Oligarchie in Georgien: Toxischer Traum eines Möchtegerns

In Georgien ist der Milliardär Iwanischwili der politische Strippenzieher. Den wachsenden Unmut der Bevökerung bekämpft er so wie sein Nachbar Putin.

einige von vielen Polizisten eng umringte Menschen

Tiflis, 19. November: Die Polizei geht vor dem Parlamentsgebäude gegen Demonstranten vor Foto: AP

Ein berühmter Satz lautet so: Macht ist verführerisch, und absolute Macht ist total verführerisch. Aber das ist noch nicht alles. Die totale Verführung, das zeigt die Erfahrung, führt zu einem Verlust jeglicher Angemessenheit. Eine Macht, die die Angemessenheit verloren hat, wird brandgefährlich. Das kleine postsowjetische Georgien, weiß das nur zu gut.

In den vergangenen 30 Jahren war in Georgien eine gefährliche Tendenz zu beobachten. Die erschöpfte Bevölkerung sieht in einer politischen Führungsfigur einen Messias und schenkt dieser Figur ihr ganzes Vertrauen. Und dann geht alles den Bach runter. 2012 wurde der Bevölkerung endlich klar, dass sich die Regierung des sogenannten prowestlichen Reformers Michail Saakaschwili in ein autoritäres Regime verwandelt hatte. Saakaschwili war 2003 als Ergebnis der „Rosenrevolution“ an die Macht gekommen. 97 Prozent der Bevölkerung unterstützten ihn, sahen in ihm einen Retter, der auch die Armut besiegen würde. Doch die blutige Niederschlagung von Protesten, die Verfolgung politischer Gegner, die Kontrolle der Massenmedien, die Politisierung des Gerichtswesens – das brachte das Fass zum Überlaufen.

Im Oktober 2012 schenkte der Milliardär ­Bidzina Iwanischwili der Bevölkerung mit seinem „georgischen Traum“ neue Hoffnung und gewann damit die Parlamentswahl. 2013 zog sich Iwanischwili vom Posten der Regierungschefs zurück, seither zieht er aber weiter die Strippen. Einen „James Bond Villain“ nennen ihn europäische und amerikanische Medien. Dieser georgische Oligarch hat viele spezielle Leidenschaften.

Anders als beispielsweise der Präsident von Turkmenistan macht Iwanischwili keine Videos mit Rap-Songs und schreibt auch keine Bücher über Pferdehaltung. Vielmehr bekannte er vor sechs Jahren gegenüber Journalisten, dass er vorhabe, ein kritisches Buch über Friedrich Nietzsche zu schreiben. In seinem gläsernen Palast unterhält Iwanischwili einen eigenen Zoo, und er gibt zu, dass er auch ein Aquarium mit Haien und Pinguinen besitzt. Jetzt lässt er einen Gehölzkundepark errichten und dafür in ganz Georgien jahrhundertealte Bäume aufkaufen.

In Russland reiche geworden

Stellen Sie sich vor: Das ist die informelle Regierung eines kleinen postsowjetischen Staates. Stellen Sie sich weiter vor, dass Sie Minister ernennen und andere wichtige Entscheidungen treffen, aber kein offizielles Amt bekleiden. Stellen Sie sich vor, dass sich Ihr Vermögen auf 5,7 Milliarden Dollar beläuft, was fast anderthalbmal so viel ist wie das Staatsbudget.

Stellen Sie sich vor, Sie sind in Russland reich geworden, und man nannte Sie in den 90er Jahren in Geschäftskreisen „Schlange“ Und stellen Sie sich vor: 20 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Viele sind so bedürftig, dass sie bereit sind, ihre Stimme bei ­Wahlen für einen Sack Kartoffeln zu verkaufen. Und jetzt denken Sie darüber nach, wie groß die Macht ist und wie viele Möglichkeiten Sie haben, diese Macht aufrechtzuerhalten?

Würde nach dem Verhältnis-wahlrecht gewählt, müsste sich Iwanischwili von der Macht verabschieden

Junge Aktivisten der Bewegung „Sirzchwilija“ (Schande) bekommen seit einigen Monaten die Macht von Iwanischwili zu spüren. Als in diesem Sommer der russische Abgeordnete Sergei ­Gawrilow unter rätselhaften Umständen kurzzeitig den Sessel des georgischen Parlamentspräsidenten eingenommen hatte, gingen Tausende junge Leute auf die Straße. Die Staatsmacht antwortete mit unverhältnismäßiger Gewalt – Schlagstöcke, Gummigeschosse und Reizgas wurden eingesetzt.

Eines der Zugeständnisse der Macht, die die Demonstranten beruhigen sollten, war der Übergang zu einem reinen Verhältniswahlrecht. Unter den gegebenen Umständen hätte das bedeutet, dass bei der Parlamentswahl 2020 keine Partei in der Lage sein wird, eine die Verfassung ändernde Mehrheit im Parlament zu bekommen, und man also ein Kompromiss wird suchen ­müssen.

Kein Verhältniswahlrecht

Vor einigen Tagen jedoch überlegte Iwanischwili es sich anders, und das Parlament, in dem der „georgische Traum“ die Mehrheit hat, lies ein entsprechendes Gesetz durchfallen. Iwanischwili drückte sein Bedauern darüber aus (so funktioniere Demokratie nun einmal), ein Teil der Regierungspartei habe ihn nicht unterstützt. Die Gegner des Oligarchen sind überzeugt, dass das alles ein Bluff ist, um des reinen Machterhalts willen. Jüngste Umfragen ergaben, dass Iwanischwili die Unterstützung im Volk verloren hat. Er würde nur noch auf 23 Prozent kommen. Würde nach dem reinen Verhältniswahlrecht gewählt, müsste sich Iwanischwili von der absoluten Macht verabschieden.

Vor wenigen Tagen löste die Polizei eine friedliche Protestaktion vor dem Parlament auf. Unter dem Vorwurf des Widerstands gegen die Polizei wurden 37 Personen festgenommen, und 10 von ihnen wurden zu einer mehrtägigen Administrativhaft verurteilt.

Die Pro-Regierung-Medien filmen die Proteste mit Drohnen und behaupten, dass nur wenige Menschen an den Aktionen teilnehmen (selbst die Demonstranten räumen ein, dass es mehr sein könnten). In den sozialen Netzwerken kursieren viele Seiten und Fake-Accounts, die Desinformationen über die Opposition, NGOs, westliche Staaten und die Demonstranten verbreiten. Und wohin bewegt sich Iwanischwili? Die Macht aufrechterhalten? Oder dient er äußeren Interessen, die ihn möglicherweise kontrollieren?

Auf diese Fragen gibt es keine eindeutige Antwort. Doch Tatsachen bleiben Tatsachen. Das heißt: Strafen für Demonstranten (die russische Handschrift), staatliche Propaganda gegen die Opposition und NGOs (russische Handschrift), Trolls und Bots (ebenfalls die russische Handschrift). Die jüngsten Demonstrationen begannen damit, dass ein russischer Abgeordneter dort auftauchte, wo er nicht hätte auftauchen sollen. Übrigens: Iwanischwili bekam vor Kurzem von den westlichen Medien einen neuen Spitznamen: Wannabe Putin – Möchtegern-Putin.

Aus dem Russischen von Barbara Oertel

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