Björn Höcke und das Holocaust-Mahnmal: Geschichtsrevisionisten der Mitte
Rudolf Augstein kritisierte das Mahnmal schon 1998 – in Worten, die denen Höckes ähneln. Schon damals fanden viele das Erinnern unbequem.
Es ist der Moment, auf den die AfD gewartet hat. Björn Höcke bezeichnet in einer Rede das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“, welches das deutsche „Volk“ sich ins „Herz seiner Hauptstadt gepflanzt“ habe. Er fordert eine „180-Grad-Kehrtwende“ der Geschichtspolitik. Medien und Politiker_innen reagieren empört, verweisen auf die extrem rechten Anklänge dieser Rede. Und die AfD kontert: Genüsslich verweist sie auf den Schriftsteller Martin Walser und den Spiegel-Gründer Rudolf Augstein, die sich schon 1998 in gleicher Weise geäußert hätten. Kritik oder gar Nazi-Vergleiche seien hier also unangebracht und lächerlich. Dabei ist es genau andersherum: Vor diesem Hintergrund ist die Kritik an Höcke erst recht angebracht.
Worauf sich die AfD hier bezieht, ist die Diskussion um das Gedenken – oder eben Nichtgedenken – in Deutschland im Zuge der sogenannten Walser-Bubis-Kontroverse Ende der 1990er Jahre. Im Oktober 1998 hielt Martin Walser bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche eine Rede, in der er die „Dauerpräsentation unserer Schande“ ebenso beklagte wie deren „Instrumentalisierung“ zu „gegenwärtigen Zwecken“. Er sprach vom Vernichtungslager Auschwitz als einer „Drohroutine“ und „Moralkeule“.
Ignatz Bubis, Holocaust-Überlebender und damals Vorsitzender des Zentralrats der Juden, kritisierte diese Rede scharf und warf Walser „geistige Brandstiftung“ vor – ein Ausdruck, den er im Zuge der öffentlichen Debatte wieder zurücknahm.
Damals war der Bau des Holocaust-Mahnmals gerade in Planung – und höchst umstritten. Walsers Plädoyer für einen Schlussstrich traf schon damals auf breite Zustimmung, in der Paulskirche wie auch im öffentlichen Diskurs. Besonders deutlich wurde damals Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein: Walser habe eine „fällige Debatte angestoßen“. In der „wiedergewonnen Hauptstadt Berlin“ solle nun „ein Mahnmal an unsere fortwährende Schuld erinnern“, dieses „Schandmal“ sei „gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland“ gerichtet. Walser nannte das geplante Mahnmal einen „fußballfeldgroßen Albtraum im Herzen der Hauptstadt“.
Bis in die deutsche Mitte
Augstein stehe nun wahrlich nicht im Verdacht, ein Neonazi gewesen zu sein, erklärte der baden-württembergische AfD-Chef und Ko-Bundessprecher Jörg Meuthen in seiner Verteidigung der Rede Höckes. Das mag stimmen – macht aber weder Augsteins noch Höckes Ausführungen um auch nur einen Deut besser. Geschichtsrevisionismus ist kein Privileg und schon gar keine Erfindung der Rechtsextremen; auch Nationalkonservative kennen sich in diesem Feld gut aus.
Björn Höcke und alle, die ihn verteidigen, knüpfen hier an einen rechten Diskurs an, der in Deutschland schon lange existiert. Der Verweis auf Walser und Augstein zeigt vor allem: Dieser Diskurs ist zwar am ganz rechten Rand sehr beliebt – er zielt aber bis weit in die deutsche Mitte.
Walser und Augstein gehören beide zur Tätergeneration. „Wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, daß sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt“, sagte Walser in seiner Rede. Zudem, das betonte Augstein in seinem Text, habe man ja nichts gewusst. Es ist die alte Leier von den unschuldigen Deutschen, die vom Holocaust ja nichts geahnt haben, und jetzt solle man sie doch bitte damit in Ruhe lassen. „Man“ bedeutet hier vor allem: die Opfer.
So schrieb Augstein in seinem Text vom Druck der „New Yorker Presse“ und den „Haifischen im Anwaltsgewalt“ – und bediente sich damit gängiger antisemitischer Klischees. Auch sprach er davon, wie Helmut Kohl hinsichtlich des Mahnmals nach einem Israel-Besuch „eingeknickt“ sei.
20 Jahre des Schweigens
Der Bau werde zudem „Antisemiten, die vielleicht sonst keine wären“, schaffen; Deutschland würde dadurch „Prügel in der Weltpresse“ beziehen, und zwar „jedes Jahr und lebenslang, und das bis ins siebte Glied“. Die Täter-Opfer-Umkehr und die Behauptung, nicht der Antisemit sei schuld am Antisemitismus, sondern die Juden; es sind beliebte Argumente der Rechten, wie auch Stefan Niggemeier auf dem Blog Übermedien analysiert. Der österreichisch-israelische Psychoanalytiker Zvi Rix sagte einst treffend: „Auschwitz werden uns die Deutschen niemals verzeihen“.
Die Schlussstrichdebatte war schon 1998 ein verlogener, auf die eigenen Befindlichkeiten abzielender Diskurs. Die Aufarbeitung des Holocaust war in der Bundesrepublik ein schleppender Prozess. Die Institutionen waren von Altnazis durchsetzt. 20 Jahr lang, bis zu den Auschwitz-Prozessen Mitte der 1960er Jahre, war das Thema kaum präsent. Um den Begriff „Holocaust“ überhaupt ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, brauchte es erst die Ausstrahlung der gleichnamigen US-Fernsehserie im Jahr 1979 – ein Medium der Populärkultur, nicht der politischen Aufarbeitung.
Bubis habe mit seiner Kritik „einen gehörigen Mangel an Urteilsvermögen“ zu erkennen gegeben und sich in ein „gesellschaftliches Abseits“ manövriert, schrieb Augstein seinerzeit. Besonders mit dem zweiten Zitat hatte er leider recht. Auch wenn er und Walser schon damals von einigen Seiten scharf kritisiert wurden – der Applaus war laut. Und laut sind die Stimmen, die einen Schlussstrich fordern, auch heute noch.
Schon 1998 war abzusehen, dass rechte Revisionisten sich auf Walser beziehen würden. Björn Höcke ist nur ein Beispiel dafür. Doch Höcke ist nicht irgendein Nationalkonservativer. Man muss diese Rede im Kontext früherer Aussagen betrachten. Im Dezember 2015 etwa hatte er Menschen in Afrika und Europa evolutionsbedingt unterschiedliche Fortpflanzungsstrategien unterstellt – „Ausbreitungstyp“ versus „Platzhaltertyp“. Mit diesen Begriffen differenziert die Biologie das Fortpflanzungsverhalten von Lebewesen, wobei der „Platzhaltertyp“ vor allem Säugetiere und insbesondere den Menschen bezeichnet.
„Wir“, die Deutschen von 1945
In seiner Dresdner Rede gibt es unzählige Stellen, die die Grenze zwischen den Deutschen im Nationalsozialismus und den Deutschen heute verschwimmen lassen. So sagte er über die Bombardierung Dresdens: „Man wollte uns unsere kollektive Identität rauben, man wollte uns mit Stumpf und Stiel vernichten, man wollte unsere Wurzeln roden. Und zusammen mit der nach 1945 begonnenen systematischen Umerziehung hat man das auch fast geschafft.“
Walser und Augstein wollten ihre Schuld nicht mehr vorgehalten bekommen und sich als Deutsche wieder wohlfühlen können – was als private Verdrängungsstrategie funktionieren mag, für eine Gesellschaft aber keine Option sein darf. Höcke hingegen erweckt den Eindruck, mit den Deutschen von damals wenig Probleme zu haben.
Widersprechen muss man beiden Positionen – anders, als Jakob Augstein es tut. Er nennt Höcke in einer Spiegel-Kolumne nun zwar beherzt einen „Nazi“; seinen Vater Rudolf Augstein aber nimmt er in Schutz. Dieser sei an der Schuld „buchstäblich zerbrochen“ und habe vom Holocaust damals nichts gewusst. Sein Vater habe damals „keine schönen Formulierungen“ verwendet, ist seine schärfste Kritik am Text seines Vaters. Die Differenz zwischen Rudolf Augstein und Björn Höcke zu betonen, ist richtig. – den einen deswegen freizusprechen, falsch.
Es darf keinen Schlussstrich unter der Erinnerung geben. Was geschehen ist, muss präsent bleiben. Es geht dabei allerdings nicht um Deutsche, die mit dem Gewicht ihres eigenen Gewissens nicht zurechtkommen. Das anzunehmen, ist allein schon Ausdruck unermesslicher Selbstbezogenheit.
Es geht darum, das Andenken der Opfer zu ehren. Und zuallererst geht es um eine kollektive Verantwortung für die Zukunft. „Nie wieder“ ist keine Floskel. „Nie wieder“ ist das, was wir alle uns zu Herzen nehmen und wofür wir eintreten müssen, jeden Tag aufs Neue. Und wenn man sich die Welt von heute ansieht, dann beschleicht einen das Gefühl, dass wir uns eher noch viel mehr erinnern müssten.
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