Gesichtserkennung auf Videos: Hamburger Polizei hat Datenhunger
Die Polizei will dauerhaft eine Software nutzen, die sie für die Strafverfolgung nach G20 installiert hat. Kritik kommt vom Datenschutzbeauftragten.
Mit einer solchen Software kann die Polizei aus Übersichtsaufnahmen und Videos anhand biometrischer Merkmale Gesichter erkennen, herausfiltern und speichern. Wie die Gesichtserkennung allerdings genau eingesetzt wird – ob sie lediglich zum Auffinden von Personen im Bildmaterial dient oder auch ein Abgleich mit vorhandenen Fotos aus Polizeiakten erfolgt, ist unklar. Auch der Name der Software ist unbekannt.
Im Juli war dem Chef der Sonderkommission „Schwarzer Block“, Jan Hieber, im G20-Sonderausschusses die Nachricht herausgeplatzt, nunmehr einen „völlig neuen Standard in der Beweisführung“ zu besitzen. Demnach steht der Polizei seit März das Gesichtserkennungsprogramm zur Fahndung nach G20-Gewalttätern zur Verfügung. Damit können auffällige Merkmale markiert und in der Masse von Videodaten gesucht werden, die inzwischen einen Umfang von über 100 Terabyte hat.
Das Vorbild für die Software kommt aus den USA: Nach dem Anschlag beim Marathon 2013 in Boston setzte die Polizei dort das Gesichtserkennungsprogramm von Amazon ein. Nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2016 in Köln wurde das Programm zum Bundeskriminalamt nach Deutschland transferiert.

Im Podcast Lokalrunde sprechen Katharina Schipkowski (taz nord) und Erik Peter (taz Berlin) jeden Sonntag über das Stadtgeschehen.
In Folge 12 geht es um Überwachung durch Gesichtserkennung. Hörbar auf blogs.taz.de/lokalrunde; Spotify, Soundcloud, iTunes. (taz)
Der Einsatz eines derartigen Instruments ermöglicht es zum einen, Standortdaten, Verhaltensprofile sowie auch soziale Kontakte Betroffener zusammenzufügen und unbekannte Täter, von denen lediglich Gesichtsaufnahmen vorliegen, in der Datenmasse zu finden.
Zum anderen ist auch eine Inverssuche nach Personen über deren biometrische Bilder möglich, die einem bestimmten Spektrum zugeordnet werden und etwa in Gefährderdateien oder Melderegistern namentlich erfasst sind. Es lässt sich so ermitteln, ob diese Personen etwa an einer Demonstration teilgenommen und bei bestimmten Ausschreitungen Straftaten begangen haben.
„Für die Annahme, dass Gefährder tatsächlich durchgeprüft werden, liegen uns allerdings derzeit keine Anhaltspunkte vor“, sagt Caspar. „Es besteht jedoch ein hohes abstraktes Gefährdungspotenzial mit Blick auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht“, so der Datenschutzbeauftragte.
Was ihm außerdem Sorge bereitet: Die automatisierte Gesichtserkennung setz eine möglichst große Menge personenbezogener Daten voraus. „Wenn das Verfahren dazu führt, dass von allen auf dem Bildmaterial abgebildeten Personen individuelle Gesichts-IDs erstellt werden, über die eine biometrische Analyse läuft, werden massenhaft Daten Unbeteiligter über längere Zeiträume in Datenbanken gespeichert.“ Es sei davon auszugehen, dass die Betroffenen darüber nicht informiert werden, und sich folglich auch nicht juristisch wehren können, moniert Caspar.
Auch die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Antje Möller, äußert Skepsis. Im Rahmen der Strafverfolgung beim G20-Protest sei die temporäre Anwendung von Gesichtserkennungsprogrammen vielleicht noch „sinnvoll und vertretbar“ gewesen, so Möller. „Die generelle Anwendung wirft hingegen viele Grundrechtsfragen auf.“
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen