zwischen den rillen: Reggae-Romantik: Jeb Loy Nichols und Finley Quaye
Als das Sülzen noch geholfen hat
Das mit Abstand Preiswerteste, das wir in unserem letzten USA-Urlaub erwarben, war eine Second-Hand-CD für 49 Cents. Ich kaufte sie, mein ungutes Gefühl ignorierend, dass etwas so Billiges nichts taugen kann, weil der Name Jeb Loy Nichols irgendwelche nicht näher definierbaren, aber wohl angenehmen Erinnerungen auslöste. Als mir wieder einfiel, dass Nichols dereinst als Chef der wundervollen Fellow Travellers den Reggae-Country-Folk erfunden hatte, war die Platte aus dem Ramschregal längst zum Stammgast im CD-Player unseres Mietwagens geworden.
Die CD war drei Jahre alt, hieß „Lovers Knot“ und war Nichols Solo-Debut, aufgenommen für eine Major-Plattenfirma. Diese Verbindung scheint keine allzu glückliche gewesen zu sein. Nicht nur die 49 Cents deuten darauf hin, dass es ein paar besser verkaufte Platten gab: Nichols aktuelles Werk „Just What Time It Is“ ist wieder bei einem Indie erschienen.
Musikalisch aber haben die drei Jahre nichts verändert. Immer noch kriechen die Rhythmen entspannt dahin, ob nun im Offbeat oder immer forsch auf die Eins. Immer noch wird das Schlagzeug eher gerührt als getrommelt, raschelt exotische Percussion, säuseln soulige Backgroundchöre und schlägt die Stimme des in den US-Südstaaten aufgewachsenen Nichols eine kleine, traurige Welt mit einer dreifachen Lage Samt aus. Irgendwann öffnet man verzückt die Augen und findet sich bis zum Hals in einer rosaroten Masse, die auf eine viel zu angenehme Art klebrig ist.
Denn drei Jahre haben die letzten Ecken abgeschliffen, Brüche gekittet und Unsicherheiten beseitigt. „Just What Time It Is“ findet in jeder Sekunde so zielsicher den Grat zwischen Sentimentalität und Kitsch, dass es mitunter langweilig wird. „Lovers Knot“, obwohl mit einem ungleich größeren Budget produziert, war noch regelmäßig abgestürzt in die eine oder andere Richtung, hatte grauenhaft schmalzige Stellen, aber gerade in diesen Momenten wahrhaftig, menschlich, anrührend geklungen. „Just What Time It Is“ ist ein Motor, der perfekt geölt vor sich hin schnurrt. Auch das hat seinen Reiz, so viel Souveränität im Umgang mit den eigenen Mitteln bestaunen zu dürfen. Aber es fehlt der Augenblick der Entäußerung, in dem Nichols selbst sichtbar wird vor der perfekten Maschinerie aus schmeichelnden Melodien, romantischer Verklärung und melancholischer Gefühlsduselei, die er reibungslos organisiert.
Auch Finley Quayes Debut „Maverick A Strike“ ist drei Jahre alt. Doch im Gegensatz zu Nichols hat er davon auch was verkauft, zweimal Platin bekommen und wurde im heimischen Britannien zum Best Male Artist gewählt. Beide befehligen ein durchaus vergleichbares musikalisches Arsenal. Nur dass bei Quaye, so auch auf seiner zweiten Platte „Vanguard“, das, was man recht unscharf Weltmusik nennt, die amerikanische Folklore von Nichols als Grundlage ersetzt. Von diesen verschiedenen Fixpunkten aus entwickeln beide ihren Stil jedoch mit etwa den gleichen Methoden: Entschiedene Leisetreterei, gepflegte Tristesse, und wenn man nicht mehr weiter weiß, hilft eine Runde Reggaeschunkeln.
Technisch allerdings gibt es nicht viele, die in der Lage sind, sich so verschiedene Stile so selbstverständlich anzueignen, zu Hause zu sein in afrikanischer Musik und Mainstream-Pop, gleichzeitig soulig zu klingen wie Al Green kurz nach der Erleuchtung und bekifft wie eine Horde Rastas. Und dann noch mal schnell ein Rockstück unterzubringen, ohne den Rahmen des Albums zu sprengen.
Im Gegensatz zu Nichols aber erhebt der gute Herr Quaye die Entäußerung zum Prinzip. Und was zum Selbstzweck verkommt, kann einem ganz schön auf die Nerven gehen. Da trötet er schon mal selbstvergessen „Uuuuh Uuuuh Uuuuh“, als säße er in der Badewanne, und die Wortspiele tröpfeln wie ein kaputter Wasserhahn: „You love Greenpeace / I love green pea / Butter bean and broad bean / Black-eyed beans and kidney beans / Mung beans and runner beans.“ Zugegeben, auch Jonathan Richman hat mal einen Song über Avocado-Creme geschrieben, aber das war charmant. Hier sind es Bohnen und klingt nach verzogener Göre.
Quayes Problem ist möglicherweise nicht, dass er zu viel Talent hat, sondern dass ihm das zu viele Leute gesagt haben. „Vanguard“ merkt man jederzeit die Brillanz ihres Schöpfers an, aber zugleich lässt sie einen mit dem unguten Geschmack zurück, dass noch so viel mehr möglich gewesen wäre.
THOMAS WINKLER
Jeb Loy Nichols: „Just What Time It Is“ (Ryko/Zomba); Finley Quaye: „Vanguard“ (Epic/Sony)
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