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Parteitag beschließt WahlkampflinieGrüne wollen Sozialhelden werden

Die Grünen wollen tiefgreifende Sozialreformen: mehr Geld für Hartz-IV-Empfänger ein Mindestlohn von 8,50 Euro, ein höherer Spitzensteuersatz und eine Bürgerversicherung für Gesundheit und Pflege.

Sie wollen solidarisch allen Liebe schenken: Das grüne Spitzenduo Göring-Eckardt und Trittin Bild: dapd

HANNOVER dapd | Die Grünen ziehen mit der Forderung nach tiefgreifenden Sozialreformen in den Bundestagswahlkampf 2013. Der Parteitag in Hannover hat dazu am Samstag einen Leitantrag beschlossen, in dem ein flächendeckender, gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro und die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze von 374 auf 420 Euro verlangt wird. Zudem soll es den Jobcentern bis auf weiteres verboten werden, Arbeitslosen die Hartz-Bezüge zu kürzen.

Die gut 700 Delegierten beschlossen die Forderungen mit großer Mehrheit. Der Parteitag steht unter dem Motto „Zusammen hält besser“. Er soll den Startschuss für den Bundestagswahlkampf bilden.

Zur Begründung des „Sanktions-Moratoriums“ für Hartz-IV-Bezieher hieß es, die Arbeitsvermittlung der Jobcenter müsse künftig auf Vertrauen, Hilfe und Anerkennung basieren, nicht auf „Bestrafung und Demütigung“. Langzeitarbeitslose müssen zum Beispiel mit Leistungskürzungen rechnen, wenn sie eine zumutbare Arbeit ablehnen, eine vom Jobcenter bezahlte Aus- oder Fortbildung ohne triftigen Grund abbrechen oder mehrfach Termine mit ihrem Vermittler platzen lassen.

Das aktuelle System der Sanktionen folgt dem Grundsatz des „Förderns und Forderns“, das die Grünen selbst vor zehn Jahren in der rot-grünen Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) mit beschlossen haben.

Mehr Erbschaftssteuer

Weiter fordern die Grünen, den Spitzensatz der Einkommensteuer von 42 auf 49 Prozent zu erhöhen. Reiche sollen befristet eine Vermögensabgabe zahlen, und das Aufkommen der Erbschaftsteuer soll verdoppelt werden. Kapitalerträge wollen die Grünen künftig nicht mehr mit der 25-prozentigen Abgeltungsteuer belegen, sondern mit dem zumeist höheren persönlichen Einkommensteuersatz.

Der Vorsitzende Cem Özdemir sagte, seine Partei setze sich für eine gerechtere Gesellschaft ein, die niemanden zurücklasse. Zur Bilanz der Regierung Merkel gehörten das „unsinnige Betreuungsgeld“ für Eltern, die ihre Kleinkinder zu Hause betreuen, und das „blödsinnige Bildungspaket“ für Kinder von Langzeitarbeitslosen. „Beides gehört auf den Schrottplatz der Geschichte.“

Eingeführt werden soll nach dem Willen der Grünen eine Bürgerversicherung für Gesundheit und Pflege, in die auch Beamte, Selbstständige und Reiche einzahlen müssen. Gefordert wird zudem eine „Standardrente“ im Kampf gegen Altersarmut.

Rente mit 67 bleibt

An der schrittweisen Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre soll grundsätzlich nicht gerüttelt werden. Langfristig streben die Grünen eine Kindergrundsicherung von 300 Euro im Monat für jedes Kind an, die alle Familienleistungen in sich vereinen soll.

Mit Spannung erwartet wird beim Parteitag die Neuwahl der Parteispitze, die für nachmittags angesetzt ist. Als Vorsitzende kandidieren wieder Cem Özdemir und Claudia Roth. Die Grünen-Chefin war bei der Urwahl der Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl mit 26,2 Prozent nur abgeschlagen auf Platz vier gelandet, was sie selbst als „Klatsche“ wertete. Neben dem sechsköpfigen Bundesvorstand wird auch der Parteirat neu gewählt.

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20 Kommentare

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  • I
    irmi

    Die Grünen tun jetzt so, als wären sie für die sozial Schwachen, hier geht es nur um Stimmenfang.

    Denen die offensichtlich nicht arbeiten wollen, ist es richtig Hartz IV zu kürzen.

    Ich würde sagen die Arge soll die Leute mehr zu Fachkräften ausbilden und sie dann an Firmen vermitteln mit einem menschenwürdigen Gehalt. Zeitarbeitsfirmen müssen abgeschafft werden, auch die befristeten Arbeitsverträge, das war ein großer Fehler, so haben die Firmen es ausgenutzt durch Mindestlöhne, wovon kein Menschen überleben kann.

  • B
    Braunschweigerin

    Bei dem Vorhaben einer " Bürgerversicherung " klingeln bei mir alle Alarmglocken .

  • B
    Benedetto

    Also nach dem kürzlich in den Medien gefeierten 10. Geburtstag der Hartz Gesetze (wie geht es eigentlich den Hartz 1, 2 und 3 Kindern?)hinkt die Grünen-Vision 2013 immer noch 92 Euro hinter dem Alg 2 Regelsatz-Traum vom guten Onkel Hartz nach. Wie relativ ist doch diese Welt!

     

    wie wäre es mit dem Wahlprogrammpunkt: Vollbeschäftigung sofort? Dann werden die kompletten Sozialhilfegelder frei für sinnvollere Zwecke, wie zum Beispiel eine Gratis-Bahncard 100 für alle Bundesbürger. Und die Umwelt freut sich zugleich.

     

    Mir erscheint die aktuelle Bundesdeligiertenkonferenz wie eine vorverlegte Karnevalssitzung. Innovativ ist dabei das seit vielen Jahren verlässliche Jeckenquartett anstelle eines immer neu proklamierten Dreigestirns. Das nenne ich sparsam. Allaaf!

  • EM
    erich mühsam

    soso,die grünen wollen sozialer werden....

    warum sind sie das nicht geblieben als sie noch

    in der regierungskoalition waren..?

    hatten sie je ein sozialministerInnenamt..inne ?

    nicht mal die merkel wegen ihrer umweltkriminalität

    unter bimbeskohl belangt haben sie (ATOMRECHT UND ENDLAGER).sollen das erste oder weitere auflösungen der menschenrechtsstaatlichkeit sein,solche art herrübergeschwappte amerikanische rechtsvorstellungen, wo kriminelle nicht mehr bestraft werden ,weil sie das land geführt haben ..

    (wiskhyquakenbusch und der letzte irakkrieg).

    pazifistisch waren sie auch mal die grünen,wollen se aber nicht mehr werden oder doch?

    afghanistan hätte nicht nötig getan.man hätte sich von der kriegstreiberin merkel und ihrer halbkriminellen mannschaft nicht hineinnötigen lassen müssen.

    aber das will niemand mehr wissen,wo man die nächste rotgrüne regierung anstrebt.

  • M
    mm1

    Die Bündnis-Grünen und die SPD haben ein Problem.

    Es fehlt Ihnen die Glaubwürdigkeit in der Sozial- und Steuerpolitik.

    In der Zeit von 1998 bis 2005 wurden die Steuersätze für sehr gut Verdiener und Firmen stark gesenkt. Ebenfalls wurden die Kontrollen der Finanzmärkte gelockert.

    Mit Rot/Grün wurde der Niedriglohnsektor in Deutschland ausgeweitet. War auch politisch so gewollt.

    Peter Hartz sprach vor zehn Jahren von einem Regelsatz von 511 Euro als Einstieg. Heraus kam ein Regelsatz zum 01.01.2005 von 342 Euro. Heute fordern die Grünen einen Regelsatz von 420 Euro. Immer noch 91 Euro unterhalb des Regelsatzes den die Hartz-Kommission 2002 für angemessen hielt und wohl auch für finanzierbar.

  • R
    Ricardo

    Und das soll sozial sein?, diese Partei kann man (auch) vergessen.

  • HS
    Hari Seldon

    Genau wie im ehemaligen Ostblock: Auf Kosten den anderen ist für die Grünen nichts teuer. Vielleicht sollten die Grünen die Rechnung für die eigenen Vorschlägen selbst bezahlen. Dann wäre die Begeisterung etwas "zurückhaltender". Die Pleite des Ostblock (Kommunismus) hat sehr deutlich gezeigt, dass mit Wiederverteilung steht der Gesellschaft NICHT MEHR zu verteilen zur Verfügung. Vielleicht sollten die Grünen darüber diskutieren, wie mehr für die Gesellschaft erzeugt werden könnte. Tja, die kommunistischen Wurzeln: Die grüne Tarnfarbe kann die tiefrote Grundfarbe nicht wirklich decken. Augenscheinlich wollen die Grünen sogar die Linkspartei von links überholen.

  • H
    Horsti

    Der Blick in den Kalender verrät: Es ist wieder Wahlkampfzeit. Da hört man seit Jahren von den GRÜNEN in dieser Richtung nichts, und ein paar Monate vor der Bundestagswahl schießen dann nur die Vorschläge so heraus. Gleiches gab es übrigens schon vor gut 10 Jahren vor der Bundestagswahl, und dann stimmten die GRÜNEN den größten Ausplünderung von Arbeitnehmern und sozial schwachen Menschen zu, und senkten den Spitzensteuersatz. Wer den GRÜNEN jetzt noch Ehrlichkeit in der Sozialpolitik abnimmt, muß schon besonders naiv sein.

  • H
    Hatem

    Willkommen in Phantasialand.

  • W
    Weinberg

    Ob das Wahlvolk die Schweinereien, die die Grünen im Schulterschluss mit der SPD und mit aktiver Unterstüzung durch CDU/CSU und FDP begangen haben, bis zur Bundestagswahl 2013 vergessen wird?

     

    Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich das Wahlvolk beispielsweise daran erinnert, dass sich die hl. Johanna von Thüringen für das Durchpeitschen der Hartz-Gesetze (= Armut per Gesetz) stark gemacht hat. Heute gibt sich die Kirchenfrau als das grüne Unschuldslamm vom Dienst.

     

    Strafe muss sein!

  • VB
    Volker Birk

    Ich hab da wenig Hoffnung: die Leute werden das Wahlkampfgeklingel dieser Hartz-IV-Partei genauso glauben, wie es immer noch SPD-Wähler gibt.

     

    In der Regierung werden die Grünen dann "leider nicht alles umsetzen können".

     

    Wer eine neoliberale Partei wählt, wählt gegen soziale Gerechtigkeit. Übrigens wählt man dann auch die Finanzkrise.

     

    Aber das ist ja hoffnungslos. Die Leute glauben ja sogar, Merkel sei etwa "wirtschaftskompetent" und bringe uns "gut durch die Krise". Dabei IST der Neoliberalismus die Krise.

  • P
    Phönix

    Zitat aus dem Artikel: "Der Vorsitzende Cem Özdemir sagte, seine Partei setze sich für eine gerechtere Gesellschaft ein, die niemanden zurücklasse."

     

    Die Worte les ich wohl, allein mir fehlt der Glaube...

     

    Ich vermisse bei den Grünen eine glaubwürdige Auseinandersetzung mit der Gesamtkonzeption von Hartz IV und den verheerenden Auswirkungen dieser Gesetzgebung auf Millionen Menschen in diesem Land.

     

    Dabei ist es mit der Neujustierung einzelner Schräubchen an der Hartz IV-Mühle nicht getan. Erfoderlich ist vielmehr eine Neuausrichtung der Gesamtkonzeption für die Arbeitsverwaltung.

     

    Die Grünen haben das autoritäre Hartz IV-Regime in Regierungsverantwortung mit der SPD in Gesetzesform gegossen. Eine ernsthafte Distanzierung der Grünen von der Gesamtkonzeption des SGB II ist nach wie vor nicht erkennbar. Für mich haben die Grünen daher jede sozialpolitische Glaubwürdigkeit verspielt.

     

    Da passt auch das neue Führungsduo Trittin/Göring-Eckhardt,die beide die alte neoliberale Garde der Grünen repräsentieren, bestens ins Bild.

  • S
    Schneider

    Die Grünen werden alles tun, um an die Regierungsbeteiligung zu kommen und dann wieder alles vergessen, was versprochen.

    Kein Verlaß auf irgendwelche Absichtserklärungen.

  • W
    Wolfgang

    "Bündnis 90/Die Grünen" und auskömmlichen "Mindeslohn" ?

     

    "Mindeslohn von 8,50 Euro" = BRUTTO oder NETTO ?

     

    Natürlich wollen sie keinen auskömmlichen NETTO-"Mindestlohn" von mtl. 1.450 Euro. Ebensowenig wie die liberal-sozialdemokratischen und christlichen Gewerkschaftsfunktionäre und "Sozialpartner" der Hundtschen BDA-Bourgeoisie und Quandtschen BDI-Aktionäre!

     

    Merke: Nur für die sozial- und gesellschaftspolitische Anpassung, - der Lohnabhängigen und Arbeitslosen im offenen Hartz-IV-Strafvollzug -, an die Kapital- und Verwertungsinteressen, gibt es Vorstandsposten und Spenden ...

     

    Notwendige Anmerkung: Es bedarf bereits heute einen "durchschnittlichen" mtl. Arbeitslohn von brutto 2.500 Euro (15-Euro-Stundenlohn), um nach 35-Vollzeitarbeitsjahren eine mtl. gesetzliche Grundsicherung (analog Sozialhilfe) von 700 Euro zu erhalten.

     

    Mit brutto 8,50 Euro-Std. besteht weiterhin Einkommensarmut und auch nach 50-Jahren-Vollzeitarbeit: Altersarmut und Sozialhilfe!

  • OW
    Otto Wels

    Also wenn man Jürgen Trittin via Photoshop noch ein Karnevalsmützchen aufsetzt, sieht er aus, wie ein Karnevalsprinz.

     

    Ich weiß aber nicht, ob "tiefgreifend" hier passend ist. Im Vergleich zu dem, was die Grünen mal wollten, ist das ein Witz.

  • P
    Peter

    Keine Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger mehr?

    Wie praktisch! Dann kann man ja einfach zuhause bleiben und das Geld kommt aufs Konto.

  • BA
    Barbara Ann

    Ich sehe kann tiefgreifenden Sozialreformen bei den Grünen-Beschlüssen.

    Die Rente mit 67 soll weiter bleiben, die Rentenkürzungen nicht zurückgenommen werden, Ost- und Westrenten sollen nach 23 Jahren immer noch nicht vollständig angeglichen werden, Die Agenda 2010 und Hartz 4 sollen bestehen bleiben usw.

    Die kleinen kosmetischen Korrekturen ändern nichts an den Sozialverbrechen von Grünen und SPD in der Schröder-Regierung. Zumal diese bei eventuellen Koalitionsverhandlungen mit Merkel oder Steinbrück weiter aufgeweicht werden.

    Und eine fundamentalistische, christlich-grüne Sozialministerin Göring-Echardt mit Abtreibungsverbot-Forderungen etc., sind ein wahrer Albtraum für jede moderne Frau, die selbst entscheiden will (Mein Bauch gehört mir!).

  • R
    richtigstellung

    "Grüne beschließen Weiterführung der von ihnen mit eingeführten Demütigung und Gängelung von Hartz4-Empfängern" - das ist, was bei mir angekommen ist, nach der Ablehnung des Antrags, diese Sanktionen endlich abzuschaffen. Aber man will ja krampfhaft kompatibel sein zu CDU und SPD. Da werden die Kröten schon im Vorfeld demonstrativ geschluckt. Naja, dafür gibts ein Parteitagsbrimborium und Spektakel nach US-Vorbild. Eine Sozial-Show. Wers (wählen) mag... ich nicht.

  • D
    dude

    Dass ich nicht lache!

     

    Mit den Grünen wird es NIEMALS irgendwelche sozialeren Zustände geben!

     

    Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!

     

    Wer war mit dabei? Die grüne Partei!

  • D
    D.J.

    "gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro und die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze von 374 auf 420 Euro verlangt wird. Zudem soll es den Jobcentern bis auf weiteres verboten werden, Arbeitslosen die Hartz-Bezüge zu kürzen."

     

    1. Mindestlohn: M.E. absolut notwendig (Höhe wäre zu diskutieren).

    2. Erhöhung ALG II-Sätz: Evtl. diskussionswürdig.

    3. Verbot von Sanktonen: Heißt faktisch Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens - das aber in seiner dümmsten und leistungsfeindlichsten Variante.

     

    Fazit: Nach wie vor unwählbare Spinner.