Protest von Flüchtlingen in Ellwangen: Ein besonders lauter Schrei

Sechs Tage ist es her, dass ein Polizeieinsatz in Ellwangen die Asyl-Diskussion heißlaufen ließ. Jetzt wird geredet. Klar wird: Die Flüchtlinge haben große Angst.

ein weißes Transparent

Der Polizeieinsatz gegen Geflüchtete in Ellwangen hat bundesweit für Empörung gesorgt Foto: dpa

ELLWANGEN taz | Das Grün am turmhohen Maibaum wird langsam welk, die Sonne scheint umso strahlender auf den Kirchplatz von Ellwangen. Am Mittwochvormittag haben die Straßencafés geöffnet, einige RentnerInnen sitzen vor ihrem Rotochsen-Pils und es mag so gar nicht in die Altstadt-Idylle passen, dass nach und nach immer mehr Mannschaftswagen der Polizei durch die Gassen fahren und sich rund um das Rathaus verteilen.

Sechs Tage ist es her, dass ein Polizeieinsatz an der Landesaufnahmeeinrichtung Ellwangen die Asyl-Diskussion in Deutschland heißlaufen ließ. Zunächst hatte die Polizei behauptet, die Flüchtlinge in dem Lager seien gewalttätig geworden. Es war eine Steilvorlage zum Amtsantritt des neuen Innenministers Horst Seehofer (CSU). Die Geschichte diente ihm als Beweis dafür, dass er mit seinen Plänen, große Abschiebelager für alle AsylbewerberInnen einzurichten, richtig lag. Umgekehrt feierte die antirassistische Szene die Flüchtlinge aus Ellwangen als „Helden“, dafür, dass sie Polizisten vertrieben hatten, als diese einen Togoer zur Abschiebung holen gekommen waren.

War das ein „Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bürger“? Mfouapon Alassa aus Kamerun kann das nicht nachvollziehen. Seit Dezember 2017 lebt der 28-jährige in dem Lager in Ellwangen. Am Mittag sitzt er auf dem Marktplatz an einem Klapptisch, Reporter von RTL, Spiegel Online, dem NDR und dem SWR sind da, auf dem Boden liegt Transparentstoff, Heimbewohner malen Parolen darauf. „Nach der Nacht haben wir viele Interviews gegeben“, sagt er. Doch es habe nichts genützt: „Die Medien haben ein Bild von uns als Gewalttäter und Kriminelle gezeichnet“. Heute wollten die Flüchtlinge den Bewohnern von Ellwangen zeigen, dass dies nicht wahr sei.

Alassa kommt gerade aus dem Rathaus. Eine Stunde hatte eine Delegation der Flüchtlinge mit Ellwangens Bürgermeister Volker Grab und dem Leiter des Führungs- und Einsatzstabes im Polizeipräsidium Aalen, Peter Hönle zusammen gesessen. Hönle hatte die beiden Einsätze in dem Lager geleitet. „Das Gespräch jetzt war ganz wichtig“, sagt er nun vor Reportern. Es sei eine vertrauensbildende Maßnahme, es wurde Empathie gezeigt auf allen drei Seiten. Wir waren emphatisch betroffen.“ Die Stadt habe die „gute Stube geöffnet, um auf Augenhöhe in den Dialog zu kommen.“ Ob er in der Zukunft wieder Hunderte Beamte zu einer Razzia schicken werde, um eine einzige Person abzuschieben? „Das weiß ich nicht. Wenn den vertrauensbildenden Maßnahmen, die wir hier durchgeführt haben, nun Taten folgen, dann wird das voraussichtlich nicht noch einmal passieren“, sagt er.

Angst vor Italien

Der grüne Bürgermeister Volker Grab sagt, bei dem Gespräch sei „ganz deutlich geworden, dass die Menschen Angst hätten, nach Italien zurück geschickt zu werden. „Da leben sie auf der Straße.“

Ursprünglich sollte die Kundgebung der Flüchtlinge vor dem Polizeirevier von Ellwangen enden. Dies hatte die Stadt allerdings untersagt – aus „Sicherheitsgründen“ sagt Grab. Das Revier habe nur eine Ausfahrt und die dürfe nicht blockiert werden. Ausweichort sei ein Platz an einer nahe gelegenen Straße. „Das war mit den Veranstaltern so Konsens“, sagte Grab. „Ja,“, sagt der, „wir haben die Ausfahrt gesehen, das war okay für uns.

„Wir haben uns über vieles verständigt“, sagt Alassa über das Gespräch. Polizei und Bürgermeister „haben uns Sympathie gezeigt, aber die kommt etwas spät. Wir hätten ihnen gern schon vor langer Zeit von unseren Problemen mit Dublin erzählt. Aber darüber konnten wir nie mit jemandem sprechen. Und jetzt wollen wir den Menschen in Ellwangen unsere Unschuld erklären.“

Doch bislang sind nicht viele Ellwanger zur Mahnwache erschienen. Einige angereiste Unterstützer verteilen Flugblätter, die Flüchtlinge bereiten die Pressekonferenz vor, die sie am frühen Abend geben wollen.

Nur 135 Euro im Monat

In Douala hat Alassa Marketing studiert, doch schon 2014 sei er geflohen. Probleme mit „korrupten Beamten“ seien der Grund gewesen. Über Algerien, Libyen und Italien kam er nach Deutschland.

Im Dezember habe er seinen Asylantrag gestellt, im März kam die Ablehnung. Alassa ist, was die meisten Afrikaner in Ellwangen sind: Ein Dublin-Fall. Weil sie über Italien eingereist sind, dürfen sie nicht in Deutschland bleiben. Bis Juni haben die Behörden ihm Zeit gegeben, freiwillig nach Italien auszureisen. Weil es im Lager drei Mal am Tag Kantinenessen gibt, bekommt er nur 135 Euro im Monat in bar ausgezahlt. Einen Anwalt kann er sich so nicht leisten.

Sein Zimmer liegt im Gebäude 95. Etwa zehn Abschiebungen habe er bislang persönlich mitbekommen, immer mitten in der Nacht. „Aber es war immer friedlich“, sagt Alassa. Bis zu jener Nacht auf den 30. April. „Wir wurden wach durch die Schreie“, sagt er. Im Pyjama sei er auf den Vorplatz getreten. Der Togoer, den die Polizei da abschieben wollte, hatte im benachbarten Gebäude 92 gewohnt. Nun habe er mit Handschellen gefesselt neben den Polizeiauto gestanden und geschrien. Etwa 40 weitere Bewohner seien, wie Alassa, durch die Schreie geweckt worden, alle im Pyjama oder Trainingsanzug.

Die Polizei hatte von etwa 150 Schwarzafrikaner gesprochen, die sich „zusammengerottet“ hätten. Alassa weist diese Zahl entschieden zurück. „Wir haben der Polizei gesagt, sie sollen ihn gehen lassen.“ Es seien „nur Worte“ benutzt worden, sagt er, keine Gewalt. Tatsächlich hätten sich die Beamten etwa fünf Minuten nachdem er aus dem Haus getreten war, zurückgezogen. „Dabei haben sie nichts weiter gesagt.“ Den Togoer hätten die Beamten in Handschellen gefesselt zurückgelassen. Nach etwa anderthalb Stunden sei ein Angestellter des Lager-Sicherheitsdienstes gekommen. Die Polizisten hätten ihm den Schlüssel für die Handschellen gegeben. „Der Togoer ist dann in sein Zimmer zurück gegangen“, sagt Alassa. Die Polizisten hätten an dem Morgen „keine Gewalt angewendet, die haben nur ihre Arbeit gemacht“.

Fast alle zwei Tage ein Abschiebeauftrag

Etwa 150 Abschiebeaufträge hat die Polizei im vergangenen Jahr für die LEA Ellwangen bekommen, sagt der Einsatzleiter Hönle. Im Schnitt also fast alle zwei Tage. Viele haben sich gefragt, warum ausgerechnet an diesem Morgen die Situation so eskalierte. Es gebe dafür keinen besonderen Grund, sagt Alassa. Der Togoer hat „eben besonders laut geschrien, so dass alle wach wurden.“ Allerdings habe sich schon seit längerem bei den Bewohnern des Lagers die Wut über das „Dublin-Problem“, wie Alassa es nennt, angestaut. Für den 3. Mai hatten sie in den Räumen der katholischen Mission in Ellwangen eine Veranstaltung dazu durchführen wollen. Doch dazu kam es nicht mehr.

Drei Nächte später seien die Bewohner von einem Lärm „wie eine Bombe, die explodiert ist“, geweckt worden, sagt Alassa. Die Polizei habe in allen Zimmer gleichzeitig die Türen eingeschlagen. Alle seien angeschrien worden sich mit erhobenen Händen an die Wand zu stellen. „Sie haben uns durchsucht, uns Handschellen angelegt und im Gang auf den Boden gelegt.“ Er habe gefragt, was der Grund für die Aktion sei, sagt Alassa. „Die Polizisten sagten, sie hätten uns nichts zu erklären.“ Viele dachten, sie würden nun abgeschoben. Als er versuchte, mit seinem Handy einen Anwalt anzurufen, der die Lagerbewohner ehrenamtlich berate, hätte ein Polizist ihm das Telefon aus der Hand geschlagen. Er zieht sein Telefon aus der Tasche und zeigt das zersprungene Display. „Das ist dabei passiert.“

Zwei Stunden lang, bis sieben Uhr morgens, hätten die Lagerbewohner mit Kabelbindern gefesselt auf dem Boden liegen müssen, bewacht von Hunden, ohne auf die Toilette gehen zu dürfen. Bei ihm selbst hätten die Polizisten nichts gefunden. „Aber bei vielen anderen haben sie Geld beschlagnahmt.“

In den Tagen nach der Razzia seien zunächst weder Sozialarbeiter noch der Leiter des Lagers gekommen, um mit den Bewohnern über den Vorfall zu sprechen. Erst, als bekannt wurde, dass die Flüchtlinge eine Demo an diesem Mittwoch planen, sei der Leiter erschienen. „Er hat gesagt: Es gibt nichts wogegen ihr demonstrieren könnt, weil ihr die Polizei angegriffen habt. Die Leute sind deshalb wütend auf Euch, denn in Deutschland wird die Polizei respektiert.“

„Alle haben Angst, geschlagen zu werden“

Seit der Razzia hat dien Polizei noch keine weitere Abschiebung durchgeführt. Ob es ein vorübergehendes Moratorium gibt, um die Situation etwas herunter zu kochen, davon wisse er nichts, sagt der Einsatzleiter Hönle.

Was die Flüchtlinge tun wollen, wenn die Polizei wieder komme? „Was sollen wir denn tun?“ fragt Alassa. „Wir haben keinen Widerstand geleistet und können das auch nicht tun,“ sagt Alassa. „Natürlich haben hier alle Angst, dass sie danach geschlagen werden.“

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