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Olympische DemokratieVolksentscheid von oben

Wegen der Olympia-Bewerbung wollen SPD, Grüne und CDU in Hamburg Volksbefragungen einführen. Der Verein „Mehr Demokratie“ sieht darin eher eine Gefahr.

De Deutsche Olympische Sportbund hat sich für Hamburg entschieden - jetzt darf ihm bloß das Volk keinen Strich durch die Rechnung machen Bild: dpa

HAMBURG taz | Der rot-grüne Hamburger Senat möchte bei einer Olympia-Bewerbung auf Nummer sicher gehen. Aus Sorge, dass die Stadt sich um die Austragung der Spiele 2024 bewirbt und die Bürger das dann später ablehnen, will der Senat sie vorher verbindlich nach ihrer Meinung fragen. Doch um eine solche Volksbefragung ansetzen zu können, muss die Verfassung geändert werden. Nun zeichnet sich ab, dass SPD, Grüne und oppositionelle CDU sich da einig werden könnten.

Kritik kommt aus der Wissenschaft und vom Verein „Mehr Demokratie“, der die schwer errungene Volksgesetzgebung in Gefahr sieht. „Die Grünen werfen ihre bisherigen demokratischen Grundsätze aus dem Rathausfenster“, sagte Manfred Brandt von „Mehr Demokratie“. „Das kann man auch Verrat nennen.“

Hamburgs Verfassung sieht derzeit auf Landesebene nur Volksentscheide vor, die von unten, also durch Volksinitiativen, initiiert werden können. Mit der Volksbefragung käme eine Art „Volksentscheid von oben“ dazu, denn die Bürgerschaft soll ihn „auf Vorschlag oder mit Zustimmung“ des Senats mit einer Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder beschließen können.

Der Rechtsanwalt Walter Scheuerl, der 2010 die rot-schwarze Schulreform in Hamburg per Volksentscheid zu Fall brachte, kritisierte, mit dieser Formulierung werden die drei Fraktionen „das Parlament zum Büttel des Senats machen“. Die Parteien hätten offenbar das Prinzip der Gewaltenteilung nicht verstanden.

Was willst du, Volk?

Der Entwurf zur Einführung von Volksbefragungen, den die Fraktionen von SPD, Grünen und CDU jetzt beraten, stößt auf Kritik:

Nur mit Zustimmung des Senats und einer Zweidrittelmehrheit kann die Bürgerschaft eine solche Volksbefragung starten.

Der Vorlauf für ein Volksbegehren von unten als Alternative ergänzend zur Volksbefragung von oben wird von vier Monaten auf 14 Tage verkürzt.

Bei Verfassungsänderungen würde sich das Quorum an nötigen Stimmen erhöhen, wenn Senat und Bürgerschaft eine Volksbefragung anstelle eines Volksentscheids durchdrückten.

Mindestens drei Jahre soll das Ergebnis einer Volksbefragung Bestand haben. Für das Ergebnis von Volksentscheiden gilt das nicht.

Als einmalige Ausnahme, etwa bei Olympia, möge eine Volksbefragung angehen, kritisierte auch der frühere Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin, Hans Meyer, bei einer Anhörung der Bürgerschaft. Doch bei mehrfacher und dauerhafter Anwendung von Referenden könnte die gegenseitige Kontrolle der Verfassungsorgane beeinträchtigt werden. Schließlich könnte dann jede Regierung im Falle des Scheiterns eines von ihr selbst zur Abstimmung gestellten Projekts sagen, sie könne nichts dafür.

Der Grüne Farid Müller sieht darin kein Problem: „Wir wollen, dass das Volk mehr abstimmt als bisher.“ Die Grünen hätten Volksbefragungen mehrfach in ihr Wahlprogramm geschrieben. Die Idee sei es, Fragen von grundsätzlicher Bedeutung dem Volk vorzulegen, wie die unter schwarz-grün gescheiterte Einführung einer Straßenbahn oder die Schulreform.

Dadurch werde das Volk mitnichten mehr zu sagen haben, kritisierte Brandt. Er gehört zu jenen, die die Hamburger Volksgesetzgebung in den vergangenen 15 Jahren in mehreren Anläufen durchgekämpft haben. Seine Hauptsorge ist, dass Volksbefragungen dazu missbraucht werden könnten, Volksinitiativen auszuhebeln. „Das Volk wird entmachtet“, warnte er.

Zwar sieht der Entwurf vor, dass laufende „Volksbegehren“ einer Volksbefragung als Gegenvorlage beigelegt werden sollen. Schwieriger wird es bei der Vorstufe – der Volksinitiative. Diese kann zum Volksbegehren mit anschließendem Volksentscheid werden, wenn ihr binnen drei Wochen 65.000 Menschen beitreten – nach vier Monaten Zeit für eine Kampagne. Der Entwurf für die Verfassungsänderung zur Volksbefragung verkürzt die Vorlaufzeit auf 14 Tage. „Sie kriegen mit einer Vorlaufzeit von 14 Tagen keine Volksbegehren organisiert“, sagte Brandt. Und ohne den Vorlauf verliere die direkte Demokratie auch ihren so wichtigen Prozesscharakter.

Der Grünen-Abgeordnete Müller erinnert daran, dass große Fragen zur Abstimmung gestellt würden, über die in der Öffentlichkeit breit diskutiert werde. Es wäre also viel leichter Stimmen zu mobilisieren, als bei einer Frage, die von einer Initiative aus dem Stand aufgebracht werde. Auch zeitlich sei der Vorlauf laut Müller wegen der Debatte de facto länger als die 14 Tage: „Hier wird nichts ausgehebelt.“

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9 Kommentare

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  • Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Zugewinn an direkter Demokratie, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als trojanisches Pferd: Es soll nämlich nicht das Referendum pur eingeführt werden, sondern erfolgreiche Referenden sollen unter Bestandsschutz gestellt werden, indem eine gegen das Referendumsergebnis gerichtete Volksinitiative auf Jahre hinaus für unzulässig erklärt wird. Im Grunde geht es dem Senat und der zur Verfassungsänderung entschlossenen Mehrheit der Bürgerschaft also nicht darum, das Volk auf der Basis umfassender und zuverlässiger Erkenntnisse und Berechnungen entscheiden zu lassen. Eine solche Basis wird es bis November 2015 nicht geben. Angesichts des parlamentarsich-exekutiv zu verantwortenden Elbphilharmonie-Desasters soll nun der Souverän, das Volk, die Verantwortung für Olympia in Hamburg übernehmen und eingelullt in die geschickt und faktenfrei erzeugte Olympiaeuphorie mit Ja stimmen – und dieses Ja auf Jahre hinaus nicht korrigieren dürfen. Ist es überzogen, ein solches Vorhaben als Putsch parlamentarischer Repräsentanten gegen die direkte Demokratie zu bezeichnen?

    • @Holger Gundlach:

      Ja, ist es. Ein Putsch wäre es, wenn die Parlamentarier (wie zu CDU-Zeiten) die direkte Demokratie in Hamburg abschaffen oder zumindest stark einschränken wollen. Bloß ändert sich an der Volksgesetzgebung Hamburgs nichts. Es kommt nur die Möglichkeit hinzu, dass Entscheidungen durch den Bürger ohne aufwendige (auch zeitlich) Volksinitiativen und -begehren zum Wähler weitergereicht werden können. Dass man das Votum des Volks anerkennt und nicht alle paar Monate neu entscheiden lässt, ist einleuchtend. Sollen wir den Rückkauf der Energienetze nun alle sechs Monate neu per Volksentscheid "entscheiden"?

  • Der Pro Ikea Bürgerentscheid vor 6 Jahren in Altona war ebenfalls von "oben" initiiert, mit Hr. Sydow als lokalem Kleingewerbetreiber. Dahinter die Koalition aus Cdu, Fdp, Grüne und Spd. Der Spdler Mark Classen ist nun Immobilienmakler und politisch weniger aktiv(?), die Grüne Boehlich im Altonaer Bezirksamt ebenso Uwe Szczesny.

    https://keinikeainaltona.wordpress.com/2012/11/15/die-altonaer-politakteure-bei-der-ikea-agenda-2010/

  • Schon allein der seltsame Umstand, dass man für eine einmalige Veranstaltung jetzt erstmal die Verfassung ändern muss, gibt Anlass zu großer Skepsis.

    Warum hat man den Bürger nicht gleich vor einer Bewerbung gefragt, ob er die Olympiade in Hamburg will? Jetzt versucht man krampfhaft den Bürger in Haftung zu nehmen für etwas, das er vermutlich nie wollte.

    • @Rainer B.:

      Weil es nicht ging. Die Bürgerschaft kann keinen Volksentscheid ans Volk übergeben. Dafür hätte sich aus dem Volk heraus eine Volksinitiative mit entsprechendem -begehren und -entscheid gründen müssen. Hat aber kein Bürger gemacht. Der "herkömmliche" Weg wär jener gewesen, wie wir ihn bei anderen Mitbewerbern sehen: Politik und Verwaltung entscheiden einfach ohne Referendum. Wenn die Hamburger mehrheitlich für die Bewerbung sind, dann "haften" sie natürlich auch, so wie bei anderen Volksentscheiden (z.B. Rekommunalisierung der Energienetze) auch. Was auch sonst?! Weniger Demokratie wagen?

      • @Verkehrsfritze:

        Andreas_2020 hat es schon zutreffend beschieben. Weder die Olympiade, noch die Abstimmung darüber sind notwendig. Nach dem letzten Wahlausgang in Hamburg wird man aber beides wohl nicht mehr verhindern können. Mehr Abstimmungen führen nicht automatisch auch zu mehr Demokratie, insbesondere dann nicht, wenn sie nachträglich inszeniert sind.

        • @Rainer B.:

          Die Masse sorgt natürlich nicht für Qualität. Das wollte ich auch nicht sagen. Und "notwendig" sind Volksentscheide sicherlich auch nicht. Es spricht bloß vieles für sie, auch wenn man persönlich sie bei einem einzigen Thema "unnötig" findet; und sei es nur, weil man ein Ergebnis vermutet, das nicht dem eigenen Wahlverhalten entspricht.

          • @Verkehrsfritze:

            Na ja, wenn man das Volk fragt, ob es Brot & Spiele will, wird die Antwort ziemlich klar 'Ja' sein. Wenn man das Volk fragt, ob es bereit ist für Brot & Spiele z.B. auf den weiteren Ausbau der Kitas verzichtet, deutlich höhere Mieten, Polizeikontrollen schon an der Haustür, weitere Kürzungen im Bildungs- , Jugendhilfe und Kulturbereich, monatelange Staus auf den Straßen und höhere Preise im Nahverkehr in Kauf nehmen will, könnte die Antwort auch anders ausfallen. Echte Volksentscheide sind letztlich nur die, die vom Volk selbst, also von unten initiiert wurden. Alles andere ist durchschaubare Rosstäuscherei und sehr entbehrlich.

  • Wahrscheinlich hat der Finanzsenator mal durchkalkulieren lassen, was überhaupt so eine Bewerbung kostet. Da fließen die Millionen dann wie Wasser den Fluß herunter. Die Stadt muss für die Olympiade auf sozialen Ausgleich, auf gute Kitas, auf eine mittelmäßig-gute Universität und auf Lohnerhöhungen bei Beamten verzichten.

     

    Das ist das Kleingedruckte, was hinter der Bewerbung steckt, was keiner lesen, keiner wissen oder kennen will. Die Olympiade ist für Hamburg grundsätzlich kaum zu finanzieren, außer man spart und das tut man gerade dort, wo es benötigt wird. Das geht nur dort, wo große Posten sind. Und das wird vor allem auf Kosten des Bildungswesens gehen. Das wird dann auf dem niedrigen Niveau verbleiben. Dazu kommt dann noch die Schuldenbremse, so dass diese Bewerbung und evetl. der Zuschlag auf jeden Fall einen Umverteilungsschub auslöst. Die Gewinne fließen ja in die privaten Taschen von Unternehmen, die Verluste muss die Stadt umlegen. Und das wird sie wohl auch tun.

     

    Nur die Parteien machen sich inzwischen in die Hose. Der Vorschlag der Parteien zeigt nun die Angst vor den Konsequenzen. Wenn die Eltern dann sehen, dass ihre Kinder aus einer vollgestopften Kita, in eine baufällige Schule mit massenhaftem Unterrichtsausfall und später dann in eine Pseudo-Universität der untersten Kategorie wechseln, dann begreifen sie, dass in Deutschland falsch besteuert wird und ihre Landesregierung sich Schuhe anziehen musste, die viel zu groß waren. Die Olympiade ist zuden absolut keine Notwendigkeit, es ist ein durchgeknalltes Sahnehäubchen, ein Stück hanseatischer Eitelkeit.

     

    Deswegen brauchen sie ja die Extra-Absicherung. Nur zur Erinnerung: Die Regierung wurde gerade gebildet, sie hat die Mehrheit. Sie ist berechtigt, alles zu machen, auch alles in den Sand zu setzen - das Ganze ist nicht notwendig, weder die Olympiade, noch die Abstimmung darüber.