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Sexueller Missbrauch in PolenKirche vor Gericht

Ein polnisches Missbrauchsopfer fordert Entschädigung von der katholischen Kirche. Der Prozess wird vielleicht vielen anderen den Weg ebnen.

Kinder seien an Missbrauch selbst schuld, sagte Erzbischof Michalek – und entschuldigte sich dann. Bild: dpa

WARSCHAU taz | Zum ersten Mal in der Geschichte Polens wurde die mächtige römisch-katholische Kirche auf Schadensersatz wegen Kindesmissbrauchs verklagt. Der Täter, ein Priester der St.-Adalbert-Kirche in der Diözese Koszalin-Kolobrzeg (Köslin-Kolberg), sitzt seit 2012 im Gefängnis und verbüßt eine zweijährige Haftstrafe. Marcin K. (26), der als Zwölfjähriger mehrfach von dem Priester sexuell missbraucht wurde, fordert nun vom Täter und der Kirche jeweils 200.000 Zloty (knapp 50.000 Euro) Entschädigung sowie eine öffentliche Entschuldigung in der Tageszeitung Gazeta Wyborcza und dem Magazin Newsweek Polska.

Die Kirche hatte im Oktober 2013 einen Schlichtungstermin vor Gericht scheitern lassen. Die Polnische Bischofskonferenz lehnt Schadenersatzforderungen der Missbrauchsopfer von katholischen Geistlichen grundsätzlich ab. Die Forderungen seien ausschließlich an die Täter zu richten, nicht aber an die Institution der Kirche. Marcin K., so erklärte der Kirchenanwalt 2013, habe keine Beweise für eine Mitverantwortung der Kirche vorgelegt, so dass es für seine Forderungen keine rechtliche Grundlage gebe.

„Ich trete im Namen von allen Opfern der Kirche auf“, erklärte hingegen Marcin K. „Diese muss sich ihrer Verantwortung stellen.“ Er sieht eine Mitschuld der Institution, weil viele Geistliche von den Machenschaften des pädophilen Priesters gewusst und nicht reagiert hätten. Die Helsinki-Stiftung für Menschenrechte in Warschau unterstützt seine Klage. Ihr Vorsitzender Adam Bodnar hofft, dass der Prozess vielen weiteren Missbrauchsopfern den Weg ebnet.

Da in der letzten Zeit polnische Medien sehr oft über Kindesmissbrauch durch Geistliche berichten, ist Polens römisch-katholische Kirche inzwischen zum Gegenangriff übergegangen. Sie klagt die Europäische Union, sogenannte radikale Linke und insbesondere Feministinnen an, bereits Kinder in der Vorschule mit ihrer „Gender-Ideologie“ „sexualisieren“ zu wollen. Die meisten Gläubigen verstehen die Anti-Gender-Predigten in der Kirche nicht.

Polnische Katholiken sind empört

In Straßenumfragen erklären sie, dass es um die „Homosexualisierung“ der Gesellschaft gehe, um Geschlechtsumwandlung schon bei Kindern und um eine Infragestellung von Adam und Eva als Gottes Schöpfung. Überaus irritiert lauschen die Gläubigen auch dem Krakauer Priester Dariusz Oko, der in Fernsehen und Radio immer wieder sehr detailverliebt sexuelle Praktiken beschreibt, die nicht der Fortpflanzung dienten und daher zu verdammen seien.

Noch 2013 hatte der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Jozef Michalik, die Schuld an sexuellem Missbrauch durch Geistliche den Kindern selbst angelastet: „Wir hören oft, dass dieses unangemessene Verhalten vorkommt, wenn ein Kind nach Liebe sucht“, sagte er laut polnischer Nachrichtenagentur PAP. Viele Missbrauchsfälle könnten „bei einer gesunden Beziehung zwischen den Eltern vermieden werden“.

Wenig später entschuldigte sich der Erzbischof zwar für diese Aussage, doch die Empörung der polnischen Katholiken über die Selbstgerechtigkeit der Kleriker ebbte nur langsam ab. Unverständlich bleibt vielen, warum die katholische Kirche auch überführte Kinderschänder nicht an die Staatsanwaltschaft ausliefert. Genau dies fordern nun die Vereinten Nationen. Mitte letzter Woche warfen sie dem Vatikan eine Verletzung der UN-Kinderrechtskonvention vor und appellierten an ihn, sofort alle wegen Kindesmissbrauchs bekannten und verdächtigen Geistlichen ihrer Ämter zu entheben und der Justiz zu übergeben.

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17 Kommentare

 / 
  • FM
    Frau M.

    VIELEN DANK für diesen Artikel. Die katholische Kirche in Polen dreht doch KOMPLETT am Rad.

     

    (Ich weiß das so genau, weil ich selber regelmäßig in Ostpolen bin.)

     

    Bitte mehr davon!

  • Puh, die katholische Kirche ist schon ein ziemlicher grausiger Maennergesangsverein. Wenn man diese alten "Saecke" (perdon) sieht und dann hoert, dass die Kinder daran Schuld haben, da sie Liebe suchen, puh, das ist ja was. Ja, aber bestimmt suchen sie keinen Sex und keine Gewalt, das hat mit Liebe zu Kindern nicht wirklich viel zu tun. Aus meiner Sicht kann man den Vatikan, ein Schurkenstaat mitten in Europa, gerne schliessen, geht aber leider nicht, da der Maennerhaufen zu maechtig ist. Gut, nicht alles was aus Europa kommt ist gut, viel, viel Schrott ist da zu beanstanden.

  • Dieser Brief der Initiative "wir-sind-kirche" wurde vor ZWÖLF für Kleriker: XII !!!!! Jahren geschrieben:

    http://www.wir-sind-kirche.de/?id=125&id_entry=102

     

    MfG,

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick

  • jaja, die Kirche hat damit NIX zu tun...

    Seit halt endlich ehrlich und schreibt Kindesmissbrauch in die Vereinssatzung, dann könnt ihr verboten werden und irgendwelche Kommunen am Land gründen, für die sich eh kein Arsch interessiert

    • @popo:

      "Seid halt endlich ehrlich". SEID, SEID; SEID. Seit 1982 hat sich die Situation verbessert, zum Bleistift. Aber: Seid alle gluecklich, SEID.

  • B
    Bluebeardy

    Dreierlei wäre erwähnenswert:

     

    Mittlerweile gibt es 24 verurteilter Priester in Polen

     

    Dass die katholische Hierarchie es mit der Aufklärung wirklich ernst meint, nehmen ihr auch die Katholiken nicht ab, die in Polen 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen. In einer Umfrage äußerten im Oktober 68 Prozent die Meinung, die Kirche wolle den Missbrauch vertuschen...

     

    Polnische Senatoren starten ein Gesetzesvorhaben , mit der Aufforderung an die Regierung, den „antikatholischen Propagandaauftritt einer der UNO-Agenturen“ zu rügen

  • ED
    Echt daneben!

    Eigentlich ein interessanter und gut geschriebener Artikel - aber warum muss man einen so unsensiblen Begriff wie "Kinderschänder" verwenden?

     

    Da hatte ich der Taz-Redaktion mehr zugetraut.

    • @Echt daneben!:

      Dein Zutrauen ist ja eine Sache, aber eine Schande ist es doch, was an Kindern so gemacht wird, oder nicht? Daher Kinderschaender, ein absolut legitimer Begriff. Mit Deinem Zutrauen oder Vertrauen, oder Misstrauen, oder Weintrauben hat das aber nix zu tun, dessen kannst Du Dir gewiss sein. Eine Schande ist ne Schande.

      • ED
        Echt daneben!
        @Max Bruch:

        Mit Ihrer Interpretation werden Sie dem Wortsinn von „Kinderschänder“ sicher nicht gerecht.

         

        Überlegen Sie:

        Denkmalschänder

        Grabschänder

        Synagogenschänder

         

        Ein Objekt wird durch den Schänder entehrt oder entweiht, entwürdigt, besudelt …

         

        Analog dazu der Begriff „Kinderschänder“ - aber diesmal bezogen auf Menschen, nicht auf Objekte: Ein Mensch wird durch den Schänder entehrt, entwürdigt, besudelt ... Das ist der Unterschied. Und das ist denke ich eben nicht legitim. Denn Menschen sind eben keine Objekte.

         

        Nicht umsonst redet heute auch niemand mehr von „Frauenschändern“.

         

        Ich hoffe, der Unterschied ist klargeworden?

    • H
      HeidiD
      @Echt daneben!:

      Wie würdest du jemanden nennen, der ein Kind vergewaltigt? Kinderfreund? Kinderliebhaber? Oder einfach nur Kinderficker?

      • ED
        Echt daneben!
        @HeidiD:

        Im Begriff „Kinderschänder“ steckt der Gedanke der „Schande“, also eine Verletzung der Ehre, ein Gesichtsverlust. Der Begriff konnotiert, das „geschändete“ Kind würde von nun an in Schande leben – ich denke, mit so einem Sprachgebrauch bürdet man den Opfern zusätzlich zu den Folgen der an ihnen begangenen Tat auch noch die psychische Last eines vermeintlichen gesellschaftlichen Ehr- und Gesichtsverlustes auf.

         

        Darüber hinaus rückt dieser Begriff die Verletzung eines gesellschaftlichen Tabus in den Mittelpunkt des Interesses - und vernebelt dadurch die eigentliche Tat und das eigentliche Problem, denn nicht die Gesellschaft ist das Opfer.

         

        Denn nicht eine vermeintliche „Schande“, hervorgerufen durch einen „Schänder“ ist das, worum es geht oder gehen sollte: Es geht um eine schwere Gewalttat, eine Vergewaltigung. Der Begriff „Kinderschänder“ verniedlicht und beschönigt daher in meinen Augen das Verbrechen. Auch die längst nicht so problematischen Begriffe „Sexueller Mißbrauch“ und „Mißbraucher“ verfehlen in diesem Punkt den Kern der Sache. Ich würde sagen: Die Täter und Täterinnen sind Gewaltverbrecher, Kindervergewaltiger. Die begangene Tat ist sexualisierte Gewalt, konkreter eine Kindervergewaltigung.

        • @Echt daneben!:

          Perdon, aber ne, das heisst nicht, dass das Kind in Schande leben wuerde. Das sagt doch der Begriff Kinderschaender noch nicht, ist schon zu sehr interpretiert von Dir und geht zu sehr in die Richtung, wie die Bibel den Begriff (nach Martin Luther) abnutzt. Nebenbei gesagt ist die Bibel ein kinderfeindliches, frauenfeindliches, ja menschen- unt tierfeindliches Machwerk und Deine Auslegung ist zu sehr "biblisch". Da sind wir ja auch, was den katholischen Maennergesangsverein angeht, beim Thema. Ne, guck mal was zum Begriff Schande im Lexikon geschrieben steht und das trifft es doch?: Bedeutungen:

          [1] eine Sache, die jemandem in seinem Ansehen stark schadet

          [2] ein empörender, skandalöser Vorgang

          Herkunft:

          mittelhochdeutsch schande, althochdeutsch scanta, germanisch *skam-dō-, belegt seit dem 8. Jahrhundert[1]

          Synonyme:

          [1] Beschämung, Blamage, Bloßstellung

          Unterbegriffe:

          [1] Affenschande

          Beispiele:

          [1] Er hat uns allen Schimpf und Schande gebracht.

          [2] „Der Krieg ließ mich zum Kriegsgegner werden, ich hatte erkannt, daß der Krieg das Verhängnis Europas, die Pest der Menschheit, die Schande unseres Jahrhunderts ist.“[2]

          Wortbildungen:

      • @HeidiD:

        Ich finde derzeit den Begriff "Pädokrimineller" bzw. "Pädokriminelle" am passendsten.

         

        "Kinderschänder" klingt so nach sozialer Biomülltonne.

         

        Und ein kriminelles Pack ist es allemal. Auch wenn manche noch so nett lächeln....

         

        MfG,

        Angelika Oetken, Berlin-Köpenick

        • @Angelika Oetken:

          Paedo kommt aus dem Griechischen und heisst Kind. Dann ist Paedokrimineller ein Kindkrimineller, was ist das denn? Sind das kriminelle Kinder? Kinderschaender, ein sehr geeigneter Begriff, finde ich zumindest. Warum klingt es nach sozialer Biomuelltonne? Was ist daran sozial? Komisch, naja, meiner Meinung nach ist der Begriff nicht das Problem, sondern leider die organisierte Religion, in unserem Fall die katholische Kirche. Es muesste eine Zeit anbrechen, die der Anfang von Ende dieser Schaedlinge und Vergifter waere. Dagegen sind ja die bloeden Scientologen noch harmlos, womit ich die Bande nicht verharmlosen will, aber die katholische Kirche ist mit ihrer kriminellen Vergangenheit und Energie ja kaum zu ueberbieten, stimmt, dann wird so freundlich gegrinst, pfui, diese Kerle in schwarz: falsch, fies, frech, faschistisch, fromm, frigide, feige und fanatisch die fatholische Firche.

  • "Homosexualisierung der Gesellschaft"... dass ich nicht lache. Sowas von einer Organisation, bei der die eine Hälfte zu feige ist, sich zu ihrem Schwulsein zu bekennen und die andere Priester geworden ist, weil sie unfähig ist, feste Partnerschaften einzugehen.

     

    RKK-Führungsfiguren: wie wäre es zur Abwechslung mal mit Wahrhaftigkeit.

     

    Marcin K.: Danke! Sie sprechen die einzige Sprache, die die Kirchenadministration ernst nimmt. Die der weltlichen Gerichtsbarkeit.

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden

    • I
      Irrlicht
      @Angelika Oetken:

      Da hebn sie recht Durch Zufall kenne/kannte ich einige angehende Priesterseminaristen - und bei einigen scheint die Motivation nicht religiös gewesen sein - wer superkatholisch ist und irgendwelche Probleme mit seiner Sexualität hat (einer machte Selbstgeißelungen mit dem Kleiderbügel nachm Pornogucken - kein Scherz!) - ja,dann wird man einfach Priester, dann hat sich das erledigt!! Denken sie..

      Ich bin ernsthaft der Überzeugung, das Zölibat hat hier Mitschuld.