zwischen den rillen : Eingeschränkte Selbstbeschränkung
Die Vergangenheit verdichten, bis etwas Neues entsteht: „Get Behind Me Satan“, das große neue Album der White Stripes
Hört, hört! Er bewegt sich doch, der Berg. Starrsinn und Purismus sind zwar immer noch die besten Freunde der altmodischsten und widerborstigsten Rockband unserer Tage. Aber für „Get Behind Me Satan“ haben sich die White Stripes nicht nur wieder einmal der Bibel bedient, sondern auch neue Leinwände gekauft, um auf ihnen ihre altbekannte Farbenlehre auszubreiten.
Vier Alben lang gab nahezu ausschließlich der Blues wenn schon nicht den Takt, dann doch zumindest die grundsätzliche Atmosphäre vor. Nun aber werden vom ehemaligen Ehepaar Jack und Meg White ganz neue Stimmungslagen aufgezogen: „The Nurse“ tut wie ein naives Kinderliedchen mit Marimba-Begleitung, bis es von fiesen Zwischentönen untergraben wird, „My Doorbell“ ist ein Bubblegum-Popsong aus den Sixties, „Little Ghost“ fehlt nur noch eine Fiedel zur endgültigen Zydeco-Seligkeit, in „Passive Manipulation“ darf Meg White hinter ihren Trommeln hervorkommen und mit brüchiger Stimme eine schwerblütige Velvet-Underground-Ballade veredeln, in „As Ugly As I Seem“ gibt Jack White seine denkbar beste Leonard-Cohen-Imitation auf einer zitternden Folk-Grundlage.
Aber: Eingefasst wird die im White-Stripes-Kosmos bislang unbekannte Stil- und Soundvielfalt von dem das Album eröffnenden Blues-Rocker „Blue Orchid“ und dem abschließenden „I’m Lonely“, einem bis aufs nackte Gerippe ausgezogenen Piano-Blues. Anfang und Ende, Geburt und Tod, Blues und Bibel, in den entscheidenden Momenten kommen die White Stripes dann doch wieder ganz zu sich.
In Denise Sullivans parallel zum neuen Album auf Deutsch erscheinender Bandbiografie „The White Stripes – Renitenz und Rock ’n’ Roll“ darf Jack White verkünden, dass es die Zweierkonstellation und ihre Beschränkungen sind, auf die sich das Duo absichtlich eingelassen hat: „Vom ersten Tag an haben wir […] vorgezogen, nicht zu wachsen und uns nicht weiterzuentwickeln.“ Dass die White Stripes auch heute noch so klingen, wie sie klingen, liegt sehr an dem nahezu autistischen Schlagzeugspiel von Meg White, dass sie so aussehen, wie sie aussehen, an den drei Farben Schwarz, Weiß und Rot (die in der aktuellen Edition zum Düsteren neigen). Aber das Dogma-Konzept ist – wie ja auch bei seinem filmischen Pendant aus Dänemark – längst aufgeweicht und nicht mehr Gerüst des Schaffens, sondern nur mehr Mahnung daran, die Formen verhältnismäßig rein und unschuldig zu halten.
Die Verweigerungshaltung hat sich erledigt, und die White Stripes müssen sich nicht mehr beschränken auf die heilige Dreifaltigkeit aus Schlagzeug, Gitarre und Stimme, um sie selbst zu bleiben. Klavier und Gesang reichen auch, Marimba darf sein, der Wiedererkennungseffekt liegt nicht im Instrumentarium, sondern in der Haltung, sich auf das Minimale, das Grundsätzliche, die Essenz, das Kindliche zu beschränken.
„Kindlich“ und manchmal sogar „kindisch“ sind auch in Sullivans Biografie die beliebtesten Vokabeln, um die Musik der White Stripes zu beschreiben. Vehement versucht die Autorin, ihren Gegenstand nicht nur in die Geschichte des Garagenrock und die Detroiter Rocktradition seit MC5 und den Stooges einzuordnen, sondern ihm sogleich Klassikerstatus neben Bob Dylan oder Johnny Cash zuzuweisen. Tatsächlich muss man spätestens seit „Get Behind Me Satan“ einsehen: Niemals waren The White Stripes – so altmodisch sie auch immer klangen – eine Retroband, sondern stets Propheten auf der Suche nach den letzten Wahrheiten. Während andere die Popgeschichte nach hübsch klingenden Gimmicks und schicken Sounds durchwühlen, verdichten die White Stripes die Vergangenheit so lange, bis etwas essenziell Neues entsteht, das dann wirklich nur mehr White Stripes heißen kann. Wohl auch dank dieses Paradoxons klingt Rock ’n’ Roll bei den White Stripes zwar traditionsbewusst, aber seltsamerweise nicht mehr sackschwer: Selten zuvor, vielleicht ja tatsächlich niemals, hat man Musik gehört, die so eindeutig Rockformula rekapituliert und sich doch zugleich so eindeutig antimännlich gibt.
Man hätte es also wissen können. It’s the history, stupid, aber tatsächlich war Rock ’n’ Roll niemals – nicht einmal in seinen besten Tagen – so, wie ihn The White Stripes auf „Get Behind Me Satan“ in bester Absicht darzustellen versuchen. Zwar erinnert jeder Song, jede Melodie, jeder Ton an ein anderes Kapitel im dicken Buch des Rock, aber das ist dann wohl der Fluch, wenn man das Grundsätzliche destilliert. Und: Selbst schuld, wer versucht, die Geschichte in seinem Sinne umzuschreiben. Noch so ein Berg, der sich nun doch bewegt, weil die Dreifaltigkeit aus Gott, Jack und Meg White es so will.
THOMAS WINKLER
The White Stripes: „Get Behind Me Satan“ (XL/Beggars Group/Indigo)Denise Sullivan: „The White Stripes – Renitenz und Rock ’n’ Roll“. Aus dem Englischen von Conny Lösch. Hannibal Verlag, 2005, 178 Seiten, 19,90 €