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zwischen den rillenSinnlich und selbstbewusst: Rosie Lowe

Die britische Grafschaft Devon ist für ihre pittoresken Küstenorte bekannt und für ihre Nationalparks. In dieser abgelegenen ländlichen Gegend wuchs Rosie Lowe auf. In einem Holzhaus, das ihr Vater eigenhändig gebaut hatte. Einen Fernseher gab es nicht. Das zwang die sechs Kinder dazu, sich anderweitig zu beschäftigen. Also begann Rosie Lowe, diverse Instrumente zu spielen. Auch ihre Geschwister füllten ihre Freizeit mit Musik. Oft begleiteten sie ihren Vater, einen Musiker, zu Konzerten: „Musik war das, was uns alle vereint hat.“

Das prägte die 29-Jährige derart, dass sie dann auch Musik am Goldsmiths College in London studierte – wo sie bis heute wohnt. Aus Studienzeiten kennt sie auch James Blake, mit dem sie gerne verglichen wird: „Uns verbindet tatsächlich, das wir beide unseren Songs Raum zum Atmen geben.“ Mit dieser Philosophie gewann Lowe den Produzenten und Labelmogul Paul Epworth für sich. Ihr Debütalbum „Control“ (2016) veröffentlichte Lowe auf seinem Label, es lieferte den Beweis dafür, dass R&B nicht oberflächlich und billig klingen muss.

Rosie Lowe versteht sich aufs Herauskitzeln verborgener Emotionen, getragen von Soulelementen und elektronischen Klangerzeugern. In ihren Stücken kanalisiert sie ihre chaotische Gedankenwelt. Als junge Frau fragt sie sich: Was bedeutet Feminismus eigentlich im 21. Jahrhundert? Freundschaft beschäftigt sie ebenso wie die Komplexität der Liebe. Auf ihrem neuen Album „Yu“ spielt Sexualität eine tragende Rolle, bisweilen verhandelt sie in den Songs auch Fragen von Spiritualität und Religion. Im sinnlichen „Mango“ lässt sich Adam von der Verführerin Eva ins Bett locken. Sie holt ihn ins Paradies, statt ihm wie im Sündenfall letztlich die Hölle auf Erden zu bescheren. „Birdsong“ treibt Lust bis zum Orgasmus. Rosie Lowes warme Stimme schwebt über funkigen Beats, im Refrain verstärkt sie ein vierköpfiger Männerchor: Jamie Lidell, Jamie Woon, Jordan Rakei, Kwabs. Warum sie diese Kollegen ausgesucht hat? Lowe lacht: „Ich konnte Kapital daraus schlagen, dass ich viele tolle Musikerfreunde habe.“

Gut vernetzt ist Rosie Lowe auf jeden Fall. Um ihre künstlerischen Belange kümmert sich Elton Johns Firma Rocket Management. Der Star empfiehlt seinen Schützling nicht nur regelmäßig in seiner BBC-Radioshow, er ist bereits mehrfach mit Rosie Lowe aufgetreten. „Besonders beeindruckt mich seine Bescheidenheit“, sagt sie. „Obwohl John zu den Popikonen zählt, erhebt er sich nie über andere.“ Ob sie gern so berühmt wie ihr Mentor wäre? Nein: „Je mehr Erfolg ich habe, desto mehr schränkt mich das ein.“ Das wären für Rosie Lowe keine idealen Lebensbedingungen: „Ich möchte meine Milch im Supermarkt kaufen können – ohne Bodyguards.“ Künstlerische Freiheit ist für sie das Wichtigste überhaupt. Abstriche bei ihrer Kreativität zu machen, kommt für sie nicht infrage: „In meiner Musik gehe ich keine Kompromisse ein.“

Dieses Selbstbewusstsein hat sich Rosie Lowe hart erarbeitet. Beim Interview im Büro ihrer Plattenfirma in Berlin verzichtet sie auf Make-up. In ihren Wohlfühlklamotten würde sie auf der Straße nicht auffallen. Einzig ihr Barett nutzt sie, um ihre Individualität zu unterstreichen. Mit Anfang 20 war sie häufig im Krankenhaus, Magenprobleme malträtierten sie: „Ich habe meine Gefühle unterdrückt, das schlug mir auf den Magen.“ Diese Erkenntnis gewann sie dank einer Therapie: „Das war die beste Entscheidung.“ Seither fasziniert sie die menschliche Seele. So sehr, dass sie eine Ausbildung zur Psychotherapeutin begonnen hat: „Für mich ist das eine Ergänzung zur Musik.“

„Je größer mein Erfolg ist, desto stärker werde ich dadurch eingeschränkt“

Rosie Lowe

Rosie Lowe hat keine Scheu, in „Pharoah“ zu verschleppten Rhythmen und unnachahmlichen Gitarrenriffs innere Dämonen zu analysieren. „Gerade wir Frauen neigen dazu, uns unnötig klein zu machen“, konstatiert sie. „Dabei kann ein Mensch nur den Raum einnehmen, den er sich mental zugesteht.“ Theoretisch klingt das gut. In der Praxis hat Rosie Lowe allerdings immer wieder Angst vorm eigenen Scheitern – davon erzählt sie überzeugend im extrem groovigen Song „Shoulder“.

Dagmar Leischow

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