zwischen den rillen: Sein Weißsein reflektieren
Die Musik der Band Whitney ist ein schöner Herbstsonntag. Goldenes Licht, spätes Frühstück, Müßiggang. Auch das Fallen der ersten Blätter, die Ahnung, dass jeder warme Tag der letzte des Jahres sein könnte: Was für eine Melancholie! Julien Ehrlich und Max Kakacek haben sich nach dem Ende ihrer unter dem Radar gebliebenen Band Smith Westerns zum Duo Whitney zusammengetan. Nachdem den beiden US-Künstlern mit dem Debütalbum „Light Upon The Lake“ vor drei Jahren ein Überraschungserfolg gelang, veröffentlichen sie nun ihr zweites Album. Whitney machen gefällige Musik, harmonisch schwingende, die man auch schön im Hintergrund spielen kann. Das klingt wie sein Gegenteil, soll aber ein Kompliment sein.
Auch „Forever Turned Around“, ihr neues Album, ist unaufdringlich, fordert die Aufmerksamkeit nicht unbedingt ein, belohnt sie aber. Die auf der Akustikgitarre gezupften, sich sauber auflösenden Akkordfolgen, die kleine Schlenker nehmen, am Ende aber sicher auf der Tonika landen. Die kleinen Figuren auf der E-Gitarre, die dem Gesang entgegenlaufen. Sanfte Pianotupfer wie Regentropfen, das weich geschlagene Schlagzeug. Einzig an die kehlige, Kermit-hafte Qualität von Ehrlichs Stimme muss man sich erst gewöhnen. Die Songs hätten durchaus Folkqualität, wären sie nicht so ambitioniert aufbereitet: Die Arrangements sind mächtig und lassen die Songs zu großformatiger Popmusik werden. Kein Stück, das nicht spätestens im zweiten Refrain von Bläsern oder Streichern gestärkt wird. Das Titelstück zum Beispiel ist eine schöne Midtempo-Ballade, die auch nur mit der Gitarre begleitet funktionieren würde, deren emotionale Kraft hier aber multipliziert wird durch perfekt einsetzende Streicher.
Der heimliche Star des Albums ist somit Produzent Jonathan Rado, der auch in der Glam-Rock-Band Foxygen spielt, der aber vor allem als Toningenieur in den letzten Jahren zu einer zentralen Figur der Indie-Welt avanciert ist. Rado hat bereits das im Frühjahr erschienene Album „Titanic Rising“ der kalifornischen Musikerin Weyes Blood am Mischpult inszeniert, ein ganz fantastisches Werk, das einige Wesensmerkmale zu „Forever Turned Around“ aufzeigt.
Auch hier erschafft Rado eine traumhaft vertraut klingende Analog-Ästhetik, eine Klangkulisse, in der jedes Element auf eindrucksvolle Weise seinen genauen Platz hat, in der alle Instrumente mühelos und wunderbar ineinanderfließen, in der die großen Arrangements nie überfordern oder in den Kitsch kippen. Die Mitglieder von Whitney kommen aus Chicago, klingen aber nach Kalifornien, genauer: nach Jonathan Rados Studio im San Fernando Valley.
Liest man Interviews mit Ehrlich und Kakacek, fällt auf, wie regelmäßig sie die Tatsache reflektieren, dass es sich bei ihnen um zwei weiße Männer handelt. Sie thematisieren das eigene Weißsein, bevor es andere tun, in einer popkulturellen Nische zumal, in der Mittelklassetypen neuerdings nicht sonderlich hoch im Kurs stehen. In ihren Texten, sagen sie, verwenden sie Pronomen mit Bedacht, um kein heteronormatives Modell zu bekräftigen.
„Forever Turned Around“ läuft nur eine halbe Stunde, eine schöne halbe Stunde, zu deren Schönheit beiträgt, dass es sich nur um eine halbe Stunde handelt. Ehrlich und Kakacek bleiben nicht länger, als man sie haben möchte, und so lange sie da sind, freut man sich über ihre Gesellschaft. Sie spielen Lieder, die sich beim ersten Hören erschließen, die aber auch beim vierten, vierzehnten oder vierzigsten Hören nicht auf die Nerven gehen. Es ist eine Kunst, Klänge in die Welt zu setzen, die so wohltemperiert sind, dass sich niemand verbrennt und niemandem kalt wird. Whitney sind lauwarm. Ein Kompliment! Jan Jekal
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