, ich bin kein Fan von Geschlossenheit. Aber in diesem Fall war es nötig, dass die Führung geschlossen aufgetreten ist. Sonst wäre über die Medien der Eindruck entstanden, dass es um Ranküne, Machtspiele und persönliche Ambition geht. So wurde die Debatte als ernst und sachlich wahrgenommen.

Die SPD erscheint mit Schulz’ Schlingerkurs als wankelmütig …

Mag sein. Aber ohne die erste Absage an die Große Koalition und ohne den aktuellen Widerstand in der SPD gegen diese Regierung hätte die Union die SPD doch über den Tisch gezogen. Der Streit in der SPD über die Regierungsbeteiligung und die Auseinandersetzung mit der Union nutzen der Demokratie. Denn das zeigt, dass diese Parteien doch unterschiedlich sind. Das hilft, um der AfD das Wasser abzugraben.

Ist Martin Schulz nach diesem knappen Ergebnis ein Parteichef auf Abruf?

Andrea Nahles hat die mitreißende Rede gehalten. Es gibt ja die Vermutung, dass Schulz auf längere Sicht Nahles weichen wird. Ich halte diese Frage für nicht so wichtig.

Warum?

Wichtiger als Personalien ist die Frage, ob die SPD in der Regierung eine andere Rolle spielen wird als in der letzten Koalition. 2013 hat Sigmar Gabriel die Devise ausgegeben, dass die SPD bloß nicht streitbar oder querulatorisch erscheinen dürfe – weil Merkel so populär war. Deshalb wollte Gabriel keine Eigenständigkeit der SPD. Es gab 2013 in der Wirtschafts- und Europapolitik zudem kaum eine erkennbar sozialdemokratische Politik.

Im Interview: Gesine Schwan

ist Politikwissenschaftlerin und Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD. 2004 und 2009 kandidierte sie für das Amt der Bundespräsidentin.

Und warum soll die SPD diesmal nicht als Anhängsel der Union gesehen werden?

Erstens: Merkels Glanz ist verblasst. Zweitens: Es ist auch Gabriel 2016 klar geworden, dass die symbiotische Art, mit der Union zu regieren, der SPD schadet. Das hat die SPD-Spitze endlich begriffen. Die dritte Bedingung ist die schwierigste: Die SPD muss die Unterordnung der Wirtschaftspolitik unter die stabilitätsfixierte Finanzpolitik in Europa beenden.

Glauben Sie wirklich, dass die SPD mit Schäubles bisheriger Sparpolitik brechen will?

Das ist nicht sicher, aber möglich. Die Conditio sine qua non dafür ist, dass die SPD den Posten des Finanzministers fordert. Das wird nicht leicht. Wenn Schulz Außenminister wird, wird die Union den Posten des Finanzministers beanspruchen. Das darf nicht passieren. Denn für die Europapolitik sind Kanzleramts- und Finanzminister die Schlüsselpositionen. Nur mit dem Finanzministerium hat die SPD die Chance klar zu machen, dass sie eigenständig etwas anders machen will.

Die SPD behauptet, sich erneuern zu wollen. Ist es dafür nicht nötig, Parteichef und Ministeramt zu trennen? Ein Außenminister Schulz, der nebenbei die Partei renoviert, ist schwer vorstellbar …

Ja – und nein. Dafür spricht, dass der Parteivorsitzende freier ist, wenn er sich nicht dem Kabinettszwang fügen muss. Andererseits ist das Kabinett der Schalthebel der Macht. Aber wichtiger scheint mir: Nur mit dem Finanzministerium kann die SPD sichtbar das symbiotische Verhältnis mit der Union beenden.

Reicht das, um zu verhindern, dass die SPD wieder als bloßer Machtbeschaffer für die Union gilt?

Ja, wenn sie das konkret macht. Dafür muss sie schnell Macron antworten. Der hat in der Rede in der Sorbonne gefordert, das Verhältnis von Solidarität und Eigenverantwortung in Europa zugunsten der Solidarität zu verändern. Da muss die SPD anknüpfen, zugunsten von mehr Hilfe, mehr Solidarität. Das Fatale war bisher, dass die SPD von vornherein Rücksicht auf die Beliebtheit von Kanzlerin Merkel genommen hat. Das ist jetzt vorbei.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Will sagen: "{...} Regierungsbeteiligung und die Auseinandersetzung mit der Union nutzen der Demokratie. Denn das zeigt, dass diese Parteien doch unterschiedlich sind."

     

    Auch die Vertreter des Bürgertums innerhalb der SPD haben eine Gesellschaftsauffassung, in denen sich die Klasseninteressen der reaktionären Bourgeoisie widerspiegeln. Den “Sinneswandel“ der geistigen Vertreter der reaktionären bourgeoisen Klasse charakterisierend, hebt Friedrich Engels hervor, dass die Zeit, in der z. B. die bürgerliche Geschichtsschreibung progressive Züge trug und sich um eine wissenschaftliche Erfassung ihres Gegenstandes bemühte, auf Grund der veränderten Klassenverhältnisse vorbei ist. «Die Bourgeoisie», vermerkt Friedrich Engels kritisch, «macht alles zu einer Ware, also auch die Geschichtsschreibung. Es gehört zu ihrem Wesen, zu ihren Existenzbedingungen, alle Waren zu verfälschen: sie verfälsche die Geschichtsschreibung. Und diejenige Geschichtsschreibung wird am besten bezahlt, die im Sinn der Bourgeoisie am besten verfälscht ist » (Karl Marx/Friedrich Engels, 16, 499/500).

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @Reinhold Schramm:

      Alle Achtung vor Ihren historischen Kenntnissen.

      Aber Friedrich Engels musste sich die Erde gerade mal mit 1,4 Mrd. Menschen teilen, Umweltverschmutzung gab es kaum, die Zahl der 'Superreichen betrug damals vielleicht 100, große Schriftsteller, Maler und Komponisten säumten seinen Weg. Die SPD war vielleicht gerade in der Gründung, eine bockige CSU gab es nicht.

      Wir brauchen heute einfach Lösungen für andere Anforderungen.

      Die 7,5 Mrd. Menschen wollen einen Kühlschrank haben, wir haben 2 verheerende Weltkriege hinter uns, ein äußerst merkwürdiges Amerika neben uns, rechtsextreme Tendenzen überall (die die ganze Erde in Besitz haben wollen: ja. Teilen mit den Armen: nein).

      Wir brauchen einen Notarzt auf der Erde und sollten die Einschätzung über verfälschte Geschichtsschreibung erstmal wieder in die Schublade zurück stecken.

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Die Überschrift des Artikels mit seinem Subtext von Frau Schwan stimmen einfach.

     

    Und jetzt geht es ja auch erst richtig los mit Verhandlungen. Die Fetzen werden fliegen. Die CSU wird ständig mit hochrotem Kopf an die Decke springen. Im gleichen Tempo wird Frau M. blaß und blässer, da sie merkt, die Regierungsbildung klappt nicht und ihre eigene Zukunft liegt am heimischen Kochherd.

    Über allem schwebt der versprochene Mitgliederentscheid der SPD.

    Das ist doch Demokratie pur; nicht so, wie sie alle Beteiligten gerne hätten, aber so, wie sie sein muss.

    • @4932 (Profil gelöscht):

      Der Subtext lautet doch: Schulz (AA-Kandidat) nicht ins Kabinett; Frau Nahles soll's richten

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...hat die SPD-Spitze das wirklich begriffen?

    Es geht der SPD doch wieder nur um Posten und Pöstchen, mehr nicht.

    Der 'Schrei' nach sog. Nachverhandlungen ist doch Populismus pur.

  • Warum fordert Frau Schwan nicht gleich die Kanzlerschaft für die SPD. Das ist genauso utopisch wie das Finanzministerium.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Macaron hat sich bereits für die liberale Eigenverantwortung, vor allem für die Reichen gegen die Armen entschieden und somit gegen die Solidarität .

    Verfolgen denn die sozialdemokratischen Macronverehrer nicht die französische Innenpoltitik?

    Aber es wäre schon ganz wichtig und interessant, wenn deutsche Sozialdemokraten Macron an seine Versprechen erinnern würden. Das Gesicht von Macron möchte ich dann auch gern sehen.

    • @82236 (Profil gelöscht):

      Nö.

  • Irgendwie naiv. Erstmal unterstützt die SPD die Union bei ihrer Zukunftsverweigerung. Dass die Kanzlerin schwächer geworden ist macht es eher noch schwerer ihr etwas abzuringen. Die Union wird sich nach rechts bewegen und sich gerade in der Europapolitik überhaupt nicht bewegen wollen. Merkel wird Macron und seine Ideen bekämpfen, das entspricht der Stimmung in der Union und bei der Mehrheit der Bevölkerung. Dagegen kommt die SPD nicht an.

  • Frau Schwan denkt ernsthaft, daß die Union die SPD diesmal nicht über den Tisch gezogen hat? Bitte. Frau Merkel hat das Ganze einfach ausgesessen, bis jemand umgefallen ist.

     

    Innerhalb der SPD ist man offenbar professionell blind.

    • @kditd:

      Ist Paul die Krake wieder von den Toten auferstanden? Woher haben Sie diese "Informationen"?