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ERT und Griechenlands DemokratieAthen erlebt Tage des Zorns

Das Ende des staatlichen Senders ERT führt zu Protesten und zu einer Regierungskrise. Die Demonstranten sehen die Demokratie in Gefahr.

Aus Solidarität mit den Besetzern geben Musiker ein Konzert auf dem Sendergelände. Bild: dpa

„Es geht nicht um ERT, es geht um die Demokratie.“ Dieser Satz, der in der Nacht vom 11. auf den 12. Juni in Athen auf dem spontan und bis heute besetzten Gelände des staatlichen Rundfunksenders ERT die Runde machte, zeigt die ganze Tragweite der Auseinandersetzung, die Griechenland derzeit erlebt.

Er erklärt, warum Ministerpräsident Antonis Samaras von der Nea Dimokratia (ND) künftig nur noch mit einem dünnen Stimmenvorsprung regieren kann, nachdem am Freitag die demokratische Linke, der kleinste Partner in der Dreiparteienkoalition, die Regierung verließ. Samaras hatte die Partei sowie die Sozialisten von der Pasok nicht über seinen Alleingang in Sachen ERT informiert.

Der Satz erklärt aber vor allem, dass für viele Griechen ein Punkt erreicht ist, der zu einem kollektiven Aufschrei des „Es reicht!“ führte, der auch zur Zeit in Istanbul und Rio zu hören ist. ERT ist für die Athener, die nach der Schließung zu Tausenden zum Sender strömten, zu einem Symbol geworden – für den Abbau der Demokratie, für die Heuchelei der Politiker, für den Ausverkauf des Landes.

Klientelismus und überhöhte Gehälter

„Sie entsorgen die Demokratie. In Griechenland wird alles, was öffentliches Eigentum war, verkauft oder zugrunde gewirtschaftet. Das Wasser, die Häfen, das Gesundheitssystem. Die Oligarchen Griechenlands profitieren davon. Und in den Privatsendern der Oligarchen sollen wir uns künftig informieren, weil sie den staatlichen Rundfunk zugrunde richten“, sagt der 49-jährige Demonstrant Mario in der ersten Nacht der Besetzung.

Viel Wahres ist gesagt worden über Klientelismus und überhöhte Gehälter für unqualifizierte Regierungsgünstlinge bei ERT. Doch als Regierungssprecher Simos Kedikoglou bei seinem Statement zur ERT-Schließung an diese kollektiv im Gedächtnis verankerten Wahrheiten appelliert, verfängt das nicht. Das Narrativ ist längst ein anderes.

Das hat viele Gründe: Kedikoglou selbst ist einer derjenigen, der in der Vergangenheit seine Leute in den Sender pressen wollte. Und bei ERT wurden seit 2010, seit Griechenland unter Troika-Kontrolle steht, Gehälter drastisch gekürzt und rund 1.500 Stellen abgebaut.

Zudem sollen die Mitglieder des künftigen Aufsichtsrats, einer personell abgespeckten, neuen Rundfunkanstalt, per Beschluss des zuständigen Ministers ernannt werden. Dies wurde bald nach der ERT-Schließung bekannt. Das ist nicht der demokratische, unabhängige Rundfunk, den die Regierung angeblich schaffen will, für den aber die Besetzer streiten.

Der Druck der Troika

„Griechenland ist das Laboratorium für den postdemokratischen Umbau Europas, er geht mit der Austeritätspolitik Hand in Hand“, sagt der politische Basisaktivist Christos Giovanopoulos. Weil Samaras die Unpopularität der Senderschließung vielleicht ahnte, aber die Troika Druck macht, dass bis Ende 2013 4.000 Staatdiener entlassen werden, löste er ERT per Noterlass am Parlament vorbei auf.

„Es ist ein sozialer Krieg gegen die Bevölkerung, den wir erleben“, sagt der 25-jährige Student und Besetzer George Muketis dazu in einer der Nächte auf dem Rundfunkgelände, während Tausende um ihn herum einen modernisierten Widerstandsslogan aus der Zeit der griechischen Militärdiktatur (1967 bis 1974) rufen: „Brot, Bildung, Freiheit – die Zeit der Junta ist noch nicht vorbei.“

Auch bei Katerina Daskalas blitzen in diesen Tagen die Erinnerungen an die Juntajahre auf, als der Ministerpräsident wenige Tage nach der ERT-Schließung vor jubelnden Nea-Dimokratia-Anhängern spricht. „Samaras beschwört Bürgerkriegsstimmung herauf“, sagt die 70-Jährige, während sie hört, wie Samaras das Ende der Gewerkschaften beschwört. Ihre Zeit sei abgelaufen, so Samaras.

Der Konservative, dem viele nachsagen, er wolle künftig mit einem „gemäßigten“ Flügel der neofaschistischen Partei Goldene Morgenröte koalieren, illustriert, was die theoretische Debatte über den Umbau Europas unter den Spardiktaten beschreibt: Regiert wird nicht mehr mit größtmöglichem gesellschaftlichen Konsens, regiert wird mit Zwang.

Das oberste Verwaltungsgericht ignoriert

Dafür sind viele Mittel recht. So ignoriert die Regierung seit Tagen den Beschluss des obersten Verwaltungsgerichts, ERT müsse sofort wieder ans Netz gehen. Richter Konstantinos Menoudakos musste schließlich sogar erklären, die Pressemitteilung zum ERT-Urteil, die der Regierung weitreichende Kompetenzen bei der Senderumgestaltung zugestand, stamme entgegen des allgemeinen Eindrucks nicht von ihm.

Wenige Tage zuvor hatte sich George Mouroutis, Chef von Samaras Pressestab, per Twitter an den Athener Bürgermeister gewandt und beschwert, dass dieser es dem Linksparteibündnis Syriza erlaube, mit Plakaten für eine Kundgebung zu mobilisieren. Mouroutis ist Teil des sogenannten „Wahrheitsteams“, dass laut borderlinereports.net mit gezielten Meinungsmanipulationen den öffentlichen Diskurs im Land zu verschieben versucht.

„Die Menschen in Europa sollten nicht nur auf die wachsende Zustimmung für die neofaschistische Bewegung Goldene Morgenröte starren. Die Politik der Troika und der Regierung Merkel, die den Druck an Samaras weitergeben, führen dazu, dass der Staat autoritär umgebaut wird. Erst darauf gedeiht der Neofaschismus“, sagt Christos Giovanopoulos. Oder wie die Athener eben sagen: „Es geht nicht um ERT, es geht um die Demokratie.“

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7 Kommentare

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  • S
    Severin

    @alle:

     

    Nachdenken in größeren Zusammenhängen statt Vorurteile verbreiten.

     

    1. Die "Griechen" sind und waren nicht faul. Die meisten arbeiteten hart, bis sie ihre Jobs verloren. Außerdem: an den Krediten fürs angebliche "auf Pump" leben verdienten maßgeblich deutsche Banken, die nun alles tun, um ihre selbst verursachten Verluste (wer gibt schon einem Faulpelz einen Kredit?!) nicht abschreiben zu müssen.

     

    2. Die "Griechen" haben nicht Gelder "verzockt". Sondern eine Clique aus Bankern, Olligarchen und deren politischer Günstlinge hat das aus Egoismzs und Gier getan. Diese müssten die Zeche zahlen, verdienen aber statt dessen noch am sogenannten "Sparpaket" der Regierung, während der "kleine Mann" mal wieder die Suppe auslöffeln muss. Was wieder mal zeigt: der Markt funktioniert nur, wenn er deutlich von einem starken Staat, der regulierend eingreift, getrennt ist.

     

    3. Was heute in Griechenland, in Portugal, in vielen anderen Ländern passiert, die viel WENIGER "Schulden" als die BRD haben, wird auch in Deutschland passieren, wenn es nicht beizeiten gestoppt wird. Es geht einzig und allein darum, dem privaten Kapital, dass im Spekulations-Lotte massive Verluste erlitten hat (z.B. in den USA Immobilien-Krise) neue "Anlagemöglichkeiten" zu verschaffen.

     

    5. Wer statt Mitgefühl mit dem "kleinen Mann" zu haben, dem einfach mal die Gehälter und Renten um bis zu 50% gekürzt werden, weil ANDERE Schulden gemacht haben, auf diese noch schimpft, sollte zu ALG II mitsamt Extrem-Schikane beim Amt verdonnert werden. Danach sieht er die Dinge mit anderen Augen.

     

    6. Unabhängig von der Wirtschaftslage und "notwendigen" Reformen (von denen in der Tat viele nötig sind): in Griechenland geht es nicht darum, einen funktionierenden Staat im Interesse der Mehrheit zu schaffen, sondern dem oberen 1% soviel Geld wie möglich zuzuschanzen und den Staat so umzubauen, dass das auch zukünftig so weitergeht. Das ist Neoliberalismus in letzter Konsequenz nämlich: die Diktatur des 1% über die 99%. NWO läßt grüßen.

  • H
    Hans

    @Kassandra:

    Wie deine Namensvetterin ist dein Geschrei vom Untergang vielleicht auch nur übertriebenes Trollen.

     

    Ja, Griechenland wurde von den europäischen Technokraten und den hinter ihnen agierenden Wirtschafstakteuren in ein Entwicklugsland verwandelt und entdemokratisiert. Doch Griechenland ist noch nicht am Ende. Das Volk muss nur seinen Willen zurück erlangen, die erzeugte Wirtschaftsflucht muss aufhören und das Volk sich solidarisieren (mit Ausnahme der Faschisten). Und dann mal mit dem Schuh auf den Tisch hauen und der EU die Meinung sagen, statt immer nur zu kuschen. Man schaue sich Island an, was die in der Krise gemacht haben und wie schnell die sich erholt haben.

     

    @Lord Schwester:

    Sie verstehen leider das System nicht. Es haben wie bei uns einige wenige profitiert. Und die haben sich schon längst abgesetzt oder profitieren erneut vom Verkauf öffentlichen Eigentums an ausländische Konzerne.

     

    Der Zorn ist der Zorn derjenigen, die nichts falsch und nichts richtig gemacht haben, die einfach nur im System gelebt haben und jetzt die Quittung kriegen.

     

    Aber keine Sorge, das kann uns auch noch passieren, und dann freue ich mich darauf, dass Sie Kommentare lesen, die sagen, dass Sie es verdient haben, weil Sie es sich in Deutschland haben gut gehen lassen.

  • F
    Filz

    In Deutschland haben wir leider keine Politiker, die sich kritisch mit unserem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auseinandersetzen. Unsere Politiker bedienen sich bei Bedarf vom diesem Loch und finden dort eine sehr gut bezahlte Ruhestätte, wenn sie politisch abgehalftert sind. Hier werden jedes Jahr 8 Milliarden Euro Zwangsgebühr für jeden Mist des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausgegeben. Dieser Mist müsste schon längst privatisiert werden. Es geht nicht um Demokratie, sondern um Filz, hüben wie drüben.

  • KK
    @ Kassandra:

    Da ist was dran. Als nächstes kommt dann Portugal, Italien, Frankreich und irgendwann auch mal Deutschland dran.

    Die Mittelschicht hierzulande bröckelt ja auch langsam ab und die fettesten Beamten sahnen in Berlin und vor allem Brüssel ab. Mit Exportweltmeisterei ist bald auch nix mehr, weil die potentiellen Kunden keinen Cent mehr in der Tasche haben.

    Solange die Regierung Politik zur Vermehrung und Sicherung des Kapitals der oberen 10% macht, geht die Entwicklung zwangsläufig in Richtung abwärts (zumindestens für den Großteil der Bevölkerung).

    Das mit der Militärregierung bzw. Übernahme der Macht durch Faschisten hatten wir auch schon mal. Da haben sich in Deutschland und Griechenland nur "linke Spinner" gegen gewehrt.

  • LS
    Lord Schwester

    Jahrelang haben fast alle Griechen bei dem Riesenbetrug ihrer Regierung an den anderen Bürgern der EU mit abkassiert.

     

    Und nun spielen sie die Entrechteten und Zornigen, weil sie ihre Schulden nicht zurückzahlen können. Der Mensch neigt allgemein zur Selbstgerechtigkeit, aber eine solche neurotischen Art der totalen Realitätsverweigerung eines ganzen Volkes ist selten und man nennt das "kollektiven Wahnsinn".

  • K
    Kassandra

    Griechenland ist erledigt!

     

    Denn Griechenland hat keine Mittelschicht, nur verfettete Beamte, linke Spinner und Reiche, die sich längst abgesetzt haben...

     

    Was helfen könnte, wäre ein Militärputsch, zumal Griechenlands Armee mit korrupten Euros kürzlich modernisiert wurde...

     

    Proteste in Griechenland, dem Entwicklungsland sind völlig sinnlos!

  • C
    Cometh

    Es gibt ein völlig untrügliches Anzeichen, dass es um Gruppenegoimus, Besitzstände, Posten und Pöstchen geht, nämlich dann, wenn es "um die Demokratie geht".

     

    Das war bei uns bei der sinnvollen Begrenzung des Asylmissbrauchs, den Hartz-Reformen, das Vw-Gesetz und anderen Dingen so; es ging immer "um die Demokratie" und es flatterten die roten Fahnen.

     

    Dieser Sender ist, nach allem was man weiss, ein reiner Sumpf, völlig reformunfähig.

     

    Die Demos heißen also übersetzt: Wir haben keinen Bock auf Reformen, denn es gibt sicher Dumme, die wir ausbeuten können. Ein Glück, dass die weit weg sind, sonst würden die in Berlin auf irgendeinem Platz mit warmen Worten der Kirchen campieren.