taz-Männer über #MeToo-Situationen: „Wie konnte ich so ein Arsch sein?“
Bei #MeToo geht es um sexuelle Übergriffe auf Frauen. Was aber ist mit der anderen Seite? Wir haben unsere männlichen Kollegen gefragt.
#MeToo posten Frauen, um öffentlich deutlich zu machen, dass auch sie sexualisierte Gewalt erlebt haben – in welcher Form auch immer. Die Flut an Posts unter diesem Hashtag ist schon ob der schieren Masse eindrucksvoll.
Was aber fehlt, oder nur sehr zaghaft und vereinzelt kommt, sind Äußerungen von Männern. Ein kritisches Hinterfragen, ob es vielleicht auch in ihrem Leben Ereignisse und Begegnungen gab, bei denen sie sich falsch verhalten haben – wissentlich oder unwissentlich. Oder Situationen, in denen es richtig gewesen wäre, einzugreifen oder zu widersprechen. Viele Männer bleiben stumm. Doch zu jedem Übergriff gehört auch jemand, der ihn begeht oder nicht verhindert.
Einen Dialog kann es nur geben, wenn alle daran teilnehmen, die das Thema sexualisierte Gewalt betrifft. Und das sind eben auch die Männer. Deshalb haben wir unsere taz-Kollegen gebeten, ihr eigenes Leben auf solche Erlebnisse hin abzuklopfen.
Nicht alle fanden unsere Frage gut. Einige fühlten sich zu Unrecht auf die Täter-Rolle reduziert und protestierten aufgebracht. Andere verwiesen darauf, dass auch Männer Erlebende von sexualisierter Gewalt sind – eine Perspektive, die wir wichtig finden und nicht verschweigen wollen. Auch geht es um Situationen, die Männer wie Frauen erleben können – als Nichthandelnde. Trotzdem sind wir der Meinung, dass genau jetzt der Moment ist, um über Gewalt gegen Frauen zu sprechen. Und über Männer, die daran beteiligt sind.
Wieder andere wollten nicht mitmachen, weil sie fürchteten, durch ihre Schilderungen ungefragt die Anonymität der Betroffenen zu gefährden. Oder weil sie es für falsch halten, mutmaßlichen Tätern so einen zu einfachen moralischen Ausweg zu bieten. Und manche sagten, sie hätten solche Situationen noch nie erlebt.
Einige Kollegen jedoch haben uns von ihren Erlebnissen erzählt. Fast allen gemein ist eine große Verunsicherung: Wo ist die Grenze? Hätte ich etwas tun sollen – und wenn ja: was? Ihre Protokolle veröffentlichen wir auf deren Bitte hin anonym und zum Teil zum Schutz der Beteiligten leicht verfremdet – in der Hoffnung, dass ihre Schilderungen die Debatte weiterführen. Denn nur wenn wir alle das Schweigen brechen und reflektieren, was wir warum tun und nicht tun, können wir lernen, wie es in Zukunft vielleicht besser geht.
Glotzen auf dem Schulhof
„Sexualisierte Gewalt ist vielschichtig. Wenn es der Aufklärung und der Verhinderung künftiger Taten dient, schildere ich hier ein paar Erlebnisse, auch wenn ich dabei selbst nicht gut wegkomme. Ich bin ein Mann Anfang 40. Meine Kindheit und Jugend habe ich in den 1980er Jahren auf dem Land verbracht. Dort haben wir Jungs manchmal auf dem Schulhof Dinge getan, die man heute als übergriffig bezeichnen würde: Mädchen aus Spaß beim Fangenspielen den Rock hochreißen oder mit Spiegeln zwischen die Beine glotzen. Manche Mädchen zahlten es uns mit ähnlicher Münze heim, aber in Ordnung war es nicht.“
Erschrecken als Erziehungsmaßnahme
„Als Jugendlicher habe ich einem Mädchen, mit dem ich kurz zusammen war, einen bösen Schreck versetzt, was mir noch heute leidtut. Ich fühlte mich von ihr ausgenutzt, weil ich das Gefühl hatte, dass sie nicht wegen mir, sondern nur wegen meiner Vespa mit mir zusammen war. Deshalb wollte ich sie erschrecken und ihr damit zu verstehen geben, dass sie so auch mal an den Falschen geraten könnte. Wir fuhren zu zweit an einen einsamen Ort. Dort sagte ich zu ihr: Zieh dich aus, ich will mit dir schlafen! Sie erschrak, und ich sagte sofort, dass dies nur ein Scherz gewesen sei. Sie war erleichtert, aber das Vertrauen war zerstört. Sexualisierte Gewalt anzudrohen, ist kein Scherz. Wie konnte ich nur so ein Arsch sein?“
Schweigen und zusehen
„In der U-Bahn quatschte ein Mann eine Frau an, wollte ihre Aufmerksamkeit, dann ihre Nummer, sich mit ihr verabreden. Sie wollte nicht, sagte eindeutig nein. Als er nicht aufhörte, stand sie auf, ging zur Türe und stellte sich davor. Er lief hinter ihr her und quasselte weiter auf ihren Rücken ein. Sie stand da, voll angespannt, ignorierte ihn, soweit es ging, stieg an der nächsten Station aus. Ich saß schräg gegenüber und dachte einen Moment: Okay, sie hat alles unter Kontrolle, sie lässt ihn ja ganz souverän ins Leere laufen und geht ihrer Wege. Im Nachhinein muss ich mir eingestehen, dass das eine Lüge war. Der Typ belästigte sie, alle sahen zu – oder weg. Sie konnte nur die Flucht ergreifen. Wie leicht wäre es für mich gewesen zu dem Typen zu sagen: Ey, sie will nicht mit dir reden, lass sie doch einfach in Ruhe. Stattdessen schwieg ein ganzer U-Bahn-Wagen – und ich mit.“
Mit den Jungs lieber unkompliziert
„Wir saßen in unserer Ferienwohnung zusammen. Fünf, sechs Jungs kurz vor dem Abitur, eine Woche in den Winterferien in den französischen Alpen. Das Gespräch kreiste um Erlebnisse in früheren Skiurlauben, um Alkoholexzesse und Mädchen. Und dann erzählte einer am Tisch von einem Skiurlaub, in dem er die Wohnung mit anderen Jungs aus unserer Stadt geteilt hatte. Jungs, die jeder am Tisch kannte. Einer von ihnen habe nachts eine betrunkene Frau mit nach Hause genommen und in dem Mehrbettzimmer der engen Wohnung auch dann nicht aufgehört, als sie klargemacht hatte, dass sie nicht mit ihm schlafen wollte. Der, der das erzählte, berichtete es mit dem schlechten Gewissen desjenigen, der nicht eingegriffen hatte. Und wir anderen am Tisch? Wir sagten nichts dazu. Das Thema wurde schnell gewechselt, der Übergriff nie wieder erwähnt, der mutmaßliche Täter nie darauf angesprochen. Das war das Einfachste.“
Nicht den Starken spielen wollen
„Kürzlich war ich mit einer Frau auf dem Fahrrad unterwegs. Folgendes geschah: Sie klingelte, drei Jungs um die 20 machten ihr und mir Platz. Einer der Jungs raunte, pfiff und rief: „Die kann gleich mal hierbleiben!“ Die Angepfiffene fuhr weiter. Und ich? Eine Möglichkeit wäre gewesen, anzuhalten und den Typen zu sagen, dass so ein ekliger, sich verbal einer Frau ermächtigender Müll verboten sein sollte. Aber sie hielt ja selbst nicht an. Hatte sie das überhaupt als schlimm empfunden? Spielt das eine Rolle, wenn ich selbst den Spruch zum Kotzen finde? Oder wäre ein Anhalten und Zurechtweisen nicht genau das gewesen, was ich an männlichen Rollenbildern hinterfragen will: Starker Mann kämpft für schwache Frau, die sich nicht wehren kann? So viele Gedanken passen leider nicht zwischen zwei Pedaltritte und so tat ich: nichts. Im Nachhinein bin ich sicher: Ich hätte anhalten sollen. Und habe mir fest vorgenommen, es beim nächsten Mal zu tun. Dass es wirklich geschieht, kann ich nicht sicher sagen. Aber die Betroffene zu fragen, was sie sich gewünscht hätte – das mache ich sofort.“
Den Zwischenton verpennt?
„Ein One-Night-Stand brachte mich im Nachhinein zum Nachdenken. Auf einer Party lernte ich eine Frau kennen. Wir tanzten und tranken zusammen und im Morgengrauen gingen wir zu mir. Wir hatten Sex, alles eigentlich schön und die Basis für ein liebes Frühstück nach dem Aufwachen. Aber dazu kam es nicht. Als ich in der Küche Frühstück machte, rief sie vom Flur knapp: tschüss. Dann fiel schon die Wohnungstür ins Schloss. Keine Telefonnummer, kein Wiedersehen, nichts. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Sollte ich ihr folgen, oder wäre das aufdringlich? Warum war sie einfach so gegangen? Hatte ich mich falsch verhalten? Ich weiß es nicht, und werde es nie erfahren.“
Zum Sex überredet?
„Seit ich ein Bewusstsein dafür bekam, was sexuelle Übergriffe in der Psyche eines Menschen anrichten können, habe ich mich gefragt, ob ich selbst mal zum Täter geworden bin. Das Doktorspielen mit acht oder neun Jahren mit meiner Sandkastenfreundin von gegenüber, die ob meines erigierten Penisses sehr verstört schaute und keine Lust mehr hatte weiterzuspielen? Und die auch nicht mit mir ins Freibad wollte, obwohl wir eigentlich am nächsten Tag verabredet waren? Hab ich überhaupt nicht geschnallt damals. Wir haben nie mehr darüber gesprochen. Auch als Erwachsene nicht. Die Versuche, mit 16 meiner damaligen Freundin die Brust zu streicheln, worauf sie immer meine Hand wegschob und sagte, sie wolle das nicht? Ich habe nicht insistiert, war dann aber auch nicht lange mit ihr zusammen. Das eine Mal, als ich mit 20 abends bei einer etwa gleichaltrigen Freundin aus meinem Studi-Job aufschlug, mit der ich schon ein paarmal Sex gehabt hatte und die an diesem Abend nicht mit mir schlafen wollte? Ich versuchte sie zu überreden und schließlich schliefen wir dann doch miteinander. Würden sie heute #MeToo posten? Ich bin auf jeden Fall nicht stolz darauf.“
Nackt und nüchtern
„Ich, Mitte zwanzig, Party in einem Hausprojekt in Hamburg. Hab mir zum Schlafen ein Bett klargemacht. Auf der Party viel Alkohol, eine Frau, die ich toll fand, und ich gehen betrunken in dieses Haus zurück. Sie, betrunkener als ich, legt sich angezogen in das Bett, in das ich wollte, und schläft ein. Ich ziehe mich aus und lege mich nackt zu ihr unter die Decke, in der Hoffnung, dass noch was läuft. Lief nix. Am Morgen wachte ich eher auf als sie und hab mich verschämt schnell wieder angezogen.“
Die Hand am Po ist kein Hiltlergruß
„Mit Anfang 20 in einer Kneipe im Univiertel. Wir stehen zu fünft zusammen, ein Freund, zwei andere Typen und eine Bekannte. Sie erzählt von ihren One-Night-Stands. Der Freund denkt, das wäre eine Einladung an alle Anwesenden. Er greift ihr an den Hintern. Die Frau und die beiden anderen reagieren und sagen ihm, was sie davon halten. Zum Glück. Ich stehe nämlich daneben und schweige. Warum eigentlich? So einfach wie in dieser Situation ist Zivilcourage doch selten: Er hat keine Unterstützer. Wir kennen uns. Ich muss nicht befürchten, dass er zuschlägt, wenn ich den Mund aufmache. Hätte er eine andere Grenze überschritten, hätte er zum Beispiel den Hitlergruß gezeigt, hätte ich wohl eingegriffen. Bei einem sexuellen Übergriff bleibe ich aber stumm. Ich fand den Griff an den Hintern schon damals nicht richtig. Aber ich fand ihn auch nicht so richtig schlimm. Zumindest nicht schlimm genug, um einzugreifen. Und das war das Problem.“
Blöde Gedanken
„Ich war Single, sexuell aktiv. Einmal lerne ich auf einer Party eine Lesbe kennen. Es war klar, dass nichts laufen würde, aber weil wir beide keine Lust auf Einsamkeit hatten, gingen wir zu ihr und schliefen im gleichen Bett. Ich streichelte ihr zum Einschlafen über den Kopf und hoffte dabei insgeheim auf mehr. Sie reagierte nicht und dabei blieb es auch. Aber einige meiner Gedanken am nächsten Tag, nachdem wir auseinandergegangen waren, waren wirklich blöd! Hätte ich nicht etwas mehr probieren sollen? Hätte sie vielleicht doch gewollt? Dabei ist es doch ganz einfach: Kein ‚ja‘ heißt ‚nein‘. Basta.“
Ich zuhause, meine Freundin im Bordell
„Ich war mit meiner Freundin neu in die gleiche Stadt gezogen und bis zum Beginn des Studiums wollten wir, beide um die 20 und ziemlich naiv, zur Überbrückung etwas arbeiten. Ich fand einen Job als Tellerwäscher in einem gutbürgerlichen Restaurant, aber meiner Freundin war das zu anstrengend. In einer Zeitungsanzeige lasen wir, dass ein Bordell eine Tresenkraft sucht. Mach das doch, sagte ich zu ihr. Als Barkeeperin kann es dir doch egal sein, wem du die Drinks gibst. Sie rief dort an, ohne Misstrauen zu schöpfen, und eines Abends ging sie hin. Auch ich war nicht misstrauisch und blieb zu Hause. Nachts kam sie wieder, völlig aufgelöst und mit viel Geld in der Tasche, das sie wütend auf den Boden warf. „Sie haben mir was in den Drink gekippt“, rief sie. In einem Hinterzimmer habe dann ein Stammkunde ihre Vulva geküsst, zu einer Penetration sei es aber nicht gekommen. Dann fing sie an zu weinen und ich nahm sie in den Arm. Ich war geschockt, fühlte mich schuldig. Wie konnte ich, wie konnten wir so blöd sein? Einer der größten Fehler meines Lebens.“
Vorspann und Redaktion: Amna Franzke, Marlene Halser und Dinah Riese
Wir wollen die Debatte weiterführen. Schreiben Sie uns an: washabichgetan@taz.de
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