piwik no script img

V-Mann „Corelli“ und der NSUDie lange Leitung des Amtes

Laut Verfassungsschutz wurde das aufgetauchte Handy von „Corelli“ erst nach 2012 genutzt. Eine taz-Recherche zeigt: Das ist falsch.

Wann telefonierte er womit? V-Mann Thomas „Corelli“ Richter Foto: Archiv

Berlin taz | Corelli, immer wieder Corelli. Erneut bereitet der verstorbene V-Mann dem Verfassungsschutz Ärger. Und wieder geht es um Corellis Handy, das jüngst plötzlich in einem Panzerschrank des Geheimdienstes auftauchte. Für Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen wird es zunehmend ungemütlich.

Fast zwanzig Jahre lang war „Corelli“, mit bürgerlichem Namen Thomas Richter, ein bundesweit vernetzter Neonazi und Top-Quelle des Bundesverfassungsschutzes. Bis heute ist unklar, wie nah er dem NSU stand. Richter selbst kann diese Frage nicht mehr aufklären: Er starb 2014 überraschend an einer unerkanntem Diabetes.

Im Juli vergangenen Jahres allerdings fand sich im Verfassungsschutz plötzlich ein Samsung-Handy Richters – bei der fünften Sichtung des Schranks seines früheren V-Mann-Führers. Bekannt wurde dies erst im Juni dieses Jahres. Kurz zuvor hatte der V-Mann-Führer auch die dazugehörige SIM-Karte nachgeliefert.

Der Verfassungsschutz wiegelte ab: Das Handy sei von Richter rein privat und nur von Mai bis September 2012 genutzt worden – nach Auffliegen des NSU-Trios. „Weder das Smartphone noch die dazugehörige SIM-Karte liefern Hinweise auf eine etwaige Beziehung Corellis zum NSU-Trio“, schrieb das Amt in einem vertraulichen Bericht an den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Schon der Nutzungszeitraum sei „nicht geeignet, die Aufklärung der NSU-Morde zu befördern“.

Seit 1995 nutzte „Corelli“ die Nummer

Nun allerdings wird durch taz-Recherchen bekannt: Das ist so nicht zutreffend. Denn die Nummer der fraglichen SIM-Karte wurde wesentlich länger von Richter genutzt, als es der Verfassungsschutz bisher einräumt.

Noch vor seinem Tod wurde Richter vom BKA zu möglichen NSU-Kontakten befragt, im Juni 2012. Richter stritt ab, das Trio oder seine Taten gekannt zu haben. Die Ermittler hakten nicht viel weiter nach. Interessant aber: Als seinen Telefonkontakt nannte Richter eine Mobilnummer: 0171/2660517. Es ist genau die Nummer, die laut Verfassungsschutz zur zuletzt aufgefundenen SIM-Karte gehört. Mehr noch: Richter gab bei der Befragung auch an, diese Nummer seit Ende seiner Bundeswehrzeit zu besitzen, seit 1995. „Die hat sich seither nicht mehr geändert“, sagte er den Ermittlern.

Tatsächlich taucht die Mobilnummer über Jahre in Verfassungsschutzakten auf – weit vor 2012. Als 2001 ein Rechtsrockhändler in Ostfriesland durchsucht wird, steht sie in dessen Telefonverzeichnis. Der Vorgang wurde aufmerksam vom Niedersächsischen Verfassungsschutz protokolliert. 2007 taucht die Nummer bei einer BKA-Abhörmaßnahme gegen den Thüringer NPD-Kader Thorsten Heise auf. 2010 wiederum steht sie auf einer SMS-Verteilerliste der rechtsextremen „Aktionsgruppe Halle-Merseburg“ – auch dies eine Verfassungsschutz-Erkenntnis.

„Oberste Priorität“ für Aufklärung

Davon allerdings berichtete der Geheimdienst dem Parlament nichts – und legte mit dem Hinweis, die Nutzung sei angeblich erst 2012 erfolgt, stattdessen eine ganz andere Fährte. Kein NSU-Bezug? Auch das ist so klar offenbar nicht, wenn Richter seine Nummer mehr als 15 Jahre nutzte – über die gesamte Untergrundzeit des NSU hinweg. Zumindest sein Kontaktmann Thorsten Heise bewegte sich im NSU-Umfeld: Er hielt Briefkontakt zum heute in München als NSU-Helfer angeklagten Holger G. Von diesem soll er 1999 auch angesprochen worden sein, ob er helfen könne, das untergetauchte Trio „außer Landes zu bringen“.

Und: Richter selbst stand 1998 auf einer Kontaktliste des späteren NSU-Mitglieds Uwe Mundlos, traf diesen persönlich drei Jahre zuvor. Zudem übergab Richter bereits 2005 – Jahre vor dem Auffliegen des Trios – dem Verfassungsschutz eine CD mit dem Titel „NSU/NSDAP“.

Der Fall „Corelli“ wird damit einmal mehr zum Problem für Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Bereits zuletzt forderte die Opposition wegen der Personalie seinen Rücktritt, auch die SPD ging auf Abstand. Der Unmut dürfte nun nicht geringer werden.

Der Verfassungsschutz wollte sich zu dem Vorgang am Dienstag nicht äußern. Die Aufklärung der Vorgänge um Corelli habe „oberste Priorität“, sagte ein Sprecher. Vorerst aber warte man die Ergebnisse zweier Experten ab, die zuletzt zu Corelli eingesetzt wurden – einer durch den Bundestag, einer durch das Innenministerium. Diese haben nun noch ein paar offene Fragen mehr zu klären.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • So wenig man einige Aussagen der aufklärenden Behörden trauen kann, sehe ich einen für mich gravierenden Fehler in der Argumentationslinie des Artikels:

    Die Nutzung einer Mobilfunknummer kann nicht mit der Nutzung einer SIM-Karte gleichgesetzt werden. Sowohl der Ersatz der Karte bei Verlust als auch die Rufnummernmitnahme wäre sonst nicht möglich. Somit ist es nicht zwangsweise eine Falschaussage, dass die SIM-Karte nur kurzzeitig genutzt wurde. Vielleicht wäre dies durch die Autoren zu prüfen.

  • Wenn das alles so wie beschrieben zutrifft, zeigt das zwei sehr wichtige Dinge:

     

    Zum Einen, wie wichtig und unverzichtbar eine freie und sorgfältige Arbeit von Medien wie Presse und Journalisten sein und bleiben muss.

     

    Und zum anderen macht gerade ein solcher Fall exemplarisch deutlich, weshalb etliche politische Kräfte - nicht nur im Ausland - seriöse Pressearbeit nur vordergründig begrüßen und hoch loben, während sie diese gleichzeitig zu blockieren oder zumindest auszubremsen suchen bzw. diese andernorts mit an den Haaren herbeigezogenen Begründungen mehr oder weniger offen bekämpfen.

  • Natürlich hat die Aufklärung von Corellis Telefon oberste Priorität. Und die Erkenntnisse sind jetzt schon als unwichtig zu bezeichnen, bzw. erstmal ablenken, vielleicht merkt ja keiner dass Corelli seit den 1990er Jahren damit telefonierte.