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Kommentar Besetzte SchuleAm Rand der Katastrophe

Daniél Kretschmar
Kommentar von Daniél Kretschmar

Die Flüchtlinge in der Kreuzberger Schule sind lästig für die Berliner Landespolitik. Das wirkliche Problem jedoch ist ein viel existenzielleres.

Auf dem Dach der Schule am Donnerstag. Bild: dpa

E s war Donnerstag, der dritte Tag des Großeinsatzes in Kreuzberg, als eine Anwohnerin der Ohlauer Straße im Gespräch meinte, dass sie sich hier zwischen den Protestierenden gewiss keine Freunde machen würde, aber sie fände es schlimm, dass dort ein gesetzloser Raum entstanden sei. Mit „dort“ meinte sie natürlich die besetzte Schule und nicht das polizeiliche Absperrgitter neben dem sie stand.

Dabei befindet sich die Grenze zwischen Rechtsstaat und Willkür genau an diesem Gitter, das sich um zwei Blocks in Berlin Kreuzberg zieht. Die Ohlauer Straße ist normalerweise eine viel befahrene Verbindung zwischen Kreuzberg und Neukölln, der Kiez zwischen Reichenberger und Wiener Straße ist ein belebtes Viertel, mit Geschäften, Kneipen, Schwimmhalle, Werkstätten und Arztpraxen. Wer dort jetzt hinein darf entscheiden – Polizeibeamte.

Je nach Tageszeit und -form der Beamten sind die Einreiseformalitäten eher kurz und knapp oder mit ausführlicher Überprüfung verbunden. Pressevertretern wird seit Tagen der Zugang zur besetzten Schule gänzlich verwehrt und in die Sperrzone erheblich erschwert. Umstandslos endet an dem Absperrgitter das Leben nach gewohnten Normen. Es beginnt ein Raum, in dem Sheriffs in Kampfanzügen das Gesetz sind – viel rechtsfreier geht es kaum.

Dass diese Situation ausgerechnet im grün regierten Kreuzberg entstanden ist, dürfte Frank Henkel, dem CDU-Innensenator der Stadt, ein Lächeln ins Gesicht treiben. Die unwürdigen Versuche der beteiligten PolitikerInnen in Bezirk und Land, sich gegenseitig die Verantwortung für das Desaster und seine Lösung zuzuschieben, bestätigt nur, dass es schon lange nicht mehr um die Flüchtlinge geht, sondern nur noch darum, wer den größten politischen Schaden aus der Ohlauer Straße davonträgt.

Zwangsläufiges Scheitern

Seit mehr als anderthalb Jahren sind sie der Stachel im Fleisch der Berliner Landespolitik: Jene Flüchtlinge die im öffentlichen Raum mit allen ihnen zur Verfügung stehenden friedlichen Mitteln ihr Recht auf ein menschenwürdiges Leben einklagen. Alle Versuche, das Problem ordnungspolitisch aus der Welt zu schaffen, sind bislang gescheitert.

Dieses Scheitern wird sich zwangsläufig fortsetzen. Auf dem Pariser Platz, dem Oranienplatz und nun in der Schule in der Ohlauer Straße haben die BerufspolitikerInnen es nämlich mit Menschen zu tun bekommen, denen mit den gewohnten Techniken politischer und polizeilicher Steuerung einfach nicht beizukommen ist.

Bis heute scheint es bei den Verantwortlichen nicht angekommen zu sein, dass diese Flüchtlinge für ihren Protest keine Exit-Strategie haben. Das sind keine Bürgerkinder, die am 1. Mai ein wenig über die Stränge schlagen, am nächsten Tag aber wieder brav sind. Das ist keine lokale Initiative, die ein paar Bäume pflanzen will, aber auch ein paar Bäume weniger nimmt. Es geht den Flüchtlingen nicht darum, in Hinterzimmern einen gesichtswahrenden Deal auszuhandeln. Mehr als deutlich haben sie gemacht, dass es ihnen um das nackte Überleben geht. Solche Leute lassen sich nicht unbedingt von einer Hundertschaft Bereitschaftspolizei einschüchtern oder mit ein paar Almosen abspeisen.

„Ihr habt keine Macht“

Ob man einer grün geführten Bezirksregierung nun mehr menschliche Empathie für die Belange der Flüchtlinge zutrauen soll, sei dahingestellt. Dass die politische Vernunft aber nicht einmal so weit reicht, sich nicht in eine Situation zu manövrieren, in der ein ganzer Kiez in den Belagerungszustand versetzt wird und der Innensenator sich bitten lassen kann, zur Hilfe zu eilen, überrascht dann doch.

In einem Statement am Samstag sagten die Besetzer der Schule über die Polizisten und damit deren Dienstherren in Bezirk und Land: „You have no power. You have nothing in your hands besides your guns“ - „Ihr habt keine Macht. Ihr habt nichts in euren Händen, außer euren Waffen“.

Das stimmt, denn die Macht, über Monate die öffentliche Wahrnehmung für die existenzielle Verzweiflung der Flüchtlinge zu schärfen, liegt bis heute allein bei ihnen selbst und sie nutzen sie bei aller Heterogenität der Gruppe entschlossen und gemeinsam. Das wirklich Tragische jedoch ist, dass die Flüchtlinge ihrerseits nicht viel mehr in den Händen halten als ihr Leben. Solange aber Bezirk und vor allem der Senat das nicht angemessen in Rechnung stellen, ist die Situation nicht einfach nur verfahren, sondern bewegt sich gefährlich nah am Rande einer Katastrophe.

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Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
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25 Kommentare

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  • 7G
    738 (Profil gelöscht)

    Der Berliner Senat und die Stadtteilverwaltung haben sich erpressbar gemacht. Wäre man von Anfang an konsequent gegen illegale Zeltlager und Besetzungen vorgegangen, müsste man jetzt nicht mit Erpressern verhandeln. Hoffentlich haben die Berliner daraus gelernt.

    • @738 (Profil gelöscht):

      just vor the record:

      x-berg/f-hain übt das aus, was das GG kommunale selbstverwaltung nennt.

      dazu gehören auch beschlüsse wie der in http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/bvv-online/vo020.asp?VOLFDNR=5702&options=4 dokumentierte.

      • @christine rölke-sommer:

        Das klingt doch sehr nach fortgesetzter Arbeitsverweigerung des Berliner Senats. Offensichtlich wartet man dort nur darauf, dass andere das Problem schon irgendwie lösen werden. In Hamburg das gleiche Bild, ebenfalls mit einem SPD-Bürgermeister an der Spitze. Bösartige Strategie, oder "nur" Unfähigkeit?

        • @Rainer B.:

          nu ja, auch die gute alte tante spd muß ab+an zum jagen getragen werden.

          lieber schlepp ich allerdings die zum 23 als weiter beim klammheimlichen putsch des koofmich von der cdu zuzugucken.

          • @christine rölke-sommer:

            Manche Unterscheidungen haben sich wohl längst erledigt und sind nur noch Marotte.

  • Für mich ein sehr informativer Artikel. Die Situation wird gut geschildert, die Hintergründe und die Optionen sind klar herausgearbeitet. Super! Weiter so!

  • Nein, in Berlin sollte man über das in Berlin oder im Bezirk mögliche nachdenken. Denn sie bieten ihnen an, sie in guten Betten schlafen zu lassen, ihnen warmes Wasser zum Duschen und Zähne putzen zu geben und sie gut zu essen zu lassen. Dann werden sie sie erfassen, registrieren, klassifizieren und viele von ihnen abschieben. Das kann nur verhindert werden, wenn sie weiterhin einen Raum haben, um politisch aktiv sein zu können und notfalls weiter in der Illegalität zu leben. Ihnen diesen Raum irgendwo im Kreuzberg/Friedrichshain zur Verfügung zu stellen, müsste ein erklärtes Ziel der Berliner Grünen und der Berliner Linken sein. Dafür sollten sie öffentlich eintreten. Nur dann können die Flüchtlinge Stachel in unserem Fleisch bleiben.

  • Guter tazwürdiger Kommentar.Sollte man nicht auch mal über eine Entschärfung des Asylrechts nachdenken

    damit so etwas erst gar nicht passiert.

  • Ein schändlicher Kommentar. Nicht das Beschwören eines unvermeidlichen Untergangs, sondern Mäßigung und Abrüstung sind Gebot der Stunde. Die Verherrlichung des Kampfes bis zur letzten Patrone oder dem Einsatz des als letztem Verbliebenem – dem nackten Leben – fällt leicht, wenn man im Führungsbunker oder der Redaktionsstube sitzt. Wie gut kennt der Autor das Schicksal der in der Schule Verbliebenen, um beurteilen zu können, ob Wiederaufnahme der Verfahrung, Duldung oder Abtauchen in die Illegalität nicht einem schrecklichen Ende vorzuziehen sind? Was weiß er darüber, wie die Exit-Strategien der Flüchtlinge gebildet wurden?

    Jetzt geht es um Abrüstung und geordneten Rückzug. Vom Senat kann man nicht viel erwarten. Bezirk und Polizei müssen sich mäßigen. Das folkloristische Politevent rund um die Schule muss heruntergefahren werden. Die Flüchtlinge und „Unterstützer“ müssen für einen Moment den heroischen Pathos beiseite lassen und an das Machbare denken.

  • Vielleicht tun solche Artikel das Ihre in puncto Solidarisierung etc., ganz gleich, ob sie wirklich ziemlich naiv sind oder sich nur naiv stellen. Zur Aufklärerung tragen sie wenig bei.

  • Zum einen wird nun mir klar, wie viel Macht man als Bundesbürger schon der Polizei in die Hände gegeben hat.

    Anstatt eben vor der Schule, in dem Radius, wo tatsächlich was passieren könnte, ein paar Posten aufzustellen, die den Menschen, die da vorbeikommen über angebliche Gefährdungen zu informieren, wird ein ganzes Viertel gesperrt. Als ob ich als Bürger nicht selber entscheiden könnte, welcher Gefahr ich mich aussetzen will.

     

    Zum anderen sollten allmählich Rentner, Kranke und Behinderte, die langsam, aber sicher in dieser BRD auch nicht viel mehr zu verlieren haben als ihr Leben, aus den Protesten ihre Lehren ziehen.

  • Das Signal eines Erfolges (§23) wird von der Staatsgewalt sicher zu sehr gefürchtet, weil es zu einer sprunghaften Ausweitung von Geflüchtetenprotesten führen könnte. Die oberste Gewalt tut alles zu ihrer Aufrechterhaltung, und der Kampf der Geflüchteten stellt das ganze Gesellschaftsystem (politisches Regime und Produktionsregime) in Frage, auf der diese Gewalt sich gründet. Eine Ausnahme im permanenten Ausnahmezustand wird deshalb nicht leicht zu erreichen sein, selbst wenn sie rein rechtlich greifbar scheinen mag.

    • @jan r:

      Nun heißt es, Ströbele halte eine Verhandlungslösung für möglich. Vielleicht wusste der CvD schon mehr als ich? :-)

      • @jan r:

        Ströbele überbrachte als reitender bote des bezirks die botschaft, dass der bezirk von der weiteren durchführung des polizeilich begleiteten umzugs der verbliebenen abstand nimmt. diese also bleiben können.

        und über das aufenthalts/asyl/flüchtlingsrechtliche tohuwabohu muß geredet werden.

        die kardinalfrage ist also im moment: wer bewegt wie das polizeiaufgebot zum abzug? schließlich braucht der bezirk für den umzug keine amtshilfe mehr, alldieweil der weitere umzug ja ausfällt.

        und da wird es wieder politisch.....

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    Es tut der deutschen Michel-Gesellschaft, diesem seit jeher obrigkeitszentrierten sozialen Gebilde voller unterwürfiger Klein- und Spießbürgerlichkeit, nur gut, wenn Leute aus fernen Ländern hierherkommen, die uns zeigen, daß es auch noch Menschen gibt, die für ihre Sache kämpfen und sich nicht einfach von Staat und Behörden unterbuttern und schweigen machen lassen wollen.