piwik no script img

zwischen den rillenIntrospektiv: Paul Simon findet sein inneres Graceland

Coming of New Age

Scheitern als Chance: Drei Jahre ist es her, dass Paul Simon mit seinem Broadway-Musical „Capeman“ grandios Schiffbruch erlitt. Das Stück griff die Lebensgeschichte eines New Yorker Halbstarken auf, der zum Mörder wurde – ein realer Fall, der in den Fünfzigern für viel Aufsehen gesorgt hatte. Ganze sieben Jahre lang hatte Simon zusammen mit dem Nobelpreis-Literaten Derek Walcott an dem 11 Millionen Dollar teueren Unternehmen gefeilt. Doch trotz Beteiligung prominenter Salsa-Stars wie Ruben Blades und Marc Anthony wollte niemand das Stück sehen: Zehn Wochen nach der Premiere wurde es sang- und klanglos vom Programm gestrichen. Der Flop ging als die bis dahin „größte Katastrophe in der Geschichte des Broadways“ in die Annalen ein.

Besonders muss es Simon aber geschmerzt haben, dass die Wortführer der New Yorker Puerto-Ricaner-Gemeinde ihm vorwarfen, sie mit seinem Mörder-Musical in ein kriminelles Licht gerückt zu haben – schließlich ist die Affinität des Songwriters zur Latinosubkultur der Stadt seit dessen Jugendtagen mit Julio unten auf dem Schulhof bestens dokumentiert. Doch was wie ein neuerliches Schlaglicht auf den Unterschied zwischen gut gemeint und gut gemacht wirkte, war auch ein Nachhall der Reaktionen auf Paul Simons ebenso wohlmeinende Ausflüge nach Afrika und Südamerika mit den Alben „Graceland“ (1986) und „Rhythm of the Saints“ (1990), die ihm den – eher ungerechtfertigten – Vorwurf der Ausbeutung eingetragen hatten.

Nach all dem Ärger, markiert „You’re the One“ den Rückzug ins Private. Statt wie zuvor auf musikalische Welterkundungstour zu gehen, widmet sich Simon nun der Kartografie persönlicher Gefühlslandschaften, seinem inneren Graceland sozusagen. Liebe, Alter und Tod sind wiederkehrende Motive, nach innen gewandt die Perspektive. Die Texte kreisen um Heimkehr („That’s where I belong“) oder die Jahreszyklen des Ehelebens („Darling Lorraine“) und kultivieren eine altersweise Abgeklärtheit. Wie immer sind die Songs von einer überragenden Sanftheit getragen, was Simons Ruf als König der Warmduscher entspricht, wobei in die komplexen Texturen, erst auf den zweiten Blick erkenntlich, subtile Ethnointarsien eingewoben sind. In „Old“ sinniert Simon, im Rückblick auf eine Rock-’n’-Roll-Biografie und im Galopp über holpernde Rhythmen, über die Relativität des Alters, und im Titelsong macht er seiner Frau fragwürdige Komplimente: „You’re the one, you made me cry“. Auf „Hurricane Eye“ folgt, fast zwingend, „Quiet“, und damit endet das Album beinahe sakral im Stil eines indianischen Totengebets: Coming of New Age.

Das letzte Bild im Booklet zeigt Simon, wie er aus der Kapuze seines Ponchos lugt, bereit zum Schlafengehen. Es ist dieses Bild von großem Ruhebedürfnis, das sich auch beim Hören aufdrängt: Es ist spät am Abend, die Kinder sind im Bett, das Kaminfeuer erloschen, und auf dem Nachttisch wartet schon der Walt-Whitman-Band. Doch Papa Simon wippt noch ein bisschen auf seinem Schaukelstuhl auf der Veranda und übt auf seiner Gitarre kleine Geschichten, die er vielleicht eines Tages seinen Kindern vorzutragen gedenkt. Allenfalls das Geschehen im Fernsehen motiviert ihn noch für ein Stück wie das allegorische „Pigs, Sheeps and Wolves“. Derweil zirpen die Grillen im Gras, und im Hintergrund fällt gedämpftes Licht auf die Trophäen seiner diversen Weltreisen, auf grob gewebte Teppiche und rustikale, aber erlesene Souvenirs. Eine Country-Home-Idylle: Stillleben mit gutem Menschen.

So kommt „You’re the One“ als quietistisches Manifest daher und zeigt Paul Simon in seiner neuen Rolle als Familienvater und Hausmann. Man kann darin auch den Abschied von der Allzuständigkeit des liberalen Intellektuellen lesen.

Doch auch wenn Paul Simon noch gelegentlich als Stargast auf der Wahlkampfgala für „You can call me Al“ Gore auftritt – ein engagierter Künstler war er nie. Auch als Globetrotter in der Ferne hat er letztlich immer nur sich selbst gesucht und gefunden. Sogar zu seinem sozialkritischen „Capeman“-Rührstück hatte ihn, wie er gestand, weniger ein politisches Anliegen motiviert als das Interesse am musikalischen Stoff: seine nostalgische Leidenschaft für Doo-Wop, Gospel, Rock ’n ’Roll und alte Latinmusik aus Puerto Rico.

DANIEL BAX

Paul Simon: You’re the One (WEA)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen