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zwischen den rillenDas Hemd ist offen

Swans: „The Glowing Man“ (Mute/Goodtogo)

Es ist 2011 und Michael Gira, Sänger und Gitarrist der Swans, steht auf der Bühne im Kölner Gebäude 9. Seine Band ist laut, wahnsinnig laut. Michael Gira schwingt seinen rechten Arm wie eine Windmühle, bevor er in seine Gitarre schlägt. Er sieht aus wie einer dieser Typen, die man nur aus Jim-Jarmusch-Filmen kennt: weiße Haare, Jeans, locker sitzendes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln.

Denn Michael Gira schwitzt, er schwitzt viel, er schwitzt so sehr, dass ihm der Schweiß aus den Haaren tropft, das Gesicht herunterläuft und er sein Hemd aufknöpft, immer weiter, Knopf um Knopf.

Michael Gira spricht von seinen Konzerten als einer „Unendlichkeit des Klangs“, die von „einer Kraft größer als wir“ herrührt. Ich muss aber immer an seine Hemdknöpfe denken – auch als ich mir „The Glowing Man“, das neueste Album der Swans, anhöre. Es ist ein Abschied, das letzte Album dieser Inkarnation der Swans, mit der Gira auch 2011 auf Tour war.

Es ist ein ausuferndes Album, drei der acht Stücke sind über 20 Minuten lang. Gira singt mit vollem Goth-Pathos, um ihn herum türmt sich der Gitarrenlärm – mal 15, dann nur wieder 5 Minuten lang. „The Glowing Man“ ist ein sehr vorhersehbares Album.

Nur einmal lässt es mich ratlos zurück, beim Song „When will I return?“. Über einer langen Drone singt Michael Giras Frau Jennifer und erzählt davon, wie sich Hände um ihren Hals legen und sie sich mit allen Kräften gegen einen Mann zur Wehr setzt, der sie in ein Auto zerren will. Es ist die Schilderung eines realen Erlebnisses.

Ich weiß nicht, was ich von diesem Stück halten soll, es wirkt wie ein Feigenblatt. Im Frühjahr dieses Jahres wurde Michael Gira von seiner ehemaligen Bandkollegin Larkin Grimm der Vergewaltigung beschuldigt. Erst verneinte er die Tat, dann gab er zu, dass er und Grimm eine Affäre gehabt haben, die mit einem „merkwürdigen Fehler“ geendet sei. Grimm wertet dies als Eingeständnis seiner Schuld. Seitdem ist nichts mehr darüber an die Öffentlichkeit gedrungen. Nun, da die Rezensionen von „The Glowing Man“ erscheinen, sind die Vorwürfe den meisten Kritikern keinen Nebensatz wert.

Einladung zum Gebet

Damit ich nicht missverstanden werde – ich habe nichts gegen Krach, auch dann nicht, wenn er von alten weißen Männern veranstaltet wird. Ich habe einige der glücklichsten Stunden meines Lebens damit verbracht, in feuchten Kellern und akustisch minderwertigen Räumen Menschen zwischen 20 und 60 Jahren dabei zuzuhören, wie sie mit Gitarren und selbstgebauten Effektgeräten gelärmt haben. In den besten Momenten war es eine Reise ins Unbekannte: Wie kann eine Gitarre so klingen? Wieso reagiert mein Körper so euphorisch darauf?

Bei den Swans dagegen ruft mich jedes Gitarrenriff mit der Eindeutigkeit einer Kirchenglocke. Es ist die Einladung zum gemeinsamen Gebet. „Ave! Ave! Ave! Ave! / I am calling, calling, I am calling, calling“, singt Michael Gira, während sich um ihn herum die Gitarrensounds auftürmen. Es ist die Geste eine Hohepriesters, vorgetragen von einem Wandersmann, der auf der Bühne ein wenig zu sehr schwitzt. Christian Werthschulte

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