Überwachung von Journalisten: ARD mahnt Thüringen
MDR-Journalisten werden von der Polizei ausgeforscht. So will man herausfinden, wer das Sicherheitskonzept zum Papstbesuch verraten hat. Die ARD ist ungehalten.
Die ARD protestiert gegen die Ausforschung von Journalisten in Thüringen. In einem Schreiben an Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU), das der taz vorliegt, äußern sich die in der AG Information zusammengeschlossenen Chefredakteure der ARD-Hörfunkprogramme „mit tiefer Sorge“. In Thüringen würden derzeit „Recherchewege und Methoden“ der MDR-Journalisten Ludwig Kendzia und Axel Hemmerling ausgeforscht.
Konkret geht es um einen MDR-Bericht im Vorfeld des Papstbesuchs im September 2011. Wenige Tage vor Ankunft des Pontifex in Thüringen berichtete der MDR über Details aus dem Sicherheitskonzept der Polizei. Die Journalisten Kendzia und Hemmerling erwähnten dabei, dass ihnen eine Version des Polizeieinsatzbefehls vorliege. Seitdem versucht die Thüringer Polizei das Leck in ihren Reihen zu finden.
Offiziell richten sich die Ermittlungen dabei nicht gegen die Journalisten, sondern den Saalfelder Polizisten und Polizeigewerkschafter Rainer K., auf den eine Ermittlergruppe angesetzt wurde. Allerdings gibt es keinen einzigen konkreten Beweis, dass K. den Einsatzbefehl an die Journalisten weitergab. Immerhin hatten mehr als 500 Beamte in Thüringen Zugriff darauf.
Gravierender Eingriff
Hauptindiz der Kripo ist, dass K. den MDR-Leuten schon einmal ein internes Protoll gesteckt hat und zwischen K. und den Journalisten ein „Vertrauensverhältnis“ bestand. In einem Kripo-Bericht wird über vier Seiten das „soziale Verhältnis des Beschuldigten zum Journalisten Ludwig Kendzia“ bewertet.
Zusätzlich wird mithilfe der Telefonverbindungsdaten von K. festgestellt, dass K. und Kendzia während vier Wochen nach (!) dem Papstbesuch mindestens 19-mal miteinander telefonierten. Solche Methoden der Telekommunikationsüberwachung jenseits des konkreten Vorganges halten die ARD-Chefredakteure für „einen gravierenden Eingriff in den Kernbereich der journalistischen Arbeit, die im Grundgesetz geschützt ist“.
Verfasst ist der Brief von WDR-Hörfunk-Chefredakteurin Angelica Netz. Sie will auch wissen, ob die Polizei ohne Richterbeschluss in sozialen Netzwerken recherchiert hat. Dabei geht es konkret wohl um zwei Nachrichten (davon eine von Kendzia), die die Polizei nur sicherstellen konnte, indem sie sich mit K.s beschlagnahmtem Smartphone in dessen Facebook-Account einloggte und Nachrichten von dort herunterlud. Das könnte man als Telefonüberwachung werten, für die kein richterlicher Beschluss vorlag und die (anders als die Auswertung von Verbindungsdaten) bei der Aufklärung eines Geheimnisverrats rechtlich gar nicht zulässig ist.
Dieses Vorgehen der Polizei wäre auch unabhängig davon rechtswidrig, dass hier Journalistenkontakte mit betroffen sind. Der ARD-Brief endet mit einem Appell an Thüringens Innenminister: „Wir bitten Sie, dieser grundsätzlichen Ausspähung journalistischer Arbeit Einhalt zu gebieten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen