zwischen den rillen : Elektronische Musik, politische Anliegen
Ein Sampler schürt den Glauben an die gute alte Protestmusik: „Politronics“
Es ist eine Weile her, da mischte die elektronische Musik den herkömmlichen Popmusikbetrieb gehörig auf. Sie bildete eigene Vertriebskanäle, hinterfragte das etablierte Starsystem und war billig zu produzieren. Sie basierte auf Sound anstatt auf einer Songstruktur, sie kam ohne Text aus und ihre Form war gleichzeitig ihr Inhalt; das war revolutionär. Ob mit der elektronischen Musik des Heidelberger Labels Source vielleicht endlich eine wirklich androgyne, antisexistische Form von Popmusik gefunden worden sei?, ließ der Autor Thomas Meinecke einen seiner Protagonisten in seinem Roman „Tomboy“ fragen. Die elektronische Musik evozierte jede Menge derartiger neuer Diskurse. War sie deswegen gleich politisch? Natürlich.
Nun ist sie längst nicht mehr das große Andere, sondern selbst ein etabliertes Genre – ihr subversiver Charakter scheint verschwunden zu sein. So groß ist das Dancefloor-Universum mittlerweile, dass sich die Macher der Compilation „Politronics“ von vornherein auf eine Spielart dieser Musik beschränkten, um sich nicht allen Aspekten rund um das Thema elektronische Musik widmen zu müssen, die von der Clubkultur bis hin zur Love Parade reichen. Unter „Electronics“, deren politisch bewussten Ableger man „Politronics“ nennt, wird mit wenigen Ausnahmen eine weitestgehend abstrakte elektronische Musik verstanden, die sich selbst eher kunstambitioniert begreift, als dass sie zum Tanzen einlädt. Einigen können sich die aus den unterschiedlichsten sozialen und künstlerischen Zusammenhängen kommenden Produzenten wie Mouse On Mars, Scanner oder Schorsch Kamerun auch darin, dass sie allesamt versuchen, mit den unterschiedlichsten ästhetischen Stilmitteln und Produktionstechniken zu agitieren.
Letztlich wird einem so der alte Stiefel politisch bewusster Musik, die ihr Anliegen auch formal und inhaltlich transparent machen muss, erneut serviert. Lag das Befreiungspotenzial elektronischer Musik einst darin, dem klassischen Protestsong eine Absage zu erteilen und dessen eindeutige Aussage durch Mehrdeutigkeit zu ersetzen, wird nun wieder der Glaube an die gute alte politisch korrekte Protestmusik geschürt. Nur klingt diese heute anders als früher.
Jedes der Stücke wurde exklusiv für diesen Sampler bereitgestellt und jeder der Acts darf in einer Selbsterklärung im Booklet sein politisches Anliegen erläutern. Eingerahmt werden die Kunsterklärungsaufsätze von Essays, die nochmals grundsätzlich das Anliegen einer politisch bewussten elektronischen Musik erklären. Dem Material selbst, der Musik, wird dabei wenig Raum zur Entfaltung gelassen. Somit wird eher unfreiwillig belegt, woran diese Form politischer Musik krankt. Sie funktioniert nicht aus sich selbst heraus, sie benötigt eine Kontextualisierung, um verstanden zu werden.
Wer Matthew Herberts alias Radio Boys elektronisches Geklöppel auf dem „Politronics“-Sampler hört, ohne etwas von seinen Anliegen zu wissen, hört Musik, ohne deren Intention zu verstehen. Matthew Herbert ist bekannt dafür, dass er gern das Geräusch einer zerknüllten Cola-Dose sampelt oder das Knittern einer Zeitung mit einer Meldung über den Irakkrieg verfremdet in seine Musik einbaut. Dergleichen Taschenspielertricks sollen dann zum betroffenen Grübeln über die Konsumgesellschaft oder den US-Imperialismus anregen. Hören freilich tut man sie nicht, die Tricks, man muss wissen, dass sie angewandt wurden.
Auch die Musik von Terre Thaemlitz erschließt sich einem nur, wenn man dessen Aufsätze zu seinen Platten liest. Die Theorie ist bei ihm sogar beinahe wichtiger als die Musik selbst. Ohne Zweifel hat auch dieser Ansatz seinen Reiz, doch beim Lesen seines Textbeitrags zu seinem „Politronics“-Stück stellt man fest, dass die ewigen Diskursbemühungen von Thaemlitz inzwischen arg ermüden.
Eigentlich versucht „Politronics“, die Funktionsweisen eines diffusen Genres, der linkspolitisch engagierten elektronischen Musik, als kraftvolle Subversionsstrategie zu benennen. Doch leider muss man feststellen, dass dieses Genre schon wieder ausgedient hat. Es ist der ewige linke Irrglaube, dass nur so genannte intelligente Popmusik auch politisch anregend sein kann, der Vater dieser Platte war. So steht auch in einem der Booklet-Aufsätze, dass aller Hörgenuss an ein Ende kommen würde, sobald man erfährt, dass der Urheber einer bestimmten Musik etwa ein Sexist ist. Tatsächlich aber wurde so einiges an aufregender Popmusik von den übelsten Sexisten produziert. Hierbei handelt es sich um Musik, die man sich erst aneignen und dann umcodieren musste, um sie super finden zu können. Bei politisch indifferenter Musik wird man eben auch als Hörer gefordert, bei „Politronics“ leider nur als Booklet-Leser.
ANDREAS HARTMANN
V. A.: „Politronics“ (Onitor/Kompakt)