zwischen den rillen: Hypertrance auf dem Dancefloor
Quietschbunte Tops, glitzernde Augenlider, geglosste Lippen: Mit dieser Ästhetik inszeniert sich die Sängerin Rui Ho auf ihrem Instagram-Profil. Dazwischen postet sie futuristische Modefotos. Auch musikalisch bietet die Künstlerin aus Schanghai eine eigenwillige hyperdigitale Klangästhetik. Diese ähnelt der Produktionsweise der Britin Sophie. Nicht ohne Grund wird Rui Ho zur „Post Club“-Bewegung gezählt, die Dancefloor mit Aktivismus vereint. In Berlin konnte man Ho häufiger bei Clubnächten der Kollektive Creamcake und No Shade erleben.
Vier Jahre lebte die Chinesin in Berlin, im März, nach Beginn der Coronapandemie in Deutschland ist sie nach Schanghai zurückgekehrt. Gemeinsam mit Künstler*innen wie Tzsuing, Hyp11e und Howie Lee gilt Ho als Vorreiterin der aufstrebenden Dancefloor-Szene Chinas. In ihren Tracks bindet Ho die musikalische Traditionen ihres Heimatlandes an die westliche Moderne. Rui Hos Debüt-EP erschien 2017 beim Schanghaier Label Genome 6.66 Mbp. Nach zwei weiteren kürzeren Werken veröffentlicht sie nun ihr Debütalbum „Lov3 & L1ght“, diesmal beim Londoner Label Planet Mu.
Auf diesem zeigt sich Hos Sound stark von Pop beeinflusst. Das liegt auch daran, dass sie erstmals ihre eigene Stimme einsetzt, mit deren klanglichen Fähigkeiten sie bislang haderte. Noch Ende Dezember schrieb Ho auf Twitter: „You have to know that …I have hated my voice my whole life, probably more than my body …cuz It’d never be what I want it to be“. Der Schritt, den Gesang nun selbst zu gestalten, hat eine enorme Bedeutung für die Chinesin. Als trans Frau hat sich Ho in der Vergangenheit nach einer femininer klingenden Stimme gesehnt.
Bereits emanzipiert wirkt Ho in „Exodus ’12“, dem zweiten Tracks des Albums. „I’m gonna go my way / and nothing can stop me“, lautet die Botschaft des Songs. Dazu ertönen treibende Bässe und klirrende Soundeffekte. Statt der markanten Produktion steht nun ihre Stimme im Fokus der Songs. „You never showed love and you never was kind“ vermittelt sie dann in „Right Now“ einem Verflossenen. Modulierte Vocals, quietschige Synthesizersounds und aggressive Trance-Klänge strotzen nur so vor Hos neuem Selbstbewusstsein.
In „Send For Me“ wagt sie ausgiebige Experimente mit Autotune. Ihre Vocals fußen auf einem dahinplätschernden Klangteppich, für Ho’sche Verhältnisse fast schon zurückgenommen. In „Hundred Thousand Ways“ probiert sich die Künstlerin hingegen an ihrer charakteristischen Mischung aus Gesang, Spoken Word und gerappten Reimen. Das Ganze mündet schließlich in einem Jungle-induzierten Rave.
Während Ho auf früheren Tracks traditionelle chinesische Folklore und Elektronik mischte, setzt sie dieses Stilmittel auf „Lov3 & L1ght“ deutlich diskreter ein. Bei „Leave“ arbeitet Ho mit der japanischen Sängerin Golin zusammen, die futuristische J-Pop-Entwürfe in den Ring wirft. Erst das Finale, „Tired Of Me“, endet mit einem minimalistischen Motiv, das wieder an chinesische Volksmusik erinnert.
„Lov3 & L1ght“ ist für Rui Ho eine gelungene Weiterentwicklung. Gekonnt verknüpft sie Cyber-Pop mit ausgefeilter Elektronik, Einflüsse des Berliner Undergrounds mit der musikalischen Tradition Chinas. Diese Weiterentwicklung trägt nicht nur musikalische Früchte, es vervollkommnet auch ihre künstlerische Persona. Im „Waschzettel“ des Albums wird Rui Ho folgendermaßen zitiert: „Ich hoffe, dass ich meine eigene Stimme lieben lernen und Möglichkeiten finden werde, mich durch sie auszudrücken, ohne davor Angst haben zu müssen.“ Das klingt, als ob sie mit „Lov3 & L1ght“ ihrem Ziel wieder ein Stück näher gekommen ist.Louisa Zimmer
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