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zwischen den rillenTotale Jump-and-Run-Ekstase mit 300 Sachen

DJ Travella: „Mr Mixondo“ (Nyege Nyege Tapes/Rough Trade)

Zwei Männer liegen mit dem Kopf unter einer riesigen Box im Sand, wir befinden uns in Da­r­es­sa­lam, der größten Stadt Tansanias. Ihre Körper zucken wild und zunächst bleibt unklar, ob man sich deshalb Sorgen machen muss. Aus der Box gluckern ultraschnelle Synthesizerklänge und zerschredderte Drums, die zum hyperenergischen Sound anschwellen. Kurze Zeit später wird klar: Den Männern geht es gut. Sie tanzen.

Der Clip stammt vom Instagram-Account des 19-jährigen Produzenten DJ Travella aus Da­r­es­sa­lam. Die Musik, die bei den Männern totale Ekstase auslöst, nennt sich Singeli. Das Genre ist seit gut einem Jahrzehnt der ruling Sound des ostafrikanischen Landes. DJ Travella wiederum ist der neueste Star des Singeli. Wie tief Singeli-Sound in der tansanischen Gesellschaft verankert ist und was er bei den Hö­re­r*in­nen auslöst, sieht man in den weiteren kurzen Clips von Singeli-Raves, die Travella im Internet hochgeladen hat. Ein Mann mit Bauarbeiterhelm tanzt im Spagat, ein anderer macht Handstand, kreischende Kinder springen um Boxentürme herum. Singeli ist eine Musik aller Altersgruppen, die spontan tagsüber auf der Straße gespielt wird, aus Autolautsprechern tönt und manchmal sogar bei Partys für Kinder in Schulen läuft.

Inklusiv statt exklusiv

Sie ist also fernab vom exklusiven Clubkultur-Gedanken Europas, wo Tanzen zu elektronischer Musik einer bestimmten Altersgruppe zugeschrieben wird. Zu Singeli hingegen bewegen sich alle und das möglichst extrovertiert. Teils wirken die expressiven Performances wie Rituale. DJ Travella sagt dazu: „Wenn ich live spiele, gerät alles in Bewegung – auch die Gesichter, die Augen bewegen sich.“ Dass Singeli-Musik zur intensiven körperlichen Erfahrung wird, ist seinem enormen Tempo geschuldet. Weit mehr Uptempo als Techno oder House rauschen LoFi-Drums manchmal bis zu 300-Bpm in verschachtelte, ständig abwechselnde Synthesizer-Loops, dazu kommen rhythmische Vocal-Samples, oft auch ein Sänger, der ebenso furios über diese Speed-Abfahrten rappt. Das Collagenhafte von Singeli-Sound ist den Produktionsbedingungen geschuldet. Er entsteht unter prekären Bedingungen auf Laptops, meistens mit der Umsonst-Software Virtual DJ. Pro­du­zen­t*in­nen speisen Soundschnipsel ein, loopen diese, schrauben Frequenz und Tempo hoch und runter, fügen immer neue Fragmente hinzu und sorgen so für eine Musik, die permanent nach vorne prescht, ohne Atempause.

DJ Travella hat diese Grundstruktur nun auf seinem Debütalbum „Mr Mixondo“ verinnerlicht und weiterentwickelt. Das Album ist beim ugandischen Label Nyege Nyege Tapes erschienen, das auch ein gleichnamiges Festival organisiert und eine der wichtigsten Anlaufstellen für zeitgenössische Popmusik in Ostafrika ist. Wer auf Nyege Nyege Tapes veröffentlicht, wird auch jenseits von Afrika wahrgenommen. „Mr Mixondo“ ist nun insofern eine Weiterentwicklung des Genres, als dass DJ Travella komplett auf Gesang jenseits kurzer Samples verzichtet. Dafür sind die Sounds noch lauter, noch überdrehter, oft fast bis zur Unkenntlichkeit übersteuert. Travella schafft dadurch etwa mit dem Track „Crazy Beat Music Umeme 1“ eine Überschall-Popversion von Singeli, die im Sinne der Hyper-Pop-Pioniere vom Label PC Music funktioniert. Es geht darum, amtliche Sounds maximal zu überspitzen, ohne dass sie dadurch zur Karikatur gerinnen, sondern die Grenzen des Möglichen auszuloten und dadurch zu verschieben. „Mr Mixondo“ ist eine solche musikalische Grenzverschiebung. Die Musik würde auch als Soundtrack eines irren Jump-and-Run-Spiels passen, wenn es so schnell gespielt werden muss, dass die Körper nicht mehr anders können, als dabei wild zu zucken. Johann Voigt

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