Nähe und Distanz im Sportjournalismus: Angsthasen auf der Pressetribüne
Bei kritischen Berichten nehmen die Vereine der Fußball-Bundesliga vermehrt Einfluss auf die Redaktionen – und kommen damit auch noch durch.
Wer einen Text lesen will, der nach Ansicht einer hochwürdigen Berliner Anwaltskanzlei im Sportjournalismus „seinesgleichen sucht“, weil er reichlich „übergriffige“ Äußerungen enthalte, sollte schnell ein großes Tagesspiegel-Porträt über den Hertha-Manager Michael Preetz lesen.
Einige vermeintlich „übergriffige“ Passagen des Anfang März erschienenen Beitrags sind nämlich Anlass für eine rechtliche Auseinandersetzung. Den von Preetz in Marsch gesetzten Advokaten missfällt unter anderem, dass dort beschrieben ist, wie es ihrem Mandanten im Jahr 2012 ging, vor dem letzten Abstieg aus der Bundesliga: „Das Zuhause war für Preetz kein Rückzugsort mehr, weil er keinen Abstand gewinnen konnte, sondern nachts wach lag und über Schuld und Schicksal grübelte.“
Über Schuld und Schicksal zu grübeln, ist nicht ehrenrührig, trotzdem hat Lorenz Maroldt, Chefredakteur des Tagesspiegels, auf seinem Schreibtisch zahlreiche Briefe liegen, die mit diesem Text zu tun haben. In einem Newsletter und bei Twitter hat Maroldt zuletzt immer wieder aus den zahlreichen anwaltlichen Schreiben zitiert. Außerdem hat er Preetz launig einen „Gegendarstellungsvorschlag“ gemacht, der die Absurdität der Auseinandersetzung auf den Punkt bringt: „Mein Gesicht ist weder dürr noch in den letzten Jahren dramatisch gealtert.“
Die Schreiben, die die Juristen der Zeitung schickten, sind einerseits Teil der üblichen Drohfolklore, andererseits bringen sie vor allem Empörung darüber zum Ausdruck, dass es Journalisten gibt, die noch nicht ergriffen sind von der Wir-sitzen-alle-in-einem-Boot-Mentalität, die man der Berichterstattung über Fußball oft anmerkt.
Kritik ist im kumpeligen Milieu nicht üblich
Armin Lehmann beschreibt in seinem Preetz-Porträt unter Rückgriff auf namentlich nicht genannte Insider sehr detailliert, warum er Preetz als Hertha-Manager für ungeeignet hält. Dass Journalisten Führungskräfte der Profiklubs so hart angehen, ist in dem kumpeligen Milieu nicht üblich. Es ist allerdings auch nicht üblich, dass Medien standhaft bleiben, wenn sie Gegenwind aus der Fußballbranche spüren.
Kürzlich berichtete die taz darüber, dass das ZDF einen auf der Website des Senders erschienenen Text eines freien Mitarbeiters gelöscht hatte, ohne vorher mit ihm Rücksprache zu halten. In dem Beitrag kritisiert der Leipziger Sportjournalist Ullrich Kroemer, wie der Drittligist Dynamo Dresden mit gewalttätigen Fans umgeht. Auch zahlreiche andere Medien griffen den Fall auf, etwa Zeit Online und die Mitteldeutsche Zeitung.
Eine Rolle in dieser Sache spielte unter anderem Dynamos Geschäftsführer Robert Schäfer, der sich bei ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz über den Text beschwerte. Wobei der Sendermanager betont, dass man den Beitrag aus „redaktionellen Gründen“ bereits vor dem Anruf des Vereinsvertreters aus dem Netz genommen habe.
Um einen Klub, der – wenigstens noch – in der Bundesliga spielt, ging es in einem Fall, in dem der NDR kein gutes Bild abgibt: Der freie Mitarbeiter Oliver Weiße hatte am 8. März in einem Beitrag für ndr.de über einen Konflikt zwischen Fans von Hannover 96 und Martin Kind, dem autokratischen Präsidenten des Klubs, geschrieben. Dabei ließ er auch die Organisation Rote Kurve zu Wort kommen.
Es geht um die Rolle der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ), die nach Ansicht der Fanvertreter bei der Stabilisierung der Macht Kinds eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielt – unter anderem, indem sie die Auseinandersetzung auf ein „Ultra-Problem“ reduziere. Weiße referiert die Position der Interessenvertreter folgendermaßen: „Es gebe viel mehr Anhänger, die Kind und das Verhalten gegenüber den Fans kritisch sehen, sagt der Rote-Kurve-Sprecher. Die Berichterstattung darüber in der HAZ greife auch deshalb zu kurz. Man könne von Meinungsmache im Sinne des Präsidenten reden.“
Ein bereits veröffentlichter Beitrag wird nochmal überarbeitet
Dies ausführlich zu zitieren, bietet sich an, denn am nächsten Tag war der Beitrag zwischenzeitlich nicht abrufbar – ehe der NDR eine stark gekürzte Fassung online stellte, in der eben jene medienkritischen Äußerungen der Fans fehlten. Die geglättete Version war mit der Anmerkung versehen, der NDR habe „sich aus journalistischen Gründen entschieden, diesen Artikel zu überarbeiten und zu kürzen“. Da Redaktionen so etwas normalerweise tun, bevor sie einen Beitrag veröffentlichen, wirkt dieser Hinweis nicht sehr schlüssig.
Auf Anfrage sagt NDR-Sprecher Ralf Pleßmann, in der Ursprungsversion seien „Berichterstattung und Kommentar vermischt“ worden. Das entspreche „nicht den Qualitätsstandards, die wir als öffentlich-rechtlicher Rundfunk an unsere Berichterstattung in Hörfunk, Fernsehen und auch online stellen“.
Werden sich nun viele verdiente NDR-Journalisten, die in den vergangenen Jahrzehnten Berichterstattung und Kommentar vermischt haben, fragen, ob sie was falsch gemacht haben?
Marcus Bensmann, der Redaktionsleiter von ndr.de, erwähnt in einem Facebook-Kommentar bei der Roten Kurve sogar, der Beitrag sei teilweise „einfach nicht sauber recherchiert und argumentiert“ gewesen. Wie stichhaltig die Argumentation ist, kann jedermann überprüfen, weil die Fangruppierung die erste Fassung von Weißes Beitrag bei Facebook konserviert hat.
Abgesehen davon: Wenn eine Redaktion einen Text veröffentlicht, muss sie auch für die – vermeintlichen – Fehler die Verantwortung übernehmen. Dass ein ranghoher Redakteur nach unten nachtritt, ist, vorsichtig formuliert, kein guter Stil.
Medien mobilisieren gegen den Abstiegskampf
Manche Fußballvereine scheinen die Medien in einer ähnlichen Rolle zu sehen wie in einer Mittelstadt der Gewerbetreibende, der erwartet, dass die Lokalzeitung einen euphorischen Text über die Neueröffnung seines Ladens bringt. Das Verhalten der Hertha-Anwälte gegenüber dem Tagesspiegel und von Dynamo Dresden gegenüber dem ZDF sprechen dafür.
Natürlich haben Verlage und Sender selbst viel dazu beigetragen, dass es so gekommen ist. In Stuttgart hatten örtliche Medien in der vergangenen Saison zwecks Unterstützung des VfB im Abstiegskampf eine sogenannte Initiative unter dem Motto „Jetzt weiß-rot!“ ausgerufen. Unter anderem animierte man Bürger dazu, an einem Tag am Arbeitsplatz oder in der Schule Klamotten in der entsprechenden Farbkombination zu tragen.
Die Stuttgarter Zeitung, eines der beteiligten Medien, schrieb damals: „Unberührt davon bleibt die jeweilige Berichterstattung über den Verein, die weiterhin kritisch-neutral sein und die nötige journalistische Distanz haben muss.“ Selten so gelacht. Wenn sich ein Verein ausnahmsweise mal relativ breiten Angriffen ausgesetzt sieht, gibt es immer noch Journalisten, die meinen, ihre Unterwürfigkeit unter Beweis stellen zu müssen.
Es geht nicht um Transfers, sondern um Weltpolitik
So war es vor ein paar Wochen, als der FC Bayern in der Kritik stand, weil er trotz massiver Menschenrechtsverletzungen in Katar und Saudi-Arabien diese Länder für ein Trainingslager respektive ein Freundschaftsspiel auserkoren hatte. Julien Wolff, Redakteur der Welt, ließ dazu in einem Artikel für seine Zeitung ausführlichst Karl-Heinz Rummenigge, den Vorstandsvorsitzenden des FC Bayern, zu Wort kommen. Dieser sah laut Wolff „all den öffentlichen Wirbel um seinen Verein zu Beginn des neuen Jahres vor allem in dem Mangel an Geschehnissen im Weltfußball begründet. ’Die Öffentlichkeit muss sich mit irgendwas beschäftigen, wenn nicht gespielt wird. Das ist im Fußball normal. In dieser Winterpause gab es wenige Transfers.‘ “
Über Menschenrechte und andere „Irgendwas“-Themen wird nur geredet, weil zu wenige Spieler die Vereine wechseln? Ohne andere journalistische Ressorts überhöhen zu wollen: Wäre es unkommentiert geblieben, wenn jenseits des Sports der Vorstandsvorsitzende eines Unternehmens, das einen vergleichbar hohen Umsatz macht wie die FC Bayern AG (528,7 Millionen Euro in der Saison 2013/2014), ein derart törichtes Statement von sich gegeben hätte?
Man kann die Entwicklung des Fußballjournalismus auch in einem größeren Kontext sehen: Die Vereine und Verbände sind in mancherlei Hinsicht nicht mehr angewiesen auf Journalisten, sie berichten selbst in ihren eigenen Kanälen – Club-TV, Profile bei Facebook und Twitter.
Das Wohlverhalten etablierter Medien gegenüber dem Fußballbetrieb lässt sich auch als Angst vor einem weiteren Bedeutungsverlust interpretieren. Ob sich Leser und Nutzer von Angsthasenjournalismus überzeugen lassen, ist allerdings fraglich.
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