Gesine Schwan über die Große Koalition: „Merkels Glanz ist verblasst“
Die Sozialdemokraten sollten in der Großen Koalition eigenständiger werden, sagt Gesine Schwan. Vor allem müssten sie das Finanzministerium übernehmen.
taz: Frau Schwan, niemand aus der SPD-Spitze ist gegen die Regierungsbeteiligung – aber fast die Hälfte des Parteitags. Ist da etwas falsch gelaufen?
Gesine Schwan: Nein, ich bin kein Fan von Geschlossenheit. Aber in diesem Fall war es nötig, dass die Führung geschlossen aufgetreten ist. Sonst wäre über die Medien der Eindruck entstanden, dass es um Ranküne, Machtspiele und persönliche Ambition geht. So wurde die Debatte als ernst und sachlich wahrgenommen.
Die SPD erscheint mit Schulz’ Schlingerkurs als wankelmütig …
Mag sein. Aber ohne die erste Absage an die Große Koalition und ohne den aktuellen Widerstand in der SPD gegen diese Regierung hätte die Union die SPD doch über den Tisch gezogen. Der Streit in der SPD über die Regierungsbeteiligung und die Auseinandersetzung mit der Union nutzen der Demokratie. Denn das zeigt, dass diese Parteien doch unterschiedlich sind. Das hilft, um der AfD das Wasser abzugraben.
Ist Martin Schulz nach diesem knappen Ergebnis ein Parteichef auf Abruf?
Andrea Nahles hat die mitreißende Rede gehalten. Es gibt ja die Vermutung, dass Schulz auf längere Sicht Nahles weichen wird. Ich halte diese Frage für nicht so wichtig.
Warum?
Wichtiger als Personalien ist die Frage, ob die SPD in der Regierung eine andere Rolle spielen wird als in der letzten Koalition. 2013 hat Sigmar Gabriel die Devise ausgegeben, dass die SPD bloß nicht streitbar oder querulatorisch erscheinen dürfe – weil Merkel so populär war. Deshalb wollte Gabriel keine Eigenständigkeit der SPD. Es gab 2013 in der Wirtschafts- und Europapolitik zudem kaum eine erkennbar sozialdemokratische Politik.
ist Politikwissenschaftlerin und Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD. 2004 und 2009 kandidierte sie für das Amt der Bundespräsidentin.
Und warum soll die SPD diesmal nicht als Anhängsel der Union gesehen werden?
Erstens: Merkels Glanz ist verblasst. Zweitens: Es ist auch Gabriel 2016 klar geworden, dass die symbiotische Art, mit der Union zu regieren, der SPD schadet. Das hat die SPD-Spitze endlich begriffen. Die dritte Bedingung ist die schwierigste: Die SPD muss die Unterordnung der Wirtschaftspolitik unter die stabilitätsfixierte Finanzpolitik in Europa beenden.
Glauben Sie wirklich, dass die SPD mit Schäubles bisheriger Sparpolitik brechen will?
Das ist nicht sicher, aber möglich. Die Conditio sine qua non dafür ist, dass die SPD den Posten des Finanzministers fordert. Das wird nicht leicht. Wenn Schulz Außenminister wird, wird die Union den Posten des Finanzministers beanspruchen. Das darf nicht passieren. Denn für die Europapolitik sind Kanzleramts- und Finanzminister die Schlüsselpositionen. Nur mit dem Finanzministerium hat die SPD die Chance klar zu machen, dass sie eigenständig etwas anders machen will.
Die SPD behauptet, sich erneuern zu wollen. Ist es dafür nicht nötig, Parteichef und Ministeramt zu trennen? Ein Außenminister Schulz, der nebenbei die Partei renoviert, ist schwer vorstellbar …
Ja – und nein. Dafür spricht, dass der Parteivorsitzende freier ist, wenn er sich nicht dem Kabinettszwang fügen muss. Andererseits ist das Kabinett der Schalthebel der Macht. Aber wichtiger scheint mir: Nur mit dem Finanzministerium kann die SPD sichtbar das symbiotische Verhältnis mit der Union beenden.
Reicht das, um zu verhindern, dass die SPD wieder als bloßer Machtbeschaffer für die Union gilt?
Ja, wenn sie das konkret macht. Dafür muss sie schnell Macron antworten. Der hat in der Rede in der Sorbonne gefordert, das Verhältnis von Solidarität und Eigenverantwortung in Europa zugunsten der Solidarität zu verändern. Da muss die SPD anknüpfen, zugunsten von mehr Hilfe, mehr Solidarität. Das Fatale war bisher, dass die SPD von vornherein Rücksicht auf die Beliebtheit von Kanzlerin Merkel genommen hat. Das ist jetzt vorbei.
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