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Über Rassismus redenDreiste Umkehrung

Linke Medien setzen Kritik an kultureller Aneignung mit neurechten Konzepten gleich. Die Frage nach Macht und Ausbeutung wird ignoriert.

Wer so feiern geht, trägt seinen Teil zur Diskriminierung bei Foto: http://xuehka.blogspot.de/

Der Antirassismus sei kurz davor, in sein Gegenteil umzuschlagen, warnen derzeit linke deutsche Zeitungen. Vermeintlich reaktionäre Entwicklungen wie „linke Identitätspolitik“ und Critical Whiteness seien dafür verantwortlich, dass Antirassist_innen inzwischen selbst rassistisch agierten, lautet die Kritik. Der Anlass der aktuellen Debatte, die auch mit dieser Reihe in der taz geführt wird, ist eher unspektakulär: Es geht um Kritik an kultureller Aneignung. Ausgelöst wurde die Debatte durch einen Artikel im Missy Magazin über Kostümierung, Frisuren und Essen auf einem Festival.

In dem Text spottete Hengameh Yaghoobifarah darüber, dass etliche weiße Besucher_innen der „Fusion“ amerikanischen Federkopfschmuck als Kostümierung verwendeten, Kimonos und Dreadlocks trugen und dass die Essensstände zwar (ungewürztes!) Essen aus aller Welt anboten, aber fast nur weiße Menschen beschäftigten, um dieses zu verkaufen. Der Kernpunkt ihres Textes: Hier wird Kultur aus der ganzen Welt auf ignorante Art von einem hauptsächlich weißen Publikum angeeignet.

In fast allen linken Zeitungen, von der Graswurzelrevolution über die Jungle World bis hin zum Neuen Deutschland und der taz, ist eine ganze Reihe von Artikeln mit erstaunlich ähnlichem Tenor erschienen. Sie nutzen Einzelbeispiele, teilweise falsch dargestellt, um eine gesamte Forschungsrichtung lächerlich zu machen, sie übertreiben das Ausmaß des Streits und schließlich stellen sie Kritik an kultureller Ausbeutung fälschlicherweise so dar, als würde damit kultureller Austausch insgesamt abgelehnt, und nicht etwa die ungleichen Machtverhältnisse, in denen eben kein Austausch, sondern Ausbeutung stattfindet. Sie kommen zu dem Schluss: Hier agieren Linke wie die Neue Rechte.

Kulturelle Aneignung untersucht, wie Objekte und Praktiken von ihrer kulturellen und politischen Bedeutung losgelöst, auf ein konsumierbares Stereotyp zusammengestampft und kapitalistisch verwertet werden, also vermarktet, verkauft und konsumiert. Beispiele gibt es Unmengen. Von billigen Che-Guevara-Shirts bis zur Ausnutzung schwarzer Musikstile wie Reggae oder Hiphop durch große Musiklabels zur Vermarktung weißer Künstler_innen. Menschen, die sich in der Tracht – oder dem Klischee einer Tracht – aus einer anderen Gesellschaft (ver-)kleiden oder auch religiöse Symbole wie Buddhastatuen aufstellen, von denen sie nur den Hauch einer Ahnung haben, als Deko oder fürs Wellnessmarketing.

Es ist nicht egal, wer was macht

Das Konzept der „Kulturellen Aneignung“ kritisiert die Vereinnahmung von Kultur aus marginalisierten Communitys und ihre Verwertung und ihren Konsum durch mächtigere Gruppen, insbesondere durch Weiße. Während manche Schwarze beispielsweise am Arbeitsplatz für das Tragen von Dreads oder Cornrows verwarnt werden, signalisieren weiße Popstars damit ihre vermeintliche Street Credibility. Weil sich rassistische Strukturen sehr unterschiedlich auf Menschen auswirken, ist es also nicht gleichgültig, wer was macht.

Über Rassismus reden

Die Debatte: Nach der Wahl Donald Trumps heißt es in Medien und sozialen Netzwerken, Linke und Liberale hätten sich zu viel mit dem Kampf für Diversität befasst und die weißen „Abgehängten“ vergessen. Schon davor führte die Linke eine Debatte darüber, wie sich eine inklusive und gleichberechtigte Gesellschaft erreichen lässt. Wer hat welche Deutungshoheit, wer hat viel Macht? Und wer ist bereit, zu teilen?

Die Reihe: In einer wöchentlichen Reihe beleuchtet die taz die Aspekte der Debatte. Alle Beträge unter www.taz.de/ueberrassismusreden

Die Autor_innen, die diese Kritik in Frage stellen, bemühen eine Reihe abseitiger Anekdoten. Hier haben sich US-Student_innen gegen ihr Mensa-Essen aufgelehnt, dort wurde ein Uni-Yogakurs eingestellt, in einem Blog werden Karnevalskostüme kritisiert und so weiter. Kulturelle Aneignung als Konzept erscheint als eine Reihe von US-Campusskandälchen und Artikeln in Onlinemedien, von denen ein paar – ob nun eigentlich unspektakulär oder tatsächlich absurd – als Punching Bags herhalten müssen. Das aber geht am Kern der Kritik vorbei und diskreditiert eine ganze Forschungsrichtung.

Die Konzepte von „Kultureller Aneignung“ und „Critical Whiteness“ – auf die sich nicht nur die Jungle World eingeschossen zu haben scheint – stammen aus einer jahrzehntealten, vielfältigen Strömung der nordamerikanischen Rassismusforschung, deren Literatur in der medialen Debatte in Deutschland aber kaum rezipiert worden ist. Mit ihr analysieren Forscher_innen Rassismus nicht nur bei seinen Opfern, sondern auch bei jenen, die von ihm profitieren – auch in und für Deutschland.

Es gibt zahlreiche Formen des kulturellen Austauschs, die nicht als Aneignung kritisiert werden – und dennoch tun die Autor_innen dieser Artikel so, als würde hier Austausch insgesamt abgelehnt. Der Fehlschluss ist absurd, so als würde man Menschen, die Arbeitsverträge für scheinselbstständige Amazon-Arbeiter_innen einfordern, vorwerfen, sie wollten die Selbstständigkeit allgemein abschaffen. Doch nichts dergleichen ist der Fall: Niemand verbietet Weißen, beispielsweise, mit der Null zu rechnen oder Tee zu trinken – obwohl auch das ursprünglich Kulturtechniken anderer Gesellschaften sind.

Ein gegeneinander Ausspielen

Einige Autor_innen ziehen sogar den abwegigen Vergleich mit dem „Ethnopluralismus“. Das neurechte Konzept des „Ethnopluralismus“ ist ein Versuch, Rassismus zu verschleiern. Weil es inzwischen politisch meist schwer vermittelbar ist, Menschengruppen anhand von ausgedachten „Rassen“ diskriminieren zu wollen, hat die Neue Rechte am Wording gefeilt: Jedes Volk habe ein angestammtes Fleckchen auf der Erde, auf dem es zu bleiben habe. Damit ist allerdings nicht gemeint, dass zum Beispiel alle weißen Amerikaner_innen zurück nach Europa gehen sollen, sondern dass nicht-weiße Menschen nicht in mehrheitlich weiße Länder ziehen sollen.

Die Kritik an kultureller Aneignung und Ethnopluralismus würden sich ähneln, weil beide „Jedem Stamm seine Bräuche“ fordern würden, heißt es in den Artikeln. Doch während die Kritik an kultureller Aneignung sich dafür einsetzt, dass vor allem die durch Kolonialismus, Völkermorde und Sklavenhandel marginalisierten Kulturen nicht weiter ausgebeutet und unterdrückt werden, versucht Ethnopluralismus die weltweite Vorherrschaft von Weißen als Ist-Zustand festzuschreiben.

Dass die Kritik an kultureller Aneignung jeglichem Austausch entgegenstünde und selbst regressive Identitätspolitik sei, heißt im Umkehrschluss: Wer auf einem Festival in „indianischem Federschmuck“ herumläuft, bedient nicht etwa ein ignorantes Klischee, sondern löst ganz progressiv und postmodern Identitäten auf. Aber wer so feiern geht, bekämpft keine Diskriminierung. Im Gegenteil, die Karikatur trägt zur Diskriminierung bei.

Die Autor_innen verteidigen dieses Verhalten aber implizit und spielen verschiedene Kämpfe des Antirassismus gegeneinander aus. Wenn weiße Menschen ihre Dreadlocks abschneiden würden, sei noch nichts gegen rassistische Polizeikontrollen getan, heißt es. Den North Dakota Sioux sei nicht geholfen, wenn sich ein Spiegel-Online-Kolumnist den Iro abrasieren würde; und koloniale Ausbeutung sei nicht damit abgegolten, wenn man sich keine Maori-Tätowierung stechen lasse, schreiben sie.

Mehrebenen-Effekt

Aber wer sagt, dass sich das gegenseitig ausschließt? Und wer hat behauptet, dass mit ein bisschen Selbstreflexion bereits alles erledigt ist? Strukturelle Unterdrückung wird mit kulturellen und sprachlichen Mitteln unterstützt und legitimiert. Und wenn die Welt im Kleinen etwas weniger rassistisch wird, werden vielleicht auch die Kämpfe im Großen beschleunigt.

Bei den weißen Demonstrant_innen jedenfalls, die sich derzeit tatsächlich in North Dakota an die Seite der amerikanischen Indigenen stellen, um gemeinsam gegen den Bau einer Pipeline zu kämpfen, sieht man solches Verhalten nicht. Keiner der weißen Demonstrant_innen läuft mit Warbonnets herum und selbst wenn sie an einer Heilungszeremonie teilnehmen, gerieren sie sich nicht als „Ehrenindianer“, sondern übernehmen Verantwortung für die Verbrechen ihrer Vorfahren.

Nicht-Weiße scheinen für diese Autor_innen linker Zeitungen eher als rassistische Fantasie anderer Linker zu existieren. So als könnten Nicht-Weiße nicht selbst unter Linken sein und für sich sprechen. Linke, die kulturelle Aneignung kritisieren, hätten ein seltsames Bild von „beleidigten Exoten“ oder „sensiblen Dauerbeleidigten“, heißt es in den Artikeln. Obwohl sie behaupten, besser zu wissen, was Minderheiten wirklich denken, lehnen sie Konzepte aus marginalisierten Perspektiven ab, was Kulturelle Aneignung und Critical Whiteness ja sind.

Statt sich damit ernsthaft auseinanderzusetzen, arbeiten sich einige Journalist_innen lieber an grob verzerrten Anekdoten ab, um stellvertretend eine Form von Antirassismus lächerlich zu machen – inklusive der billigen Gleichsetzung von antirassistischer Kritik mit rassistischen Theorien.

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40 Kommentare

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  • Teil 2

    Das besondere an dem Essen dort war im übrigen nicht, dass es aus vielen Kulturen stammte, dass tut es auf jeder anderen Fressmeile auch (hier beschwert sich im Übrigen auch kaum jemand über überwiegend weiße Bedienungen), sondern dass alle Stände komplett vegetarisch ausgelegt waren, aber das ist nebensächlich.

    Worauf ich hinaus möchte: die allermeisten Fusionist_inn_en wollen einen positiven Wandel erzeugen, wollen, dass die Kulturen der Welt miteinander verschmelzen und es egal ist, welcher Ethnie man angehört, weil wir alle eins sind, die Hauptsache ist, das man friedlich gesonnen ist. Das ist der Geist des Festivals und genau das drücken wir mit unserem Erscheinungsbild aus. Wir sind die Hippies der Neuzeit und stehen für Friede, Liebe und Gerechtigkeit. Etwas anderes in unserem äußeren Erscheinen zu sehen, zeugt von äuerster Verbitterung und außerdem einer ziemlich rassistischen Einstellung. Wer in einem 'weißen' Federschmuckträger eine 'Karikatur' sieht, hat noch nicht verstanden, dass er selber es ist, der den 'Rassengedanken' sehr präsent in seinem Kopf stecken und offenbar ein Problem damit hat, oder etwas unnatürliches darin sieht, wenn sich Kulturen vermischen.

    Nichts ist rassistisch daran, sich mit anderen Kulturen zu identifizieren und dies zum Ausdruck zu bringen. Dass das überhaupt zur Diskussion steht. Haben diese sogenannten Linken nichts besseres zu tun als gegen Gleichgesinnte zu schießen?

    • @Karolina Fatima Käfer:

      PLUR =) Danke...das denke ich mir hier auch so oft, es ist so traurig. *hug*

    • @Karolina Fatima Käfer:

      Klint ehrlich gemeint. Was mich allerdings verwundert, ist Ihre Aussage, daß die Fusionisten wollen, daß die Kulturen verschmelzen. Wozu das denn ? Es ist soo prima, daß soo viele unterschiedlichste Kulturen existieren. Ein uniformer Einheitsbrei erscheint mir furchterregend. Geadezu faschistoid. Ach die Linken; alle wollen sie den Einheitsmenschen. Das ist doch grauenhaft.

      • @Thomas Schöffel:

        Also ich kann natürlich nur für mich selber sprechen, aber mit dem Verschmelzen der Kulturen meine ich nicht, dass bei dem ganzen ein Einheitsmensch heraus kommen soll, im Gegenteil, sondern dass jeder Mensch die Freiheit haben soll, der Mensch zu sein, der er sein möchte und sich dementsprechend auch kleiden darf, wie er möchte. Hierbei sollte es meiner Meinung nach völlig egal sein, welcher Ethnie er angehört, wo und von wem er geboren wurde sagt schließlich nichts darüber aus, mit welcher Kultur/mit welchen Werten er sich identifizieren kann. Wenn ich meinen Federschmuck trage, bringe ich zum Ausdruck, dass mir die Kultur der amerikanischen Ureinwohner wichtig ist, dass ich verachte, was 'weiße' Einwanderer ihr angetan haben und immer noch an tun. Ich möchte diese Kultur beschützen und bewahren. Den Kritikpunkt der kulturellen Aneignung würde ich verstehen, wenn das ganze nur eine kleine modische Spielerei wäre, doch seit ich als kleines Mädchen das erste Mal von ihrer Kultur hörte (ausführlicher, als aus einem Kinderbuch), kann ich mich mit ihren Werten identifizieren und wünsche mir, dass unsere Welt sich mehr nach ihnen richtet, was ich auch durch mein eigenes Handeln versuche in die Tat umzusetzen. Dass mir nun ausgerechnet dieser Audruck meiner Begeisterung für eine entfernte Kultur als rassistisches Verhalten ausgelegt wird, erschüttert mich zutiefst und unfair finde ich es auch.

        Ich finde es zudem unglaublich, wie offen rassistisch ausgerechnet hier Bezeichnungen wie 'weiße' verwendet werden. Es ist in die eine Richtung nicht weniger rassistisch, als in die andere. Und wenn 'weiße' Dreads tragen, dann tun sie das in der Regel, um genau solche nichtssagenden, diskriminierenden Betitelungen (in beide Richtungen) aufzulösen.

  • Teil 1

    So. Also. Ich bin gemeint, unter anderen. Ich war dieses Jahr das erste Mal auf der Fusion. Ich bin äußerlich das, was gemeinhin als 'weiß' bezeichnet wird. Ich trage seit ca 5 Jahren eine Dreadlock in meinen braun-blonden Haaren. Ich besitze einen Federschmuck (dezentes langes Band mit je einer Feder am Ende), den ich auf einem Hippymarkt auf Ibiza erstanden habe. Diese Federn trug ich auch auf der Fusion im Haar. Ich trage auch ein Palästinensertuch als Schal.

    Den besagten Artikel im Missy Magazin habe ich dank euch auch im Sommer gelesen. Und ich kann es schlichtweg nicht fassen. Was einem hier unterstellt wird, ist höchstgradig beleidigend. Es ist rassistisch mir und meinen Freunden und allen anderen Festivalbesuchern gegenüber. Uns pauschal als 'weiß' zu bezeichnen, rassistischer geht es kaum. Kleines Beispiel dazu: Mein Großvater stammt aus Syrien, ich habe also arabische Wurzeln. Gleichzeitig habe ich grüne Augen und braun-blondes Haar, meine Haut ist hell. Kaum einer der mich bisher kennen gelernt hat, hätte jemals vermutet, dass einer meiner Großväter 'nicht-weiß' wäre. Was sollen also diese lächerlichen oberflächlichen Betitelungen. Da wird mir schlecht.

    Des weiteren kleide ich mich, wie ich mich kleide, um zu demonstrieren, auf wessen Seite ich stehe. Zum Teil drücke ich damit auch aus, dass ich mich mit den Ansichten der jeweiligen Kultur identifiziere und mir wünsche, dass ihre Werte in unsere Gesellschaft adaptiert werden (Symbole der amerikanischen Ureinwohner), weil ich der Überzeugung bin, dass auf ihren Grundsätzen ein System entstehen kann, das den Menschen erlaubt in Friede, Gerechtigkeit und im Einklang mit der Natur zu leben. Es hat rein gar nichts rassistisches an sich, wenn ich zum Ausdruck bringe, mit welchen Kulturen ich mich identifiziere, ganz im Gegenteil. Ich bin auch keine Karrikatur, ich bin ein Mensch, der versucht einen Wandel herbei zu führen, so wie etliche andere Besucher gerade des 'Fusion' Festivals auch.

    • 9G
      93232 (Profil gelöscht)
      @Karolina Fatima Käfer:

      Ja, man muss sich nicht von anderen Leuten erzählen lassen, dass man in eine essentielle Schublade passen muss, um dies oder das zu tragen, zu essen oder ganz allgemein zu tun.

  • 7G
    74450 (Profil gelöscht)

    "Wo genau wird denn nun die Grenze gezogen zwischen Kultureller Aneignung und dem laufend stattfindenden kulturellen Austausch? Tut mir Leid, aber alles was man hört, klingt so, als wäre kultureller Austausch auf weißer Seite pauschal Aneignung.

     

    Wieso ist Tee zu trinken keine kulturelle Aneignung, Dreadlocks zu tragen aber sehrwohl?"

     

    Ich würd mich diesen Fragen gerne anschließen. Das ist nach wie vor der Kanckpunkt, der noch von keiner*m Verfechter dieser Theorie erklärt werden konnte.

  • Das Problem bei diesem Thema ist, dass man je für sich selbst, aber auch mit einigermaßen selbstreflektiertem Blick auf die gesellschaftlichen Mechanismen und immer wieder neu nachdenken muss, was man denn überhaupt so veranstaltet. Wer z. B. noch gar keinen Begriff von industrieller Kulturproduktion und ihre unterdrückerischen Auswirkungen hat, der schnallt nicht, was das sein soll, kulturelle Aneignung. Und wer auf einer ganz unbewussten Ebene chauvinistisch ist, lästert eben reflexhaft über jede Andeutung kritischer Wahrnehmung. So ergänzen sich individuelle Begrenzung und träges Herumhängen im Status Quo.

  • Mir persönlich erscheinen die diversen Artikel der letzten Wochen zu diesem Themenbereich eine ziemlich bemüht aufgeschäumte Angelegenheit. Wie andere ebenfalls in den Kommentaren vermerkten, fehlt mir vor allem ein aussagekräftiges Beispiel, anhand dessen man den Wert der sogenannten "wissenschaftlichen Untersuchung" messen könnte.

     

    Vor allem deshalb, weil es mindestens einen Bereich gibt, in dem man "kulturelle Aneignung zum Vermarktungszwecken" tatsächlich, real, live und in Farbe erleben und besichtigen kann. Und dieser Bereich betrifft auch durchaus nicht unerhebliche Mengen von sogenannten "Linken" oder "Progressiven", die klassisch blind sind bei bestimmten Thematiken.

     

    Der gemeinte Bereich sind die sogenannten "Plastikschamanen" und artverwandte Geschäftshansel in westlichen Kulturen, die seit Jahrzehnten gegen den erbitterten Widerstand von zum Beispiel indigenen Stämmen ihren Hokuspokus in deren Namen betreiben. Eine erstaunliche Anzahl von Fällen und Skandalen kann mit größter Leichtigkeit dokumentiert aufgefunden werden.

  • Ich bin erstaunt, dass die Autorin Teetrinken nicht als kulturelle Aneignung betrachtet. Wenn Briten als Kolonialherren den Brauch des Teetrinkens von den kolonialisierten Indern übernommen haben, hätte ich gedacht, das sei genau das, was damit gemeint ist. Offenbar habe ich es doch nicht verstanden. :-)

    • @rero:

      Der Grund ist, dass die Jünger der autoritären und anti-emanzipatorischen Critical-Whiteness-Sekte notorische Dünnbrettbohrer sind, die den Weg des geringsten intellektuellen Widerstandes suchen. Um so schäumender begegnen sie jeglichem Widerspruch.

  • Im Artikel fehlt leider der Hinweis, dass der Begriff der "kulturellen Aneignung" in den verschiedenen Fachdisziplinen doch recht unterschiedlich benutzt wird. Teilweise sogar recht konträr. Leider wird hier nur die Definition der Critical Whiteness Bewegung wiedergegeben, was den Anschein erweckt es sein ein fester Begriff - genau das ist er aber ganz offenbar nicht. Vielmehr entsteht dadurch der Eindruck, dass er eine bestimmte Bedeutung bekommen soll. Das wiederum ist dann auch nicht Wissenschaft sondern politische Aktion.

  • Jetzt wissen wir also, wieso Kritik an Critical Whiteness etc. blöd ist. Was aber immernoch fehlt:

     

    Wo genau wird denn nun die Grenze gezogen zwischen Kultureller Aneignung und dem laufend stattfindenden kulturellen Austausch? Tut mir Leid, aber alles was man hört, klingt so, als wäre kultureller Austausch auf weißer Seite pauschal Aneignung.

     

    Wieso ist Tee zu trinken keine kulturelle Aneignung, Dreadlocks zu tragen aber sehrwohl?

     

    Und ist es auch bei einem schwarzen Nicht-Rastafari kulturelle Aneignung, wenn er die Dreadlocks der (auch unter Schwarzen) Minderheit der Rastafari trägt?

     

    Bei einem gewachsenen Forschungsgebiet könnte man da schon ein bisschen konkreteres erwarten als eine reine Auflistung, wieso man mit Ethnopluralismus nichts zu tun hat.

     

    Dass hierbei allein schon die Motiviation und auch die Zielrichtung sich vollkommen unterscheidet, ist für mich klar, insofern gehen mir die direkten Vergleiche mit dem Ethnopluralismus zu weit. Das Problem ist, eher, dass die Gefahr besteht, dass es im Ergebnis auf das gleiche hinausläuft.

     

    Interessant finde ich allerdings auch, dass die AutorInnen zwar das Herauspicken von Einzelbeispielen kritisieren, dann aber mit dem Federschmuck genau das gleiche machen.

     

    "lehnen sie Konzepte aus marginalisierten Perspektiven ab, was Kulturelle Aneignung und Critical Whiteness ja sind."

    Wenn Sie das anders geschrieben hätten im Sinne von "von Angehörigen von Minderheiten entwickelten Konzepte" geschrieben hätte, okay. Aber eine Perspektive ist etwas absolut subjektives. Und vielleicht bin ich ein weißer Ignorant, aber Subjektivitäten können m.E. nur Objekt der Wissenschaft und Forschung sein.

  • "Der Kernpunkt ihres Textes: Hier wird Kultur aus der ganzen Welt auf ignorante Art von einem hauptsächlich weißen Publikum angeeignet."

     

    Halte ich das Publikum auf der Fusion für sympathische AntirassistInnen? Nein!

    Halte ich das Festival und ihre BesucherInnen dann für grundsätzlich rassistisch und belastend? Wieder Nein!

     

    Es muss doch nicht immer nach dem Prizip: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns" laufen. Halte ich für schwierig.

     

    "Kulturelle Aneignung untersucht, wie Objekte und Praktiken von ihrer kulturellen und politischen Bedeutung losgelöst, auf ein konsumierbares Stereotyp zusammengestampft und kapitalistisch verwertet werden, also vermarktet, verkauft und konsumiert."

     

    Das verstehe ich durchaus und kann die Abneigung dagegen auch voll und ganz nachvollziehen.

    Aber wenn ich eines aus dem Artikel (und den Anderen aus dieser Reihe) mitnehme: Wir sollten Kulturgüter kategorisieren und Diese festen (ethnischen) Blöcken von Kulturen zuordnen. Aber das kann doch nicht der Sinn des Ganzen sein.

     

    Wo sind die Ideen von Transkulturalität und einem gemeinsamen Zusammenleben hin?

     

    Für mich bleibt der Eindruck, dass viele Anhänger der "Kulturellen Aneignung" gerne eine komplett kategorisierte Welt haben möchten. Darin können dann nur Menschen mit bestimmten Hintergründen bestimmte Dinge tun. Getreu dem Motto: Bleib bei deinen Wurzeln.

  • Das was KommunardIn Miclimate vor einigen Stunden ins Forum gestellt hat, kann ich verstehen. Obwohl ich selbst das Pamphlet der taz-AutorInnen durchaus auch verstehe. Empirisch, und zwar seit Dekaden. Als Kultureller Grenzendurchschreiter und Adoptierter. Und trotzdem kann ich auch einiges der (von den taz-AutorInnen gehörig runtergemachten) Kritik der genannten "linken Zeitungen" (taz inklusive!) nachvollziehen. Weder auf der Haut, noch auf dem Papier und schon gar nicht im Leben hats diese klaren Grenzziehungen zwischen schwarz und weiss. Oder meinetwegen gelbbraun und rotbraun...

    Vielleicht wäre ein konstruktives Aufeinanderzugehn eine Alternative zu Fernschlagabtäuschen via Medien? Auf jeden Fall aber eine breit(er) gestreute und tiefer gehende Teilnahme an verschiedenen Kulturkreisen. Und den erlas ich weder auf der einen, noch der anderen Streiter-"Seite".

  • "religiöse Symbole wie Buddhastatuen aufstellen, von denen sie nur den Hauch einer Ahnung haben, als Deko oder fürs Wellnessmarketing."

     

    Ja und? Jedem sein Recht.

     

    "Es ist nicht egal, wer was macht"

     

    Doch, es ist egal. Sonst dürften Schwarze oder Indios keine Hemden tragen, dürften nicht Auto fahren, keine Computer benutzen, dürften in keinen von Weißen übernommenen Häusern wohnen, dürften keine fremden Patente nutzen, ja dürften nicht mal zur Schule gehen oder einen Rechtsstaat in Anspruch nehmen.

     

    Das sind total lächerliche "Forschungen" wenn hier irgendjemandem ein schlechtes Gewissen gemacht werden soll.

    • @Jens Egle:

      Noch mal: Es kommt darauf an, wer die Aneignung vollzieht und mit welchen Folgen bzw. welcher Haltung. Wenn z. B. die Bekleidungsindustrie in Sweatshops sogenannte Indianerkleidung herstellen lässt, ist das eben doppelt zynisch. Muss man aber selbst nachvollziehen. Wenn man das nicht kann oder will, ist es natürlich zwecklos, auch nur zu diesem Thema etwas zu lesen.

  • Wenn mensch den Artikel von Frau Yaghoobifarah liest, kann mensch den Eindruck bekommen, auf der Fusion sei Rassismus genau so präsent wie auf einem Landserkonzert. Da solche Artikel keine Ausnahme sind, wenn es um "kulturelle Aneignung" oder "critical Whitness" geht, sondern die Regel, ist es logisch, dass solche Inhalte im Fokus der Kritik stehen. Deshalb sind es Personen wie Frau Yaghoobifarah, die "critical Whitness" diskreditieren, indem sie daraus eine autoritäre dogmatische Ideologie machen und diese dann auf hasserfüllte Art und Weise an die Öffentlichkeit bringen.

     

    Beispiel aus ihren Artikel über die Fusion: "Weil mein Selbsthass oder einfach der Wunsch, die Welt brennen zu sehen, mich manchmal überschüttet, fuhr ich Sonntagabend in die Wursthaar-Hölle." Das klingt für mich eher nach Vernichtungsfantasien, als nach einem emanzipatorischen Anspruch.

  • "In fast allen linken Zeitungen, von der Graswurzelrevolution über [..] ist eine ganze Reihe von Artikeln mit erstaunlich ähnlichem Tenor erschienen. Sie nutzen Einzelbeispiele, teilweise falsch dargestellt, um eine gesamte Forschungsrichtung lächerlich zu machen"

     

    Gerade beim verlinkten Graswurzel-Artikel kann ich die Kritik nicht nachvollziehen. Dort wird sorgfältig und unaufgeregt (und im übrigen auch wesentlich klarer verständlich als in diesem Artikel) Yaghoobifarahs Artikel als das kritisiert, was er ist: Nämlich kein durchdachter Beitrag zur Debatte. Der Artikel macht eben nicht die gesamte Forschung lächerlich, er zeigt auf, weshalb zu kurz denkende, aus dem Bauchgefühl schreibende Schwätzer_innen dies tun.

     

    Bei aller Liebe zur Sache - anstatt einen ellenlangen Artikel zu schreiben, um doch noch Yaghoobifarahs Artikel als missverstanden, falsch interpretiert und irgendwie berechtigt darzustellen, wäre es zumindest meiner Meinung nach ehrlicher, einfach zuzugeben: Japp, das war Murks, aber es hat mit dem Stand der Forschung auf diesem Gebiet, mit einer differenzierten oder "anerkannten" Sicht wenig zu tun.

  • Dieser Artikel ist ein wunderbares Beispiel dafür, warum die Linke so wenig Anhänger hat. Glauben Sie etwa, ein durchschnittlicher LKW-Fahrer oder eine Kassiererin würde dieses, sorry, Geschwafel lesen ? "Das Konzept der „Kulturellen Aneignung“ kritisiert die Vereinnahmung von Kultur aus marginalisierten Communitys.." Wer so spricht, möchte gar nicht verstanden werden. Echoblasengeschwätz, selbstreferentiell, aber Hauptsache wisenschaftlich anmutender Duktus.

  • 3G
    32795 (Profil gelöscht)

    Die Atomphysik der Kulturen?

     

    Theoretisch ist die Atomphysik eine feine Sache, billige und saubere Energie. Die Risiken sind beherrschbar wenn nur alles immer nach Plan funktioniert.

     

    Ähnliches gilt für die "Critical Whiteness", wären alle die sie vertreten verantwortungsbewusste Experten, dann wäre das eine gute Sache. Aber in den Händen von halbgebildeten Schreihälsen ist sie wohl kontraproduktiv, im besten Fall einfach nur lächerlich.

     

    Es tut mir leid, aber ich werde nicht mit geistig Halbstarken über meine Kochrezepte diskutieren. Mit geistig voll Zurechnungsfähigen schon, ich glaube aber nicht, dass die darüber diskutieren wollen.

     

    Der wahre Knackpunkt ist auch ein ganz anderer. Die ganze Theorie ist vor dem Hintergrund der One World nicht haltbar. Egal wie die Theorie gedacht war, in der Praxis läuft sie auf den Gedanken einer "kulturellen Reinheit" hinaus dem ich weit bedenklichere Attribute zuschreibe als "neurechts".

  • "Kulturelle Aneignung untersucht, wie Objekte und Praktiken von ihrer kulturellen und politischen Bedeutung losgelöst, auf ein konsumierbares Stereotyp zusammengestampft und kapitalistisch verwertet werden, also vermarktet, verkauft und konsumiert."

     

    Das kann tatsächlich eine Forschungsrichtung sein, und zwar eine sehr spannende, in der sich Ökonomie, Soziologie, Psychologie und Ethnologie findet. Das Problem ist lediglich, dass wissenschaftliche Forschung bedeutet, alle Seiten eines Problems zu betrachten und zu bewerten.

     

    Für Frau Yaghoobifarah und ihresgleichen steht aber nicht die Wissenschaft, sondern die Ideologie im Vordergrund. Es ist halt bequem, alles Übel dieser Welt EINEM Schuldigen in die Schuhe schieben zu können, dem weissen älteren Hetero-Mann.

     

    Und genau dieses undifferenzierte, sehr pauschalierende Weltbild verbindet die Apologeten dieses Weltbilds mit den Rechten. Von echten Linken erwarte ich etwas mehr Differenzierungsvermögen.

    • 3G
      33523 (Profil gelöscht)
      @Blacky:

      Gegen Ende des Artikels findet sich auch noch dieser entlarvende Satz:

       

      "Obwohl sie behaupten, besser zu wissen, was Minderheiten wirklich denken, lehnen sie Konzepte aus marginalisierten Perspektiven ab, was Kulturelle Aneignung und Critical Whiteness ja sind."

       

      Es wird also nicht mal so getan als würden diese Theorien versuchen die Welt objektiv zu betrachten, was für wissenschaftliche Arbeit unerlässlig ist.

      • @33523 (Profil gelöscht):

        Das ist natürlich Quark. Eine objektive Perspektive ist unmöglich. Das zu Wissen ist voraussetzung für Wissenschaft.

        • 3G
          33523 (Profil gelöscht)
          @Dorothea Pauli:

          "Das ist natürlich Quark. Eine objektive Perspektive ist unmöglich. Das zu Wissen ist voraussetzung für Wissenschaft."

           

          Herrgott. Eine objektive Perspektive auf die Reaktion zweier Stoffe ist möglich. Es gibt kein soziales Konstrukt das diese Reaktion beeinflusst.

           

          In den Sozialwissenschaften gibt es keine völlig objektive Sichtweise. Das Problem an der Sache ist das es nicht wenige Menschen gibt die dann das Kind mit dem Bade ausschütten und anfangen "Wissenschaft" aus der Perspektive von xy zu betrieben. Das sind keine Wissenschaften, dass ist Meinungsmache!

           

          Wie ich schon schrieb (Und lesen Sie diesmal _genau_) "... versuchen die Welt objektiv zu betrachten ...". Das Versuchen ist der Witz an der Sache. Man nutzt die wissenschaftliche Methode um so weit es geht den Einfluss des Forschenden auf das Thema zu reduzieren.

        • 2G
          2730 (Profil gelöscht)
          @Dorothea Pauli:

          Erstens: Frau ersetze den Ausdruck "objektiv" durch "intersubjektiv nachvollziehbar" und schon ist dieses Problem gelöst.

          Zweitens: "Quark" ist natürlich DER wissenschaftliche Ausdruck schlechthin.

          Drittens: Die Replik zieht sich an Ausdrucksweisen hoch und hat nichts mit den inhaltlichen Aussagen des Vorkommentators zu tun.

  • "Bei den weißen Demonstrant_innen jedenfalls, die sich derzeit tatsächlich in North Dakota an die Seite der amerikanischen Indigenen stellen..."

     

    Nun sind gerade solche Aktionen ein Musterbeispiel für kulturelle Aneignung: ein paar Wohlstandsweisse suchen sich eine - irgendeine - benachteiligte Gruppe (Indianer, Robbenbabies, Refugees oder Juchtenkäfer), um an deren Beispiel ganz ganz eingensüchtiges Karmatuning zu betreiben. Das ist Kulturimperialismus ganz eigener Art.

  • "schließlich stellen sie Kritik an kultureller Ausbeutung fälschlicherweise so dar, als würde damit kultureller Austausch insgesamt abgelehnt, und nicht etwa die ungleichen Machtverhältnisse, in denen eben kein Austausch, sondern Ausbeutung stattfindet."

     

    So gut und wichtig ich den Text finde, so falsch ist der obige Abschnitt.

     

    An dieser Verwechslung von kulturelle Ausbeutung und kulturellen Austausch sind auch zu einem Großteil die Vertreter von Critical Whiteness&Co schuld und nicht deren Kritiker.

     

    Menschen, die das Konzept von kultureller Aneignung nur unzureichend verstanden haben führen politische Aktionen mit fragwürdigen Methoden durch. Das ganze ist dann am Ende kontraproduktiv und diskreditiert die gesamte Bewegung.

     

    Wenn das dann Kritiker hervor ruft, ist das nicht die Schuld der Kritiker.

  • 3G
    33523 (Profil gelöscht)

    “kritisiert die Vereinnahmung von Kultur aus marginalisierten Communitys und ihre Verwertung und ihren Konsum durch mächtigere Gruppen, insbesondere durch Weiße. ”

     

    Weiter oben steht noch dieses Konzept sei nicht rassistisch. Ein paar Absätze weiter wollen Sie einer Gruppe von Menschen auf basis ihrer Hautfarbe vorschreiben was getan werden darf und was nicht. Können Sie den Pfahl im eigenen Auge nun sehen?

     

    “Weil sich rassistische Strukturen sehr unterschiedlich auf Menschen auswirken”

     

    Was sind bitte rassistische Strukturen? Schwammiger geht es wohl nicht, was? Es gibt in einer Gesellschft keine Struktur die unabhängig von den Menschen ist. Wenn es also um Rassismus geht dann soll man doch bitte konkret die Personen benennen die rassistisch sind und gegen diese Personen kann man dann auch vorgehen! Hypothetische Wortungetüme haben noch niemandem geholfen.

     

    “Doch während die Kritik an kultureller Aneignung sich dafür einsetzt, dass vor allem die durch Kolonialismus, Völkermorde und Sklavenhandel marginalisierten Kulturen nicht weiter ausgebeutet und unterdrückt werden”

     

    Aus irgend einem Grund gehen Menschen ihres Faches aber immer nur so weit zurück das sie nicht in die Verlegenheit kommen erklären zu müssen warum die Sklaverei anderer Völker nicht thematisiert wird. Oder darüber zu sprechen das viele schwarze Sklaven von anderen schwarzen verkauft wurden. Letztlich glaube ich Ihnen nicht das es hier um akkurate Forschung geht, sondern darum ihr selektives Weltbild zu reproduzieren.

     

    “gerieren sie sich nicht als „Ehrenindianer“, sondern übernehmen Verantwortung für die Verbrechen ihrer Vorfahren.”

     

    Wie soll man bitte für die Taten anderer Menschen, die bereits seit über hundert Jahren Tot sind und die man nicht mal kannte die Verantwortung übernehmen? Der Postkolonialismus möchte nicht weniger als die Einführung der Erbsünde in die Politik. Das war im Religiösen Kontext bizarr und das ist im politischen noch viel bescheuerter!

    • @33523 (Profil gelöscht):

      "Hypothetische Wortungetüme haben noch niemandem geholfen."

       

      Falsch. Sie helfen ungemein bei der immunisierenden Verschwurbelung gewisser "Wissenschaften" (deren Ergebnisse bereits a priori feststehen) und ihren "Forschungen" (gegenseitiges Abschreiben, in geisteswissenachaftlichen Zirkeln auch als "wissenschaftliches Arbeiten" oder "Analyse" bezeichnet). "Rassistische Strukturen" sind genau so ein beliebig füllbarer und letztlich blasser Wortcontainer wie "gesellschaftliche Einflüsse" (wahlweise durch "Mechanismen" oder "Strukturen" ersetzbar). Füllbar mit jeder beliebigen Scheinargumentation sollen solche Begriffe die Andersmeinenden in blasierter Weise ausschließen und die eigene Weltanschauung gegen Falsifikationsversuche abkapseln.

      • 3G
        33523 (Profil gelöscht)
        @Liberal:

        "sollen solche Begriffe die Andersmeinenden in blasierter Weise ausschließen und die eigene Weltanschauung gegen Falsifikationsversuche abkapseln."

         

        Damit würde ich sagen haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen!

  • Immer wieder faszinierend, wie die Critical-Whiteness-Sekte Kritik an ihrer autoritären und anti-emanzipatorischen Praxis zum Anlass für Selbst-Viktimisierung nimmt. Nein, die Beispiele für die autoritäre und anti-emanzipatorische Praxis der Critical-Whiteness-Sekte sind keine isolierten Anekdoten, als die sie Anna Böcker und Lalon Sander hier darstellen wollen. Sondern sie sind die logisch notwendige und daher immer wieder konkret auftretende Erscheinungsform einer kulturessenzialistischen Theorie, die den Individuen den Individualismus austreiben will. Die Individuen sollen sich als Exemplare ihrer Gattung sehen und nichts weiter. Von dieser abstoßenden Dystopie darf die antiautoritäre Linke sich nicht länger vereinnahmen lassen.

  • Es waere hilfreich, dass alles etwas konkreter zu diskutieren. Dass man das Tragen eines War Bonnets als problematisch einordnet, kann ich nachvollziehen. Das Bauchgefehl der meisten deutschen z.B. scheint sie davon abzuhalten bei Kanreval mit Kippah aufzulaufen. Beim War Bonnet kommt aehnliches zusammen ('heilige' Symbole auf der einen Seite und auf der anderen eine Geschichte von stereotyper Karikatur, die letztlich im Zusammenhang mit Voelkermord stand).

     

    Aber wenn ich mir https://en.wikipedia.org/wiki/Dreadlocks anschaue, scheint es geradezu absurd Dreads das 'copyright' einer Kultur zuzuschreiben. Wessen Kultur wird durch das Tragen von dreads angeeignet? Minoische? Juedische? Aegyptische? Fruehchristliche? Atztekische? Die senegalesischer Sufis? Rastafarian? Hier wird ein Aspekt der Kritik deutlich, auf den die Autorin leider nicht eingeht. Kultur ist nicht der Duden. Sie wird nicht verordnet, sondern lebt, verlaeuft in ungeraden Bahnen, ist organisch und so verzweigt, chaotisch, zirkulaer und bunt wie die Geschichte unserer Spezies. Darueber ein binaeres Raster von 'OK' und 'rassistisch' zu legen wird ihr nicht gerecht.

     

    Wenn niemand Tee trinken 'verbieten' will, will die Autorin dann das Tragen von Dreads oder War Bonnets 'verbieten'? Das hat die unangenehm totalitaristische Geschmacksnote jeden Versuchs 'richtige' Kultur zu verordnen. Dies ist kein Argument dagegen, sondern dafuer, kulturelle Praxis immer wieder neu und kritisch zu diskutieren. Verbote allerdings passen nicht zur kritischen Diskussion. Sie kann sich auch nicht im Verweis auf Autoritaeten genuegen ('gesamte Forschungsrichtung'), oder im Belegen der Gegenseite mit moralischen Adjektiven. Sie braucht inhaltliche Auseinandersetzung und starke Argumente. Andernfalls faellt ihr best-und worst-case Szenario zusammen: Im Errichten von Tabus.

    • @Janz Schlau:

      Danke! Noch dazu kommt, dass kulturelle Codes und Symbole sich irgendwann verselbstständigen und ihren Kontext ändern (aktuell stehen überall Weihnachtsbäume - ich rieche Neopaganismus, oder doch nicht?). Das Problem ist denn oft auch das wenig kritische Nachfragen nach der Haltung hinter dem Symbol: Die (verwerfliche) Haltung der SymbolträgerInnen scheint durch das Symbol selbst belegt. Keine Aufklärung, keine Möglichkeit der Um- oder Mehrdeutung, kein Weg, die Relevanz wieder herunterzustufen. Die bloße Zuschreibung reicht für die Anklage. Das Problem liegt nicht nur in der Theorie, sondern auch was mit ihr im konkreten Fall angestellt wird.

  • Ich hab auch noch eine Anekdote zu "Critical Whiteness" beizutragen: Ich - Hautfarbe: beige-pink mit braunen Punkten - hatte neulich mein Gesicht schwarz gefärbt, um vor einem schwarzen Hintergrund zu verschwinden (Stichwort: Pantomine).

    Mir ist dann von einer dezidiert links gesinnten Frau "Blackfacing" vorgeworfen worden ... m(

     

    Solche Vorfälle des Alltags sind nicht dazu angetan, die Sympathiewerte für bestimmte Theorien und ihre Vertreter zu erhöhen.

  • The bigger the children, the bigger the worries.

  • Hmmm...

    Hierzu eine schöne Geschäftsidee:

    Bei mir kann mensch ab demnächst ihren/seinen Style (Nasenringe, hmm...) zertifizieren lassen, hierfür müssen nur ein beglaubigter Lebenslauf, Dokumente zum sozialen und politischen Engagement, sowie eine Aussage zum eigenen kulturellen Ansatz vorliegen.

     

    Ich habe den Eindruck, dass diese neue Verhaltensregeln zur Verwendung kultureller Symbole nur dafür taugen, etwas Ordnung in den eigenen Moralkompass und damit in die tatsächlich unübersichtliche heutige Welt zu bringen.

     

    Meines Erachtens ist die ganze Diskussion Energieverschwendung. Aber ist ja Feiertag.

  • Das ist leider ein ziemlicher Insider-Text. Ich bin nach einem Drittel verwirrt ausgestiegen, da ich die Debatte nicht kenne. Der Text ist zu lang, zu aufgeregt und vermittelt der interessierten Leserin leider viel zu wenig den Rahmen der Debatte. Wer wirft jetzt wem was aufgrund genau welcher Aussagen wo vor? Das steht hier zwar drin, aber so konfus und überladen, dass ich den Faden verloren habe. Schade.

    • @MIClimate:

      Der Text befasst sich eben mit einem ziemlichen Insider-Thema. Kulturelle Aneignung bezeichnet eine Form der Kulturkritik und hier wird die Kritik an dieser Kulturkritik wiederum kritisiert.

       

      Ist also alles nicht so schlimm. Dass sie mit dem Text nichts anfangen können macht nichts und ist weder die Schuld des Autors noch von ihnen.

      • @Yoven:

        Liebe/r Yoven, danke für den groben Referenzrahmen. So weit war ich fast auch gekommen :-) Ich wollte mit meinem Kommentar zum Ausdruck bringen, dass ich in einer TAGES-Zeitung eigentlich eine journalistisch verständliche Aufbereitung auch komplexer Themen erwarten würde. Dieser Text passt allenfalls in eine Fachzeitschrift. Eine Tageszeitung sollte journalistisch in der Lage sein allgemeinverständliche Texte zu produzieren.