Pro & Kontra zur Rüstungshilfe: Deutsche Waffen für die Kurden?
Soll Deutschland den Kampf gegen Islamisten im Irak mit Militärexporten unterstützen? Daniel Cohn-Bendit ist dafür, SPD-Vize Ralf Stegner dagegen.
Ja! Selbstverständlich muss man Waffen an die Kurden liefern.
M an muss alles tun, damit der Islamische Staat (IS) und seine Milizen nicht weiter vorrücken. Der Wettkampf der Gutmenschen – Claudia Roth, Jürgen Trittin oder Norbert Röttgen –, wer die friedlichste Lösung für den Irak hat, ist peinlich und beschämend. Wenn ich Kurde wäre, möchte ich nicht von Deutschland abhängig sein, um zu überleben!
Fassen wir zusammen: Alle, diesmal ohne Ausnahme, sind sich einig, dass die IS-Milizen unter die zivilisatorische Grenze geraten sind. Es ist die radikalste, schlimmste Barbarei, die im Moment auf der Welt politisch und militärisch agiert. Man muss sich nur erinnern, was den Christen in Mossul, den Jesiden im Sandschar-Gebirge passiert ist. Alle, die sich nicht unterwarfen, wurden vernichtet oder man hat versucht, sie zu vernichten.
Es ist natürlich richtig, dass die Flüchtlinge Zelte, Wasser und Nahrung brauchen. Aber wie haben die Kurden es geschafft, dass Zehntausende Jesiden aus den Bergen fliehen konnten? Mit Waffen, dank US-Drohnen und Flugzeugen.
Ja, ja, die bösen Amerikaner. Immer die Amerikaner. Wo es knallt, sind sie dabei. Ich höre schon die Stimmen aus Deutschland. Aber eines müssen wir endlich lernen: Die Geschichte verläuft nicht geradlinig.
Der 70-Jährige ist Grünen-Politiker in Deutschland und Frankreich. Bis Juni 2014 war der einstige Studentenführer Fraktionschef im EU-Parlament.
Die Alliierten mussten gegen Hitler mit Stalin paktieren, nur so war es möglich, die Nazis zu schlagen. Die Debatte von Roth, Trittin und Röttgen, wir dürften in Kriegsregionen keine Waffen liefern, ist scheinheilig. Warum? Wünschen wir uns, dass die Dschihadisten gewinnen? Oder wünschen wir uns, dass die Kurden in der Lage sind, sich zu verteidigen? Es wäre doch Irrsinn, wenn die Verteidigungslinie der Kurden durchbrochen würde und der IS nach Erbil kommt, wo Hunderttausende von Flüchtlingen sind. Was passiert dann mit diesen Flüchtlingen? Sie haben zwar Zelte, sie haben Wasser, aber sie können sich nicht verteidigen.
Es gibt historische Momente, so traurig das ist, wo Waffen die einzige Möglichkeit sind, um zu überleben.
Auch der Widerstand im Warschauer Ghetto brauchte Waffen. Hätten wir gesagt, wir können in einer Kriegssituation keine Waffen liefern? Natürlich nicht. Und so ist es auch mit den Kurden. Deshalb, finde ich, gibt es die moralische und politische Verpflichtung, alles zu tun, damit der IS besiegt wird. DANIEL COHN-BENDIT
Nein! Keine Waffenexporte in Spannungsgebiete und Diktaturen.
Ein bisschen unheimlich ist es schon, wie leicht es sich manche von CSU bis Linkspartei damit machen, deutsche Waffenlieferungen in den Nordirak zu fordern. Denn einfach ist die Gemengelage ganz sicher nicht: Während des Irakkriegs wurden dort die Strukturen zerstört, die jetzt vielleicht den islamistischen IS-Milizen Einhalt gebieten könnten. Ein Krieg gegen jenen Saddam Hussein übrigens, den der Westen vorher gegen die iranischen Ajatollahs militärisch bis auf die Zähne bewaffnet hatte. Und das ist nicht die erste Geschichte dieser Art.
Es ist richtig und notwendig, die Gräuel der IS-Milizen gegen religiöse Minderheiten zu stoppen. Insofern ist das militärische Eingreifen der USA im Nordirak in gewisser Hinsicht auch eine Spätfolge des von George W. Bush angezettelten Irakkrieges. Auch Deutschland muss Verantwortung übernehmen, etwa durch humanitäre und logistische Unterstützung: Schutz, Unterkunft und medizinische Versorgung – das brauchen die Flüchtlinge jetzt am dringendsten. Es gibt aber keinen Grund für deutsche Waffenlieferungen in diese Krisenregion. Die SPD muss in der neuen Regierungskoalition dafür sorgen, dass es keine Rüstungsexporte in Spannungsgebiete oder Diktaturen gibt.
54, ist SPD-Bundesvize sowie Landeschef in Schleswig-Holstein.
Denn wann haben in der Menschheitsgeschichte Waffenlieferungen wirklich Gutes bewirkt? Heute liefern wir Waffen, morgen sind wir erstaunt, dass damit unschuldige Menschen getötet werden. Wir brauchen für den Waffenexport deshalb glasklare Regeln und dürfen diese nicht bei jeder Gelegenheit wieder infrage stellen. Diese „Si vis pacem, para bellum“-Philosophie ist reaktionär, zumal es keine historischen Belege für deren Richtigkeit, aber überwältigend viel historisches Material für das Gegenteil gibt.
Natürlich muss die Völkergemeinschaft im Notfall eingreifen, wenn es darum geht, Völkermord zu stoppen oder das Recht auf Selbstverteidigung in Notwehr zu sichern. Aber die in Deutschland um sich greifende leichtfertige Enttabuisierung der militärischen Logik erschreckt mich. Deutschland könnte viel Gutes tun als Weltmeister der Entwicklungszusammenarbeit und unermüdlichen Diplomatie.
Ich bleibe dabei: Keine Waffenexporte in Spannungsgebiete und Diktaturen, ob Russland, Katar, Saudi-Arabien oder Irak. Einfache Antworten sind oft falsch, auch wenn der Refrain schon im Chor gebrüllt wird! RALF STEGNER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland