Sammelabschiebung nach Afghanistan: Rückflug ins Ungewisse
Deutschland hat erneut 15 Afghanen in ihre Heimat abgeschoben. Laut UNO gibt es seit Jahresbeginn etwa 50.000 Binnenflüchtlinge in Afganistan.
Es handele sich „ausnahmslos um alleinstehende Männer“, einige von ihnen seien in Deutschland straffällig geworden, hatte das bayerische Innenministerium am Montagabend mitgeteilt. Außer Bayern hatten sich an der Rückführungsaktion auch Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz beteiligt.
Der Sprecher des Flughafens in Kabul, Mohammed Adschmal Faisi, sagte, die Ankunft sei ruhig verlaufen. Die meisten Ankömmlinge wollten nicht mit Medien sprechen. Viele wirkten müde oder wütend.
Obaid Ros aus der ostafghanischen Provinz Nangarhar sagte, er habe sieben Jahre lang in Landshut gelebt. Er habe Arbeit gehabt, habe Computer repariert. „Ich habe keine Ahnung, wieso sie meine Asylbewerbung gestoppt haben“, sagte der 24-Jährige. Als er von der bevorstehenden Abschiebung gehört habe, sei er geflohen, aber die Polizei habe ihn wieder eingeholt und drei Wochen lang festgehalten. Er werde trotzdem versuchen, nach Deutschland zurückzugehen. „Hier gibt es keine Sicherheit, keine Arbeit, kein Leben“, sagte Ros.
Die Abschiebungen sind umstritten, weil sich in Afghanistan der Konflikt zwischen Regierung und den radikalislamischen Taliban verschärft und es landesweit Gefechte und Anschläge gibt.
Fast 50.000 Binnenflüchtlinge
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte dagegen am Montag, „die Bewertung der aktuellen Sicherheitslage“ durch Bundesinnenministerium und Auswärtiges Amt sei unverändert. Sie lasse Rückführungen in gesicherte afghanische Provinzen zu.
Von Seiten der Vereinten Nationen gibt es keine abschließende Bewertung, welche afghanischen Provinzen sicher oder unsicher sind. Die meisten Passagiere des vierten Fluges stammten zumindest nicht aus schwer umkämpften Provinzen, sagte ein Mitarbeiter des Kabuler Flüchtlingsministeriums, der ungenannt bleiben wollte. „Viele sind aus Kabul, andere aus Pandschir oder Parwan.“ Einige kämen allerdings aus unsicheren Provinzen wie Wardak oder Nangarhar. Auf dem dritten Abschiebeflug im Februar kam etwa die Hälfte aller Passagiere aus umkämpften Provinzen wie Urusgan, Kundus oder Paktia.
Das UN-Büro zur Koordinierung humanitärer Hilfe (Ocha) hatte am Montag gemeldet, seit Jahresbeginn seien fast 50.000 Afghanen vor Gefechten zwischen Regierung und Taliban aus ihren Dörfern geflohen. Laut US-Militär kontrolliert die afghanische Regierung nur noch rund 57 Prozent des Landes, 15 Prozent weniger als Ende 2015. In Kabul, wo viele Abgeschobene erst einmal bleiben, gab es seit Jahresbeginn fünf große Anschläge mit mindestens 132 Toten und mindestens 347 Verletzten. Die Frühjahrsoffensive der Taliban steht kurz bevor.
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